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Digitalisierung und geistige Fitness: Senioren profitieren von Technik – Gesundheit |ABC-Z

Die Begebenheit im Computerkurs für Anfänger liegt schon ein Weilchen zurück. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, mit der Maus nach oben zu fahren, womit gemeint war, den Cursor an den oberen Bildschirmrand zu steuern. Die PC-Neulinge reagierten, indem sie die Maus in die Luft hoben. Sie hielten sie mehrere Zentimeter über den Schreibtisch in ihren Fäusten und schauten ihre Lehrerin erwartungsvoll an: Und nun?

Vieles, das bisherigen Alltagserfahrungen kaum bis gar nicht entsprach, mussten Menschen in den vergangenen Jahrzehnten lernen, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Doch wer durchhielt, wer den Umgang mit der Maus meisterte, unzählige neue Vokabeln erlernte, den Überblick über sich ständig ändernde Geräte und Zubehör behielt, sich neuen Netzgepflogenheiten nicht verschloss und sich auch durch die Absurditäten schlecht funktionierender Programme nicht abschrecken ließ, der hat möglicherweise sein Hirn ordentlich fit gehalten.

Dies zumindest legt eine große Meta-Analyse nahe, die die texanischen Neurowissenschaftler Jared Benge und Michael Scullin jetzt im Fachblatt Nature Human Behaviour publizierten. Die Wissenschaftler hatten die Ergebnisse von 57 Studien mit insgesamt mehr als 400 000 älteren Probanden ausgewertet. In der Gesamtschau deuten die Untersuchungen auf Folgendes hin: Wer regelmäßig Computer oder Smartphone verwendet, hat eine nur halb so große Wahrscheinlichkeit für kognitive Probleme im Alter wie Menschen, die der Technik nicht viel abgewinnen können.

Die Effekte blieben auch erhalten, als die beiden Autoren potenzielle andere Einflussfaktoren wie den sozio-ökonomischen Status, Bildung, den Gesundheitszustand und die soziale Unterstützung herausrechneten. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es weitere Störfaktoren gibt, die in den Studien nicht berücksichtigt wurden. So könnte es sein, dass Menschen, die bereitwillig eine neue Technik ausprobieren, besondere Eigenschaften wie Aufgeschlossenheit oder Neugierde besitzen und allein aufgrund dieser Wesenszüge auch kognitiv fitter sind. Auch waren nicht alle Studien von sehr hoher methodischer Qualität.

Technische Hilfsmittel können soziale Kontakte verbessern und kleinere Probleme kompensieren

Letztlich ist auch nicht ganz eindeutig zu identifizieren, was in dem Zusammenhang von Techniknutzung und kognitiven Leistungen Ursache und was Wirkung ist. Begünstigt die Nutzung von Computerprogrammen und Handy-Apps die geistige Fitness, oder sind umgekehrt kognitiv fitte Menschen eher bereit, sich mit neuer Technik zu befassen? Die Autoren weisen darauf hin, dass ihre Auswertung mehrere Untersuchungen enthält, die über einen längeren Zeitraum liefen. Sie zeigten, dass Menschen, die zu Studienbeginn kaum Technik nutzten, im Laufe der Jahre mehr geistige Leistungskraft einbüßten als Zeitgenossen, die sich von Anfang an mit digitalen Geräten beschäftigten. Das spreche dafür, dass die Beschäftigung mit Technik eine schützende Wirkung habe.

Benge und Scullin halten drei verschiedene Erklärungen für die potenzielle Schutzwirkung für plausibel. Zum einen sei die Auseinandersetzung mit neuen Technologien geistig stimulierend, ähnlich wie es auch Lesen, Kreuzworträtsel oder Musizieren sein können. Mehrere der ausgewerteten Studien seien zu dem Schluss gekommen, dass die digitalen Aktivitäten für die geistige Gesundheit mindestens ebenso förderlich sind wie ihre anlogen Pendants.

Gleichzeitig könnten digitale Anwendungen dabei helfen, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten – und das in einem Lebensabschnitt, in dem es schwieriger werden kann, ein reges gesellschaftliches Leben zu führen. Auch der Austausch mit anderen Menschen gilt als Schutzfaktor vor geistigem Abbau.

Schließlich könnte sinnvoll eingesetzte Technik auch andere Einschränkungen des Alters kompensieren und Menschen dabei helfen, weiter gut in ihrem Alltag zurechtzukommen. So könnten etwa Erinnerungsfunktionen auf dem Handy gewährleisten, dass Medikamente regelmäßig genommen oder wichtige Termine nicht vergessen werden.

Die Forscher fanden keine starken Hinweise auf Nachteile durch die neuen Alltagstechnologien, die manchmal unter dem Schlagwort digitale Demenz zusammengefasst werden. Denkbar ist, dass es das Gehirn unterfordert, wenn man sich bei jeder noch so kleinen Rechenaufgabe, bei jeder noch so banalen Frage durch das Handy helfen lässt. Oder dass die Bildschirme zu so viel passiver und sinnloser Beschäftigung verleiten, dass am Ende hilfreiche Aktivitäten vernachlässigt werden. Die Autoren wollen solche Effekte nicht grundsätzlich ausschließen und verweisen darauf, dass es bessere Erkenntnisse dazu braucht, wer von welchen Aktivitäten wie sehr profitiert.

Sie schränken zugleich ein, dass ihre Erkenntnisse nur für die „digitalen Pioniere“ gelten. Also für jene Generation, die erst als Erwachsene mit digitalen Technologien konfrontiert wurde und nun das Alter erreicht, in dem neurodegenerative Erkrankungen und kognitive Defizite auftreten. Ob eines Tages auch jene Menschen, die mit digitaler Technik aufwachsen, einen Vorteil haben werden, muss sich dagegen erst noch zeigen.

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