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Wehrdienst: Wie funktioniert das schwedische Wehrdienstmodell? | ABC-Z

Verteidigungsminister Boris Pistorius möchte bei einer weiteren Amtszeit das schwedische Wehrdienstmodell noch 2025 einführen. Wer wäre von dieser Wehrreform betroffen?



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Schwedische Soldaten während einer Militärübung: In Deutschland soll das schwedische Wehrdienstmodell möglicherweise als Vorbild dienen.
© Anders Wiklund/​TT News Agency/​AFP/​Getty Images

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will mit dem neuen Wehrdienst noch in diesem Jahr starten. Ein entsprechendes Gesetz sei vorbereitet und könne in Kraft treten, sagte der Minister kürzlich. Pistorius gilt als Befürworter des schwedischen Modells, das auf Freiwilligkeit basiert. Was würde eine solche Reform bedeuten? Und wer wäre von den Musterungen betroffen?

Worauf haben sich Union und SPD zur Wehrdienstreform geeinigt?

Union
und SPD wollen ein neues und zunächst auf Freiwilligkeit basierendes
Wehrdienstmodell einführen. Noch in diesem Jahr sollten dazu die
Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung geschaffen
werden, heißt es in dem vereinbarten Koalitionsvertrag. Damit sollen
dann künftig wieder Personaldaten zu wehrfähigen
Bürgerinnen und Bürgern erhoben werden.

Ein erster Gesetzentwurf von
Pistorius, der sich am Wehrdienstmodell in Schweden orientierte, wurde
bereits im November vom Kabinett beschlossen, wegen der Neuwahl aber
nicht mehr umgesetzt.

Warum braucht die Bundeswehr mehr Personal?

Im Kern geht es bei einer Wehrdienstreform um die Verteidigungsfähigkeit des
Landes
. Die Stärke der Bundeswehrtruppe liegt seit Jahren unter dem Soll von
203.300 Soldatinnen und Soldaten in Friedenszeiten. Derzeit dienen bei der Bundeswehr rund 181.000 Soldatinnen und Soldaten. Aktive Reservisten, die unter die Einsatzbereitschaft fallen, gibt es aktuell rund 34.000.

Zum Vergleich: Das Verteidigungsministerium verweist darauf, dass zur
Bündnisverteidigung innerhalb der Nato zwischen 370.000 und 460.000
Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr notwendig seien.

Durch den Wegfall der Wehrpflicht fehlt es aber nicht nur an Personal und Reservisten. Es fehlt auch eine
Wehrerfassung, in der Personaldaten zu wehrfähigen
Bürgerinnen und Bürgern verzeichnet sind. Zudem fehlt es in den Kasernen an Kapazitäten
zur Unterbringung von mehr Personal und an Ausbildern.

Wie funktioniert der Wehrdienst in Schweden?

In Schweden gilt seit 2017 der Wehrdienst. Das Modell basiert auf einem webbasierten Fragebogen, der
von allen Männern und Frauen eines Jahrgangs im Alter von 18 Jahren Motivation, Fähigkeiten und Interessen abfragt. Auf dieser Grundlage
wird ein Teil der Personen zur Musterung geladen. Die Armee spricht dann nach der Musterung gezielt Männer und Frauen an, die für die Truppe geeignet sind.

Rechtlich gesehen ist der Wehrdienst in Schweden eine Wehrpflicht, faktisch konzentriert sich die Auswahl aber auf motivierte und besonders geeignete Personen. Ziel des Dienstes ist es, vor allem ausgebildete Reservisten zu haben, die regelmäßig an Übungen teilnehmen müssen.

In den vergangenen Jahren bekam Schweden durch die Wiedereinführung des Wehrdienstes genug Freiwillige für die Streitkräfte zusammen. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes verfügte Schweden im Jahr 2024 über rund 14.850 aktive Soldatinnen und Soldaten. Die Zahl der aktiven Reservisten lag im vergangenen Jahr bei rund 11.500.

Wer wird künftig in Deutschland gemustert?

Ähnlich wie in Schweden sollen hierzulande künftig Männer und Frauen
eines Jahrgangs im Alter von 18 Jahren angeschrieben werden. “Das
gewährleistet die Wehrerfassung. Dann spricht die Bundeswehr die für sie
geeigneten Personen an, ob sie einen Grundwehrdienst ableisten wollen”,
sagte Pistorius. Die Anschreiben müssen allerdings nur von Männern
beantwortet werden, da Frauen gesetzlich von einer Wehrpflicht befreit
sind.

Für eine allgemeine Dienst- und Wehrpflicht für Frauen wäre eine Grundgesetzänderung nötig, für die es
die notwendige Zweidrittelmehrheit im neuen Bundestag nicht gibt. 

Wie lange soll der Wehrdienst dauern?

Der Entwurf sieht einen
Grundwehrdienst von sechs Monaten vor. Zusätzlich soll es demnach die Option für einen freiwilligen
Wehrdienst von weiteren 17 Monaten geben.
Damit könnte sich die Gesamtzeit des Wehrdienstes auf 23 Monate ausdehnen.

Die Wehrdienstleistenden sollen den Plänen zufolge nach dem aktiven Dienst in die Reserve beordert werden und dort regelmäßig Reservedienstleistungen abhalten. Bei Bedarf können sie dann für die Landes- und Bündnisverteidigung herangezogen werden. Die Planungen sehen zudem vor, dass im ersten Jahr erst einmal 5.000 freiwillige Wehrdienstleistende eingezogen werden.

Ist die frühere Wehrpflicht abgeschafft worden?

Alltagssprachlich ist oft die
Rede davon, dass die Wehrpflicht abgeschafft worden sei. Doch das
stimmt so nicht. Im Jahr 2011 wurde unter Verteidigungsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die gesetzliche Verpflichtung zur
Ableistung des Grundwehrdienstes ausgesetzt. Damit ist die Wehrpflicht
nicht abgeschafft, kommt aber nur zum Tragen, wenn der im Grundgesetz geregelte Spannungs- oder Verteidigungsfall
festgestellt wird.

Die allgemeine Wehrpflicht könnte somit mit einfacher Mehrheit im
Parlament wieder belebt werden, etwa bei einer Zuspitzung der
Kriegsgefahr. Doch die schwarz-rote Koalition will davon auch aus praktischen Gründen absehen: Die Bundeswehr könnte einen ganzen Jahrgang neuer Rekruten derzeit weder unterbringen noch ausbilden. Dies müsste stufenweise umgesetzt werden.

Dies wiederum könnte rechtliche Probleme aufwerfen. Die Wehrgerechtigkeit war schon in der Endphase der Wehrpflicht öfter Thema vor Gericht. Wenn nur ein kleiner Teil des Jahrgangs gebraucht wird, stellt sich die Frage, wer verpflichtet wird und wer nicht.

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