Gepäckabfertigung am Frankfurter Flughafen: Das passiert mit Rot-Gepäck | ABC-Z

Wenn Antonio Miceli mit seiner Familie in den Urlaub fliegt, überlässt er das Packen seiner Frau. „Ich kann das nicht“, sagt er. Nur bei der Kofferauswahl will er mitreden. Stabil sollten sie sein – und vier Räder haben. Von Reisetaschen oder überdimensionierten Rucksäcken hält er nicht viel.
Miceli muss es wissen. Im Jahr 2008 hat er als Gepäckabfertiger am Frankfurter Flughafen zu arbeiten begonnen. Abertausende Gepäckstücke hat er seitdem be- und entladen, weiß genau, auf welchen Flügen schwere Koffer zu erwarten sind und welche Flugverbindungen dafür bekannt sind, dass die Passagiere eher mit leichtem Gepäck reisen. Mittlerweile arbeitet der Zweiundvierzigjährige im Bereich Gepäckservice als Aufgabenleiter „Betrieb und Verfahren“. Koffer schleppt er schon lange nicht mehr. Dafür muss er sicherstellen, dass alle Prozesse rund um das Verladen des Gepäcks optimal funktionieren. „Jeder, der von Frankfurt aus fliegt, muss am Ende auch sein Gepäckstück erhalten“, sagt er.
Dass Miceli selbst einmal als Verlader gearbeitet hat, kommt ihm in seiner jetzigen Position zugute. „Man sollte alle Abläufe kennen“, sagt er. Besonders dann, wenn sie ins Stocken geraten. Etwa wenn das System ein sogenanntes Rot-Gepäck meldet. Also ein Gepäckstück, das schon verladen wurde, dessen Besitzer es aber nicht an Bord des Flugzeuges geschafft hat.
Wave-System beschleunigt Suche
Die Gründe dafür können vielfältig sein, wie der Vater von drei Kindern erzählt. Manch einer finde beim Umstieg nicht das passende Gate. Andere entspannten sich vor dem Weiterflug womöglich ein bisschen zu sehr in den Lounges und Bars am Flughafen. Und so könne es schon mal passieren, dass jemand den Anschlussflug einfach vergesse, erzählt er. Auch sei es schon einmal vorgekommen, dass ein Fluggast erst nach der Gepäckaufgabe bemerkt habe, dass sich überlebenswichtige Medikamente im Koffer befinden. In allen Fällen meldet das System einen Alarm – das Gepäckstück muss raus. Und zwar so schnell wie möglich.
Micelis Aufgabe ist es unter anderem, genau solche Abläufe mit seinen Kollegen immer und immer wieder zu trainieren und zu optimieren. Denn die Uhr läuft. Suchen die Abfertiger zu lange nach dem passenden Koffer, kann der Flieger nicht abheben. Verladen werde deshalb nach dem immer gleichen Prinzip, das es ermögliche, den passenden Koffer schnell zu finden, erklärt Miceli.
Jedes einzelne Gepäckstück wird beim Verladen erfasst und gescannt. Checkt zu dem registrierten Gepäckstück der dazugehörige Passagier nicht ein, löst der Alarm aus. Im System wird die Nummer der sogenannten Einheit angezeigt, in der die Mitarbeiter suchen müssen. Die Einheiten ähneln kleinen, silbernen Containern. Je Container können bis zu 30 Gepäckstücke untergebracht werden.
Außerdem meldet das System, in welcher Reihenfolge die Koffer beladen wurden. Die Abfertiger arbeiten nach dem sogenannten Wave-Prinzip. Von hinten unten rechts wird nach links geschichtet, dann eine zweite Reihe von rechts nach links aufgesetzt. „Ist der gesuchte Koffer der erste, der verladen wurde, dann weiß ich, dass es der ganz unten rechts ist“, sagt Miceli.
Mit der Etablierung des sogenannten Wave-Systems sei es gelungen, die Ausladezeiten deutlich zu verkürzen. Je nach Position dauere es trotzdem noch zwischen drei und sieben Minuten, ein einzelnes Stück aus der Masse zu finden. „Als das Wave-System ins Leben gerufen wurde, hat es alles verändert“, erinnert sich der Aufgabenleiter. Denn zuvor seien die Mitarbeiter einfach auf gut Glück auf Koffer-Tauchkurs gegangen – lediglich die Einheit, in der sie suchen mussten, stand fest.
Miet-Koffer erleichtern die Arbeit
Nicht verändert hat sich die Tatsache, dass das Finden von „Rot-Gepäck“ weiterhin ein zeit- und manchmal auch nervenintensives Unterfangen sein kann. Der Druck ist groß, denn jede Verzögerung im Ablauf zieht weitere Probleme nach sich. An einem Spitzentag, an dem bis zu 110.000 Gepäckstücke verladen werden, meldet das System nach Angaben von Miceli bis zu 500 Rot-Gepäckstücke. „Oftmals fangen wir an – und brechen wieder ab“, wie er sagt. Weil einige Gäste eben doch noch in letzter Minute erscheinen.
Dass die Passagiere gar nicht erst mitbekommen, welche Bemühungen im Hintergrund laufen, damit alle am Reiseziel ihren Koffer erhalten, sei das oberste Ziel seiner Arbeit, sagt Miceli, der sich generell um die Optimierung der Abläufe rund um die Gepäckabfertigung kümmert. Die Reisenden, so sein Eindruck, wissen zu schätzen, wie hart die Flughafenmitarbeiter tagtäglich genau dafür arbeiten.
Und trotzdem: Zeigt ihm sein Tablet einen Flug aus Japan an, freut sich der „Frankfurter Bub“ für seine Kollegen in der Gepäckabfertigung. Denn in einigen asiatischen Ländern, unter diesen auch Japan, sei es üblich, sich große Koffer zu mieten, statt eigene zu besitzen. So kann in den oft kleinen Apartments Platz gespart werden. Diese Koffer, das weiß Miceli aus jahrelanger Schlepp-Erfahrung, seien oft von besonders guter Qualität. Gut zu greifen, noch besser zu rollen – und gleichzeitig robust. Das ist dann ein bisschen wie Urlaub für die Verlader.