Kultur

“Abundance”: Es könnte ja auch gut gehen | ABC-Z

Wir schreiben das Jahr 2025. Vor wenigen Monaten wurde
Donald J. Trump zum zweiten Mal als demokratisch gewählter Präsident der
Vereinigten Staaten vereidigt. Zusammen mit dem reichsten Mann der Welt, dem
Flammenwerfer- und Kettensägenenthusiasten Elon Musk, baut er in
überwältigender Geschwindigkeit den amerikanischen Rechtsstaat ab. Führende
Wissenschaftler verlassen das Land. Die angekündigte Schließung von USAID
könnte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt das Leben kosten. Soeben hat
die Regierung unter anderem allen US-Verbündeten den Handelskrieg erklärt. Und
Ezra Klein, der vielleicht renommierteste, linksliberalste und humorloseste
Vorzeige-Journalist der New York Times, hat eine Utopie geschrieben.

Abundance heißt das Buch, das Klein mit dem Atlantic-Autor
Derek Thompson jetzt, keine zwei Monate nach Amtseinführung Trumps,
veröffentlicht hat. Auf Deutsch: Überfluss. Das Buch beginnt in einer Zukunft,
in der die Energieversorgung dank einer Mischung aus Solar-, Wind-, Geothermal-
und Nuklearenergie “so sauber ist, dass sie kaum einen Kohlenstoffabdruck
hinterlässt, und so günstig, dass sie auf deiner Monatsrechnung kaum auffällt”.
In einer Welt, in der das Trinkwasser aus Entsalzungsanlagen kommt und die
Flüsse sich erholen. In dem Obst und Gemüse in Gewächshochhäusern in der
Nachbarschaft wächst und das Agrarland wieder Natur sein darf. In der Fleisch
aus In-vitro-Kulturen kommt – ohne Massentierhaltung und Schlachtung. In dieser
Zukunft versorgen Drohnen Arm und Reich mit kostengünstigen
“Sternen-Tabletten”, die gegen Alterungsprozesse, Suchterkrankungen und
Adipositas helfen. Weil die Moleküle für diese Tabletten am besten unter
Schwerelosigkeit produziert werden können, schwirren automatisierte Tablettenfabriken
durch die Atmosphäre. Das Land, in dem diese Zukunft spielt, ist Amerika. Das
Jahr ist 2050.

Bevor man sich mit dem Hauptteil des Buches
auseinandersetzt, in dem die Autoren erklären, wie genau die Erde (oder nur der
amerikanische Teil) von 2025 nach 2050 kommt und was uns zurzeit daran hindert,
in einer Welt des Überflusses zu leben, muss man erst mal Folgendes feststellen:
this is weird. Weird kann man bekanntlich gut oder schlecht finden. Wer
Literaturkritik von Marcel Reich-Ranicki gelernt hat, muss goutieren, dass
dieses Buch eines wirklich nicht tut: langweilen. Wer Abundance aber eher als
Realpolitik und nicht als Literatur lesen möchte, wie es zum Beispiel der
Wirtschaftshistoriker und einstige Ezra-Klein-Show-Gast Adam Tooze tut, ist
mindestens irritiert. “Woher nehmen die beiden ihren Optimismus?”, fragte Tooze
in seinem Podcast
. Woher nehmen sie diesen “beinahe mutwillig
Flinstones-artigen Sechzigerjahre-Optimismus in die Wiederbelebung einer
amerikanischen Zukunft? Es ist beinahe camp. Ich finde es schwer zu glauben,
dass sie das ernst meinen.”

Die hier besprochene englischsprachige Ausgabe des Buches “Abundance” von Ezra Klein und Derek Thompson ist bei Simon & Schuster erschienen. Die deutschsprachige Übersetzung erscheint im Oktober 2025 im Verlag Hoffmann und Campe unter dem Titel “Der neue Wohlstand”. © Simon & Schuster

Natürlich meinen Klein und Thompson das ernst. Treue Hörer
der Ezra Klein Show – Transparenzhinweis: Zu dieser Gruppe gehören ungefähr
alle Journalisten – wissen, dass Klein in seinem ganzen Leben wahrscheinlich
noch nie etwas nicht ernst meinte. In seinen Podcast lädt er die
interessantesten Politiker, Philosophen, Wissenschaftler und Literaten ein, um
mit ihnen sehr neugierige, wohl informierte und ernst gemeinte Gespräche über
Amerika und alles andere zu führen. Nebenbei lernt man Klein als Linksliberalen
kennen, der aufrichtig versucht, die republikanische Sicht der Dinge zu
verstehen; und als Demokraten und verzweifelten Demokraten-Kritiker – Klein war
einer der Ersten, die 2024 den Rückzug Joe Bidens von einer erneuten
Präsidentschaftskandidatur
und (vergeblich) eine offene Vorwahl bei den
Demokraten forderten. Außerdem ist Klein Silicon-Valley-Kenner mit großen
Ängsten vor künstlicher Intelligenz. Kurzum: Klein ist das, was man in
Amerika eine type a personality nennt. Also jemand, der ehrgeizig, hart arbeitend
und ziemlich neurotisch ist. Jemand, der immer alles richtig macht. Ezra Klein
lebt vegan. Ezra Klein hat einen endlosen streak in seiner Meditations-App.
Wenn Ezra Klein einen Gedanken hat, dann beginnt der mit den Worten: “I worry that …” Wenn jemand für die Grenzen des Wachstums gemacht ist, wenn jemand in
selbstauferlegter Ökologie-Enthaltsamkeit leben könnte, ist es Ezra Klein.

Wenn Klein jetzt also versucht, eine Welt des Überflusses
herbeizuschreiben, dann tut er das wohl erstens, weil er es ernst meint, und
zweitens wahrscheinlich nicht, weil er persönlich so etwas wie Überfluss nötig
hat. Was die Qualität des Buches angeht, ist diese Persönlichkeitsstudie
natürlich irrelevant, zumal die Autoren als Persönlichkeiten kaum auftreten. Es
verdeutlicht lediglich, wie weird es ist, dass jemand, der nun wirklich nicht
im Verdacht steht, Porsche-Kataloge zur Autostimulation zu verwenden, Lösungen
vorschlägt, die erst mal aussehen, als kämen sie aus dem Wahlprogramm der FDP:
Der Weg auf dem Klein und Thompson Utopia erreichen wollen, setzt sich zusammen
aus einer Mischung aus dem, was man in Deutschland  “Technologieoffenheit” nennt, gemischt mit
Deregulierung, Bürokratieabbau und, wenn man ganz ehrlich ist: weniger wokeness im Staatswesen (wobei die Autoren dieses Wort selbstverständlich
niemals verwenden würden).

Die Grundannahme von Kleins und Thompsons Manifesto lautet:
Um die Zukunft zu bekommen, die wir wollen – eine Zukunft, deren Überfluss nicht
wie bisher in der Anhäufung redundanter Konsumgüter liegt, sondern in der
kostengünstigen Bereitstellung von Wohnraum, medizinischer Versorgung,
Infrastruktur und Energie für alle –, müssen wir mehr von dem bauen und
erfinden, was wir brauchen. Dass wir dies zurzeit nicht tun, liegt an
Entscheidungen, die wir innerhalb der vergangenen einhundert Jahre getroffen
haben: an bürokratischen Regulierungen und gut gemeinten Gesetzen, daran, dass
wir alles kontrollieren wollen, anstatt Bauträgern, Politikern oder
Wissenschaftlern (in Maßen) zu vertrauen. Und an der Unfähigkeit, Trade-offs
einzugehen, Prioritäten zu setzen oder Opportunitätskosten einzupreisen.

Will heißen: Reguliert man aus sehr berechtigten Gründen das
Bauwesen so stark, dass Bauen ewig dauert und endlos viel kostet, dann wird am
Ende nur noch für die gebaut, die es sich leisten können. Wer nicht reich ist,
wird aus den urbanen Zentren verdrängt, dabei gibt es genau hier die besten
Möglichkeiten, Geld zu verdienen und aufzusteigen. Oder: Versucht man
sicherzustellen, dass Wissenschaftler keine Gelder verschwenden – hängt man die
Vergabe von Fördergeldern also an aufwendige Antragsverfahren –, verbringen
Wissenschaftler am Ende mehr Zeit mit Anträgen auf Staatskosten als mit
Forschung, die dem Staat dienlich ist. Oder: Versucht ein Staat, bei der Vergabe
von Aufträgen jede Minorität zu bedenken und jedem ethischen Anspruch gerecht
zu werden, handelt der Staat am Ende gar nicht mehr oder nur so schlecht,
langsam und teuer, dass beim Wähler der Eindruck entsteht, staatliches Handeln
wäre privaten Investoren stets unterlegen. Von den Demokraten regierte
US-Bundesstaaten, so Klein und Thompson, scheitern am sozialen Wohnungsbau, am
Versuch, einen klimafreundlichen Schienenverkehr einzurichten, oder daran, die
Stromtrassen und Solarfelder zu errichten, die es bräuchte, um klimaneutral
werden zu können. Sie scheitern also ausgerechnet an der Errichtung dessen, was
sie für Bedingungen einer besseren Zukunft halten.

Um die Lebensbedingungen von Menschen in
Obdachlosenunterbringungen in Kalifornien zu verbessern, so ein Beispiel,
wurden die Auflagen für solche Unterbringungen (die Anzahl der Parkplätze et cetera)
so weit hochgeschraubt, dass die meisten von Obdachlosigkeit gefährdeten
Menschen aus Mangel an Unterbringungen tatsächlich auf der Straße schlafen. Um
die Umwelt zu schützen, so eine andere These des Buches, wurden zu Recht
restriktive Vorschriften erlassen, deren Einhaltung derart zeitraubend und
kostspielig ist, dass sie jetzt den Bau klimarettender Technologien verhindern.
Klein und Thompson nehmen als Beispiel den grotesk gescheiterten Versuch,
zwischen Los Angeles und San Francisco eine Hochgeschwindigkeitstrasse für
Zugverkehr einzurichten. Wer zu viel Zeit mit deutschen Talkshows verbringt,
wird vielleicht daran erinnert, wie der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer mal
wochenlang erklärte, wie er fast daran scheiterte, Solaranlagen an
Autobahnzubringern anzubringen, weil auf diesen Freiflächen möglicherweise Hamster
leben könnten. Manchmal, so würden es Thompson und Klein sehen, muss ein
potenzieller Hamster sterben, damit das Klima leben kann.

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