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Trend Zitronenwasser – Stil – SZ.de | ABC-Z

Wenn es um Trendfood geht, ist Tiktok ein irrer Motor. Sogar Omas Essiggurken werden dadurch zum Modesnack. Man kann seit geraumer Zeit dort Videos sehen, in denen Menschen saure Gurken in Dr-Pepper-Limonade werfen, mit Fruchtgummi umwickeln oder riesengroße Exemplare mit Chilis verzehren. Zwiebel-Käse-Kombis sind viral ebenfalls ein Erfolgsrezept: Scheibletten-Käse in eine ausgehöhlte Zwiebel stopfen, mit einem großen Stück Butter versiegeln, ab in den Ofen. Auf der süßen Seite wirkt weiter die Dubai-Schokolade, und die nächste Trendsüßspeise kommt aus Kuwait: der Krunchoco Cake oder Ahmed-Al-Zamel-Kuchen, der Schokotarte, Frischkäse, gezuckerte Kondensmilch, Sahne, Schokolade und Haferpops enthält.

Gesund ist das alles nicht. Aber darauf kommt es nicht an, sondern dass man die Sachen unter größter Anteilnahme verzehren kann. Wichtiger als die Kulinarik ist bei Tiktok natürlich die Unterhaltung, zum Beispiel das entgleiste Gesicht der Person, die in Essigsaures beißt oder der hörbare „Crunch“, wenn sie Haferpops oder Kadayif isst. Reaction-Videos heißen diese Clips, weil man, genau, sieht und hört, wie Menschen vor der Kamera auf den Verzehr reagieren.

Umso interessanter ist es da zu sehen, dass ein sehr banales und zudem gesundes Getränk seit einiger Zeit viral geht: Zitronenwasser. Es ist wirklich nur das: Wasser mit Zitrone. Als Scheibe oder Saft, Verhältnis Wasser und Frucht nach Gusto. Temperatur oder Kohlensäuregehalt auch. Menge: verhandelbar.

Anleitung: „Du nimmst Wasser und Zitrone!“

Aber natürlich heißt das nicht, dass man aus zwei Zutaten nicht sehr viele Clips machen kann, zumal Stars wie Jennifer Aniston oder Gwyneth Paltrow den Trunk empfehlen. Es gibt ausführliche Tutorials („Du nimmst Wasser und Zitrone“), es gibt Finetuning-Tipps („Ich mach’ noch Apfelessig rein und Chiasamen“), Influencer zeigen sich mit nacktem Oberkörper bei der Zubereitung, Influencerinnen in ihrer cleanen Küche im Sportdress. Alle zeigen, wie sie das trübe Wasser trinken, dabei aber nur selten sauer blicken. Und doch werden die Videos teilweise millionenfach angesehen.

Sollte man das also auch tun, Zitronenwasser trinken? Idealerweise frühmorgens auf nüchternen Magen? Stirnrunzeln bei nicht wenigen, denn auch ohne Tiktok machen das viele Menschen ohnehin seit Jahren. Weil sie zur Ayurveda-Fraktion gehören oder weil ihnen pures Leitungswasser zu fad ist oder ihnen ein Kaffee am Morgen nicht die gleiche Frische bringt wie ein saurer Booster.

Natürlich gibt es auch Ärztinnen, Heilpraktiker und selbsternannte Experten, die auf Tiktok ihre Einschätzung zu Zitronenwasser teilen. Manches ist Humbug („Wer abnehmen will, muss das trinken!“), manches bedenkenswert („Nicht jedem Magen tut zu viel davon gut.“). Wissenschaftlich belegt ist weder, dass man durch das saure Wasser besser abnimmt, weil es den Appetit zügelt, noch, dass man sich durch die Vitamin-C-Gabe nie wieder erkältet. Dazu ist auch zu wenig davon in trinkbarem Zitronenwasser. Aber natürlich kann ein Spritzer Zitrone manchen mehr Lust auf Wasser bereiten, und ausreichend Wasser ist neben ausgewogener Ernährung (Obst, Gemüse, Fisch, Nüsse) bekanntermaßen wichtig für die allgemeine Gesundheit. Wunder darf man also von dem viralen Hype nicht erwarten. Aber für Wunder ist Tiktok auch nicht zuständig.

Die Autorin schätzt Wasser mit Geschmack. Lieber als Zitrone gibt sie aber frische Minze und Himbeeren aus dem eigenen Garten hinein. (Foto: Bernd Schifferdecker)
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