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Ukraine-Festival in Berlin: Fake News und Fake-Frieden | ABC-Z

Welche Bedeutung das ukrainisch-deutsche Festival „Café Kyiv“ in der derzeitigen geopolitischen Lage hat, ist am Dienstag in Berlin unschwer zu erkennen: die Schlange am Veranstaltungsort, dem Filmtheater Colosseum in Prenzlauer Berg, ist mehrere hundert Meter lang; insgesamt etwa 4.000 Be­su­che­r:in­nen werden die Panels, Podien und Pop-Up-Stores den gesamten Tag über besuchen.

Im dritten Jahr veranstaltet die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) das Netzwerktreffen, Zivilgesellschaft trifft hier auf Politik und Kultur, 100 Veranstaltungen an nur einem Tag. Drinnen tragen einige Besucherinnen ukrainische Kleider oder gelb-blaue Solidarity-Shirts, die Räume und Säle sind umbenannt in „Maidan“, „Charkiw“ oder „Mariupol“. Wareniki (ukrainische Teigtaschen) und Borschtsch werden verkauft.

Dass Europa vielleicht erst jetzt, während des Trump’schen Pokerspiels um die Ukraine, aus dem politischen Tiefschlaf erwacht, wird bei der Podiumsdiskussion „We’re next – Communicating the stakes of war in Ukraine“ deutlich. Das russische Regime führe nicht nur längst einen Krieg gegen Europa und den Westen, sondern sei damit recht erfolgreich, sind sich die Dis­ku­tan­t:in­nen einig.

„Wir befinden uns mitten im Krieg“, sagt Gesine Dornblüth, ehemalige Russland-Korrespondentin des Deutschlandradio, mit Blick auf die Fake-News- und Propagandaerfolge des Kreml im Westen, „Desinformation kann man aber nur mit Wissen bekämpfen.“

Dem russischen Propagandakrieg müsse man „aggressiver entgegentreten“, meint Ex-Diplomat und Autor Arndt Freytag von Loringhoven („Putins Angriff auf Deutschland“), die gesamte deutsche Politik agiere „sehr reaktiv, wenig proaktiv“. Würde heißen: man muss viel mehr in die russische Sphäre hineinwirken.

Den Ernst der Lage hätten noch immer zu wenige begriffen, meint auch Grünen-Osteuropa-Experte Robin Wegener, niemand wolle die Worst-Case-Szenarien hören, „wir müssen uns aber auf sie einstellen, eben damit sie nicht eintreten“. Es sei nicht gelungen, westliche Narrative zu stärken; die Erfolge von AfD und BSW (und der Linken, die sich gegen weitere Waffenlieferungen aussprechen) bei der Bundestagswahl zeigen dies ohnehin.

X und TikTok verbieten?

Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew sieht das Wahlergebnis als Erfolg Putins. Alle Versuche Russland zu demokratisieren ­– aus dem Exil heraus oder von außen – hält er für zum Scheitern verurteilt: „Du kannst Demokratie nicht als Infusion verabreichen“.

Über den Desinformationskrieg spricht zuvor bereits Anton Hofreiter (Grüne) im Talk „Why Ukraine is integral for better strategy in Europe“. „Wir sind auch in einem ideologischen Krieg“, erklärt er, die EU müsse deshalb die Internetplattformen viel stärker einschränken, mit China gebe es überdies einen weiteren Gegner.

„X und TikTok sind Propagandainstrumente der US-Tech-Oligarchen und Xi Jinpings. Warum erlauben wir es ihnen in der EU so zu agieren?“ Auch Stefanie Babst, die lange in führenden Positionen bei der NATO arbeitete, erkennt eine gewisse Naivität Europas, „wir müssen zum Beispiel die Schattenflotten Putins stoppen, die die Ostsee queren“, sagt sie. Sie sieht Europa ebenfalls in einem ideologischen Mehr-Fronten-Krieg.

Das transatlantische Bündnis sei vorerst Vergangenheit – wenn Trump die regelbasierte Ordnung infrage stelle, könnten die USA kein Partner mehr sein. „Sein Ziel ist eine geschwächte und geteilte Ukraine“, sagt Babst.

Die Abkehr der USA von Europa und der Weckruf zu mehr Eigenständigkeit sind fast überall Thema, gleich eingangs zitiert der KAS-Vorsitzende Norbert Lammert den Namensgeber der Stiftung, der bereits 1950 sagte, Europa lebe „von der Gnade der Vereinigten Staaten“, aber es werde „eines Tages der Augenblick kommen und kommen müssen, in dem dieses Europa wieder sich selbst helfen kann und auf eigenen Füßen stehen muß.“

Was es bedeutet, in russischer Gefangenschaft zu leben, hat Menschenrechtler und Journalist Maksym Butkevych am eigenen Leib erlebt, er war von Juni 2022 bis Oktober 2024 in russischer Haft. Auch Butkevych, Gründer des unabhängigen Menschenrechtszentrums ZMINA und antirassistischer Aktivist, ist zu Gast; sein Auftritt ist einer der bewegendtsen.

In der Haftzeit seien Drohungen, Gewalt und Folter an der Tagesordnung gewesen, „aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben. Ich habe nie das Gefühl gehabt, ich sei von der Welt vergessen worden.“ Er glaubt heute mehr als zuvor an seine Arbeit, da er selbst erlebt habe, was es bedeutet, fast aller grundlegenden Menschenrechte beraubt zu sein.

Die Atmosphäre, die das Café Kyiv ausstrahlt, ist an sich schon ein Erfolg. Eine quicklebendige Kultur präsentiert sich mit DJ-Sets, Filmen, neuen Buch- und Musikveröffentlichungen, Handarbeiten, D.I.Y.-Ständen. Man kommt ins Gespräch miteinander, Verleger:innen, Soldat:innen, Diplomat:innen, Be­su­che­r:in­nen schlendern im Foyer aneinander vorbei.

Zur ersten Auflage des Festivals wurde das Café Moskau 2023 an der Karl-Marx-Allee temporär in Café Kyiv umbenannt. Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev insistiert nun, zwei Jahre später, erneut darauf, diesen Ort dauerhaft umzubenennen. Es wäre ein Zeichen, dass man auch hierzulande verstanden hätte.

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