Gesundheit

Ibuprofen, Aspirin und Co: Simple Fiebermittel können Metastasen zerstören |ABC-Z

Fiebersenkende Schmerzmittel sind potenter als gedacht: Offenbar verhindern sie, dass Krebszellen unter dem Radar des Immunsystems durchschlüpfen. Wer jeden Tag eine kleine Menge einnimmt, kann sein Risiko senken, zum ersten Mal oder wiederholt an Krebs zu erkranken.

Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac: Fast jeder hat diese Arzneimittel als Markenprodukte oder kostengünstige Generika in seiner Hausapotheke. Dass diese Medikamente nicht nur Schmerzen lindern, sondern auch Entzündungen hemmen und Fieber senken, ist schon lange bekannt. Nun häufen sich die wissenschaftlichen Hinweise, dass noch mehr in ihnen stecken könnte: Mittel gegen Krebs.

Es ist eine lange Liste von Namen, mit denen das aktuellste Indiz, eine Studie im Fachmagazin „Nature“, beginnt. Forscher aus Großbritannien und Taiwan, aus Frankreich und Italien haben sich zusammengetan, um zu verstehen, was vor einigen Jahren in einer Studie zu Schlaganfällen passiert war. Dort hatte man sich eigentlich den Effekt von Acetylsalicylsäure, besser unter der Abkürzung ASS und vor allem unter dem Markennamen Aspirin bekannt, als Dauermedikation für Risikopatienten angesehen – der Wirkstoff ist auch ein Blutverdünner.

Die Auswertung ergab damals Verblüffendes. In der Gruppe, in der sich aufgrund des fortgeschrittenen Alters auch etliche Krebspatienten befanden, traten nicht nur weniger Schlaganfälle auf. Vor allem kam es zu deutlich weniger Fällen als erwartet, in denen eine Krebserkrankung wiederaufflammte.

Der Verdacht der Immunologen: Das könnte an dem Enzym liegen, das von ASS und den anderen Schmerzmitteln aus der Gruppe der „nichtsteroidalen Antirheumatika“, kurz NSAR, außer Gefecht gesetzt wird, an der sogenannten Cyclooxygenase-1. Dieses Enzym stellt Gewebshormone her, die für die Steuerung der Säureproduktion im Magen und vor allem von Entzündungsreaktionen überall im Körper zuständig sind.

Auch Stoffe, die die Blutgerinnung und den Blutdruck beeinflussen, werden von dem Enzym Cyclooxygenase-1 synthetisiert, in den Blutplättchen. Der dafür zuständige Signalstoff heißt Thromboxan A2, kurz TXA2. Dieser ist zudem entscheidend dafür, ob ein Tumor Metastasen bilden kann oder nicht.

Wenn ein Tumor streut, werden einzelne Zellen auf die Reise. Lassen die sich an anderen Stellen des Körpers nieder und beginnen sich zu teilen, nennt man das Mikrometastase. Diese Neubildungen sind so klein, dass sie in bildgebenden Verfahren nicht entdeckt werden. Aber bestimmte Immunzellen, die T-Zellen, können sie identifizieren und zerstören.

Viele Tumorzellen beherrschen den Trick, Blutplättchen zur Bildung von TXA2 anzuregen, das beruhigt aufgeschreckte T-Zellen wieder, lullt sie förmlich ein. Blockiert nun aber ASS das fragliche Enzym, kann kein TXA2 mehr hergestellt werden. Die Immunzellen werden wieder wach, finden und entsorgen Mikrometastasen. Der mehr als 125 Jahre alte Arzneistoff funktioniert offenbar wie eine moderne Immuntherapie.

Nachweisen konnte das die Forschergruppe mithilfe von Labormäusen. Die Wissenschaftler verursachten bei den Nagetieren bestimmte Tumorerkrankungen und setzten diese dann einer täglichen Niedrigdosistherapie mit Aspirin aus, was besonders effektiv auf die Enzyme in den Blutplättchen wirkt. Zusätzlich veränderten sie die Mäuse genetisch so, dass deren T-Zellen mal auf die einschläfernden Signale reagieren konnten und mal nicht.

In den Versuchen an Mäusen bestätigte sich, dass Aspirin die Wahrscheinlichkeit der Metastasenbildung bei verschiedenen Krebsarten senken kann, unter anderem bei Brust-, Haut- und Darmkrebs. Zuvor hatten Studien an Menschen bereits ergeben, dass eine ständige Zufuhr von Acetylsalicylsäure womöglich die Hälfte der Metastasen verhindern kann. Zu anderen Wirkstoffen, die ebenfalls am Enzym Cyclooxygenase-1 ansetzen, gibt es ähnliche Daten. So scheinen auch Ibuprofen und Diclofenac als Dauertherapie das Wiederauftreten von Krebs verhindern zu können.

Allerdings stehen bei all diesen Substanzen auch Nebenwirkungen im Raum. ASS kann Magenblutungen und Asthma-Anfälle auslösen, Ibuprofen kann die Herzleistung verringern, Leber und Nieren schädigen. Diclofenac wiederum wird zu einem immer größeren Problem für die Gewässer: Wasserwerke können den Wirkstoff nicht aus dem Abwasser entfernen, Fische verändern bei Kontakt ihr Geschlecht.

Der Krebsforscher Edgar Dahl vom Institut für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen zweifelt noch, ob jetzt in Sachen Acetylsalicysäure zur Krebsabwehr alles klar ist: „Der hier dargestellte Wirkmechanismus erscheint sehr plausibel. Allerdings wurden zuvor auch bereits verschiedene Wirkmechanismen bei verschiedenen Tumorsorten beschrieben, es gibt vermutlich kein einheitliches molekulares Prinzip. Auch scheint die Wirksamkeit von weiteren Faktoren, wie im Tumor vorhandenen ‚Treibermutationen‘, abhängig zu sein.“

Am besten untersucht seien die Gegebenheiten beim kolorektalen Karzinom, sprich Dickdarmtumoren. Für diese Fälle hatten Forscher des Karolinska-Instituts in Stockholm gezeigt, was die Krebszellen besonders empfänglich gegenüber der ASS-Bremse macht: Sie tragen eine bestimmte Mutation namens PIK3CA. Da man das nun so genau weiß, könnte man Patienten auf diese Mutation testen und ihnen nach ihrer Krebsoperation auf jeden Fall die Niedrigdosis-Dauertherapie mit Acetylsalicylsäure empfehlen.

Es ist dieselbe Menge, die man auch Schlaganfallpatienten rät, 75 Milligramm pro Tag. Während die einen Wissenschaftler noch überlegen, ob man diese Therapie Krebspatienten nach ihrer ersten Operation empfehlen darf, forschen andere schon daran, ob nicht auch die Entstehung von Krebs mit ASS zu verhindern wäre.

So am Universitätshospital im englischen Southampton: Hier behandelten Ärzte vorsorglich Menschen mit Diabetes, die ein erhöhtes Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs haben, und dazu noch ganz durchschnittliche Patienten. Mit dem Ergebnis, dass der als besonders gefährlich geltende Krebs in beiden Gruppen seltener auftrat, die Diabetespatienten senkten ihr Risiko um 40, die Kontrollgruppe um 20 Prozent.

Die Studie steht nicht irgendwo im Internet, sondern ist auf der Website des NHS, National Health Service, dem nationalen Gesundheitsdienst in Großbritannien zu finden. Die Behörde ist bekannt dafür, neue Behandlungen besonders dann einzuführen, wenn sie ebenso wirksam wie kostengünstig sind.

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