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Bundesliga: Wie der kleine FC St. Pauli dem großen Geld der Fußball-Welt trotzen will | ABC-Z

Der Hamburger Fußball-Erstligist hat eine Genossenschaft gegründet, um den Verein auf ein wirtschaftlich stärkeres Fundament zu stellen – und um zugleich dessen Identität und Eigenheiten als „Kiez-Klub“ zu erhalten. Wie sich der FC St. Pauli damit in der Ersten Fußball-Bundesliga halten will, sagt Vereinspräsident Oke Göttlich.

Er klingt stolz und aufgeräumt an diesem Abend beim Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten, obwohl er erkältet ist. Für die neue Genossenschaft Football Cooperative St. Pauli von 2024 eg (FCSP eG) habe man bislang 21,3 Millionen Euro eingeworben und 17.500 Mitglieder gewonnen, sagt Oke Göttlich, der Präsident des FC St. Pauli. Das Ziel von 30 Millionen Euro Genossenschaftskapital habe man nicht erreicht, aber die Freude über den Zwischenstand sei im Verein dennoch groß. Ende März endet die Zeichnungsfrist: „Ich fände es schön, wenn wir bis dahin an die 25 Millionen Euro herankommen und die Zahl von 20.000 Genossenschaftsmitgliedern erreichen könnten“, sagt Göttlich.

Es ist eine mutige und vermutlich wegweisende Entscheidung, den Profifußball im kleineren der beiden Hamburger Bundesliga-Vereine als Genossenschaft auf eine neue Grundlage zu stellen. Der FC St. Pauli ist ein selbstbewusster Verein, der von einer starken Basis an Fans und Mitgliedern getragen wird. Der große Hamburger SV, der jahrelang vom Logistikunternehmer und Mäzen Klaus-Michael Kühne mit hohen Kreditsummen unterstützt worden war, ringt seit dem Abstieg 2018 um die Rückkehr aus der Zweiten in die Erste Fußball-Bundesliga. Dem FC St. Pauli gelang 2024 der in der Vereinsgeschichte sechste Aufstieg in die Erste Bundesliga aus eigener Kraft. Derzeit allerdings steht der Verein nur auf dem durchaus abstiegsgefährlichen 15. Tabellenplatz.

Die Frage, wie sich der Profifußball in Deutschland finanzieren soll, ist die härteste Schlacht dieses Sports neben den Vereinsduellen auf dem Rasen und in den Tabellen. Vereine wie der FC St. Pauli, die auf die eigene Mitgliederbasis und sehr stark auch auf die Eigenentwicklung von Spielern setzen, wirken in der heutigen Fußballwelt geradezu archaisch – in einem Umfeld, das in Deutschland zum Beispiel beim FC Bayern von Konzernen wie Adidas oder Volkswagen mitfinanziert wird oder in Leipzig vom Getränkehersteller Red Bull. Nicht zu reden von der europäischen Ebene, auf der Hunderte Millionen Euro für einzelne Spielertransfers inzwischen völlig normal sind, in der Oligarchen aus der arabischen Region oder aus Russland selbstverständlich mitmischen.

Der FC St. Pauli und dessen Präsident Oke Göttlich stehen für eine enge Bindung von Vereinsbasis und Profifußball, für „gelebte Demokratie“ im Verein, wie Göttlich sagt, obwohl das eine permanente Gratwanderung zwischen der Vereinsidentität und den finanziellen Erfordernissen des Profifußballs ist. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Unternehmer wie der Hörgeräte-Hersteller Martin Kind, der zu den Investoren der Profifußball-Sparte beim Zweitligist Hannover 96 zählt und der lange Zeit Geschäftsführer der vereinseigenen Hannover 96 Management GmbH war. Akteure wie Kind wollen – auch vor Gericht – die „50 plus 1“-Regel kippen, die den Vereinen in Deutschland grundsätzlich die Mehrheit der Anteile an ihren Profifußball-Abteilungen sichert.

Der FC St. Pauli hat 50.000 Mitglieder, 30.000 Plätze gibt es im Millerntor-Stadion im Zentrum der Stadt. Die Genossenschaftsanteile wurden für 750 Euro plus 100 Euro Aufgeld ausgegeben. Rund 80 Prozent der Anteile seien im Umkreis von zehn Kilometern um das Stadion herum gezeichnet worden. Das zeige die Verbundenheit des Vereins mit seinen Mitgliedern und Fans, sagt Göttlich. Die Genossenschaft werde vor allem auch das vor einigen Jahren neu gebaute Stadion übernehmen und den Verein damit finanziell entlasten. Im Hamburger Stadtteil Lokstedt will der FC St. Pauli zudem sein Trainingsgelände demnächst von zwei auf sieben Plätze erweitern, auch, um damit den Statuten der Deutschen Fußball Liga (DFL) zu entsprechen.

Göttlich sagte, man werde die Genossenschaft für bestimmte Projekte künftig voraussichtlich für weitere Anteilseigner öffnen, Nachrücker für ausscheidende Genossen stünden zudem auf einer Warteliste. „Ich halte die Genossenschaft für ein in Deutschland allgemein stark unterrepräsentiertes und unterprivilegiertes Unternehmensmodell“, sagt er. Allerdings sei speziell Hamburg traditionell eine „Genossenschaftsstadt“, etwa beim Wohnungsbau, mit viel Verständnis für diese Unternehmensform.

Die wirtschaftliche Basis des FC St. Pauli ist schmal: Bei derzeit rund 100 Millionen Euro Jahresumsatz würde der Verein durch einen Abstieg von der Ersten in die Zweite Fußball-Bundesliga rund 20 bis 30 Millionen Euro Umsatz verlieren, sagt Göttlich, vor allem auch durch geringere TV-Einnahmen. Zum Vergleich: Der FC Bayern, deutscher Rekordmeister und aktueller Tabellenführer der Ersten Bundesliga, erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2023/24 einen Rekordumsatz von 951,5 Millionen Euro und 62,7 Millionen Euro operativen Gewinn (Ebit). Inklusive der FC Bayern Basketball GmbH und des FC Bayern München e.V. lag der Umsatz bei 1,017 Milliarden Euro.

„Wir wollen ein etablierter Erstligist werden, doch dafür fehlen uns etwa 20 bis 30 Millionen Euro im Jahr“, sagt Göttlich. „Wir müssen investieren. Unsre Ausstattung und Infrastruktur ist derzeit nur unterer Durchschnitt der Zweiten Liga.“ Um beim Aufbau der wirtschaftlichen Basis auch nur an einen der anderen kleineren Erstligavereine wie etwa Mainz 05 heranzukommen, „müsste Mainz noch einmal zwei Jahre lang Zweite Liga spielen und wir noch fünf Jahre lang Erste Liga“.

Die Genossenschaft soll dem FC St. Pauli die Mittel an die Hand geben, in den kommenden Jahren nachhaltig zu wachsen, ohne dabei den eigenen Charakter zu verlieren. Einen Nachahmer haben die Hamburger inzwischen gefunden: Auch der Traditionsklub Schalke 04 gründet eine Genossenschaft. Seit Januar haben die Königsblauen Anteile im Gesamtwert von rund 6,2 Millionen Euro verkauft. Jeder Anteil kostet dort 250 Euro sowie 75 Euro Aufgeld.

Eine wesentliche Innovation und Erleichterung, sagt Göttlich, haben die Schalker dabei – anders als der FC St. Pauli – bereits nutzen können. Seit dem 1. Januar kann man Genossenschaftsanteile in Deutschland digital zeichnen.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland.

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