Gesundheit

Corona-Pandemie: „Die Eiweißmuster im Blut unterscheiden sich bei Menschen mit und ohne Post-Covid-Syndrom“ |ABC-Z

Die Folgen der Pandemie sind bis heute spürbar. Um Menschen besser helfen zu können, die unter Post Covid-Symptomen leiden, haben Mainzer Mediziner einen Test und eine App entwickelt. Und britische Forscher berechneten, wie viele Lebensjahre den Europäern verloren gingen.

Fünf Jahre nach Beginn der Pandemie leiden noch immer zahlreiche Menschen unter Post Covid – Tendenz zuletzt wieder steigend. Unter Leitung des Epidemiologen Philipp Wild wurde an der Universitätsklinik in Mainz ein Test entwickelt, mit dem Hausärzte künftig feststellen können, ob die Beschwerden ihrer Patienten auf Post Covid zurückzuführen sind oder andere Ursachen haben.

Mithilfe einer ebenfalls entwickelten App will Wilds Team zudem den Krankheitsverlauf Betroffener systematischer erfassen und auswerten. Wie, das erläuterte Wild, Leiter der Abteilung für Präventive Kardiologie und Medizinische Prävention sowie der für Klinische Epidemiologie und Systemmedizin.

Die Mainzer Wissenschaftler haben außerdem ein Surveillance-System zur systematischen Erhebung und Erfassung entwickelt und erprobt. Mit diesem könnten sie in einer neuen Pandemie zuverlässig feststellen, wie es den Menschen gesundheitlich, aber auch in ihrer Lebenssituation unter Schutzmaßnahmen geht.

In den letzten beiden Quartalen 2024 ist die Zahl der von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erfassten Fälle wieder leicht gestiegen, auf zuletzt mehr als 9000 Fälle allein in Rheinland-Pfalz. Insgesamt hätten 2024 fast 16.000 unterschiedliche Patienten die Diagnosen mindestens in einem Quartal erhalten, berichtete die KV für dieses Bundesland. Dabei sei die Dunkelziffer sicher hoch, sagte Wild. „Denn längst nicht jeder bringt seine Symptome mit einer Covid-Infektion in Zusammenhang.“

In den fünf von der Landesregierung finanziell geförderten Post-Covid-Ambulanzen haben in den ersten knapp 1,5 Jahren fast 2600 Menschen Hilfe gesucht, wie das Gesundheitsministerium berichtet. „Die Ambulanzen sind insbesondere gedacht für komplexe Post-Covid-Fälle, die mit einem hohen Koordinationsaufwand einhergehen“, sagt Ministeriumssprecherin Susanne Gellweiler. „Sie sollen und können nicht die komplette Versorgung von Post-Covid-Patientinnen und Patienten übernehmen.“

Wenn die Symptome drei Monate nach einer Infektion noch anhalten, sprechen Ärzte nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO von Post-Covid. Viele Beschwerden besserten sich ein bis zwei Jahre nach der Infektion deutlich, sagte Wild.

Erschöpft, vergesslich, schnell überlastet

Chronische Fatigue, was mit anhaltender Müdigkeit und Erschöpfung einhergeht, Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie eine Belastungsmalaise, also eine Verschlechterung der Symptome nach nur geringer Belastung, sind nach Darstellung von Wild besonders häufige und klassische Symptome. Aber auch anhaltende Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Schwindel und Atemnot könnten auf Post Covid hinweisen.

„Die Eiweißmuster im Blut unterscheiden sich bei Menschen mit und ohne Post-Covid-Syndrom und in Abhängigkeit vom jeweiligen Beschwerdebild oder Symptomprofil“, erklärte Wild. „Das gibt uns Hoffnung, die Mechanismen besser verstehen zu können und damit möglicherweise Ansatzpunkte für Therapien zu finden.“

Für Hausärzte wurde von seiner Forschungsgruppe ein Test entwickelt, der allein auf dem Beschwerdeprofil der Betroffenen basiert und daher vergleichsweise einfach und schnell im Praxisalltag angewendet werden kann, wie Wild sagte. Bei 99 Prozent der Patienten mit Post-Covid falle dieser Test positiv aus – „leider zu einem Teil auch bei nicht durch Post Covid kranken Menschen“. Aber bei einem negativen Testergebnis könne praktisch ausgeschlossen werden, dass die Beschwerden durch Post Covid bedingt seien. „Das ist hilfreich für die weitere Diagnostik“, sagt der Mainzer Epidemiologe.

Die Mediziner erfassen in einem anderen Projekt die Verläufe von Post-Covid-Erkrankungen. Zur wöchentlichen Befragung der Patienten soll von Mai an eine App eingesetzt werden. Sie soll sicherstellen, dass sich die Betroffenen an möglichst viel erinnern und das auch dokumentieren, damit die Erfassung der Beschwerden systematischer und genauer wird. Denn häufig erinnerten sich Patienten beim Arzt nicht mehr so genau daran, wie es ihnen im Verlauf der letzten Wochen erging, berichtete Wild.

Die Mediziner wollen in dem von der Landesregierung geförderten Projekt genau erfahren, ob eine Therapie hilft, ob bestimmte Gruppen besonders von bestimmten Therapieformen profitierten. Es gehe auch darum, Unterschiede zwischen Männern und Frauen und verschiedenen Altersgruppen zu berücksichtigen. Begleiterkrankungen oder die Interaktionen verschiedener Medikamente könnten so auch besser erfasst werden. Denn manche Therapie sei sehr eingreifend, wie etwa die Gabe von Gerinnungshemmern für das Blut oder von Immunsuppressiva.

Die meisten teilnehmenden Patienten seien in den Post-Covid-Ambulanzen im Land in Behandlung. „Die Ambulanzen erwarten sich dadurch eine wertvolle Unterstützung“, berichtete Ministeriumssprecherin Gellweiler.

Die Schutzmaßnahmen und Regeln in der Corona-Pandemie hätten einige Menschen als positiv und andere als negativ erlebt, erinnert Wild. So seien manche Familien enger zusammengerückt, die Kinder seien selbstständiger geworden und seien näher ans Digitale gerückt. Andere hätten in engen Räumen nicht nur ein höheres Infektionsrisiko, sondern auch deutlich höhere psychosoziale Belastungen erlebt. „Die Verlierer der Corona-Pandemie waren in unserer Gesellschaft vornehmlich klar die sozial schwächer gestellten Menschen.“ Manch alter Mensch sei vereinsamt, andere hätten vermehrte Online-Anrufe der Familie und Fürsorge aus der Nachbarschaft als positiv erlebt.

Impfskeptiker seien längst nicht immer Verschwörungsanhänger gewesen. Und manche Menschen hätten aus irrationalen Ängsten auf wichtige medizinische Untersuchungen und Behandlungen verzichtet – mit negativen Folgen für ihre Gesundheit, erinnerte Wild.

Um in einer neuen Pandemie herauszufinden, wie es den Menschen wirklich geht, kann das Team um Professor Wild auf ein von ihm in Rheinland-Pfalz erprobtes digitales Surveillance-System zurückgreifen. Denn damit konnte erfasst werden, wie Menschen mit den gegen das Coronavirus verhängten Schutzmaßnahmen zurechtkamen, was sie gesundheitlich und auch psychosozial für ihr Wohlbefinden brauchten.

Ferner berichten Forscher aktuell im Fachjournal „PLOS Medicine“ über die geschätzte Zahl an Lebensjahren, die aufgrund der Covid-19-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022 verloren gingen, als wenn sie nicht stattgefunden hätte. Unter Federführung von Abbas Dehghan und Paul Elliott vom Imperial College sowie Mika Kivimaki vom University College London hat ein Team quantifiziert, wie sich die Pandemie auf 18 europäische Länder und deren rund 290 Millionen Einwohner auswirkte. Insgesamt seien dort 16,8 Millionen Lebensjahre verloren gegangen, davon in Deutschland mehr als zwei Millionen.

Für diese Analyse haben die Forscher Daten verschiedener nationaler Institute, der WHO sowie Sterblichkeits- und Krankheitsraten aus 18 europäischen Ländern ausgewertet. Mit einer statistischen Modellanalyse wurde für den Zeitraum von 2020 bis 2022 die verlorenen Lebensjahre bestimmt: Das Modell nutzte für die Berechnung das hypothetische Szenario, in dem nie eine Pandemie stattgefunden hätte. Aus dem Vergleich dieser Ergebnisse mit dem Modell mit realen Pandemiedaten ergab sich die Einschätzung zu den durch die Pandemie verursachten „person years of life loss“, den pro Person verlorenen Lebensjahren.

Von den verlorenen 16,8 Millionen Lebensjahren seien 3,6 bis 5,3 Millionen auf indirekte Pandemie-Folgen zurückzuführen, der Start der Impfungen habe zu einem geringeren Anteil an direkten Verlusten geführt. Gut 60 Prozent der verlorenen Lebenszeit hätten Menschen vermutlich ohne Beeinträchtigung verbringen können, wäre die Pandemie nicht ausgebrochen. Im Ländervergleich schnitten Länder mit höherer Impfquote und höherem Bruttoinlandsprodukt besser ab.

Maßnahmen dämpften Grippewelle

Die Strenge der Pandemie-Maßnahmen floss als Faktor nicht mit ein: Am wenigsten Lebensjahre pro 1000 Einwohner verloren Schweden, Dänemark und die Schweiz, am meisten Estland, Polen und Spanien. Deutschland und Österreich lagen im Mittelfeld. Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die Pandemie die sozioökonomischen Ungleichheiten bei der vorzeitigen Sterblichkeit zwischen den Ländern verschärft und die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Lebenserwartung vergrößert hat.

„Die Autoren verwenden eine fortgeschrittene und angemessene Methodologie zur Quantifizierung der verlorenen Lebensjahre“, kommentiert Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock die Studie und erklärt: „Die Pandemiemaßnahmen haben nicht nur die Ausbreitung von Covid-19 gebremst, sondern auch die Ausbreitung der saisonalen Grippe, besonders im Winter 20/21.“

Mit der Rückkehr der Influenza in der Wintersaison 21/22 und 22/23 sei dann – zusätzlich zu Covid-19 – eine Influenza-bedingte Übersterblichkeit aufgetreten. Dies lasse sich besonders klar für Österreich, Deutschland, die Schweiz, Belgien, und die Niederlande feststellen. „In manchen Regionen, Schottland zum Beispiel, gab es eine Zunahme an alkohol- und drogenbedingter Übersterblichkeit während der Covid-19-Pandemie“, hält Schöley fest.

Die Covid-19-bedingte Übersterblichkeit in einem Land lässt sich laut Schöley grob durch zwei Faktoren erklären: die Anzahl der Ansteckungen und das Risiko, nach Ansteckung zu sterben. Die Impfung habe das Risiko, an Covid-19 zu sterben für jeden einzelnen Geimpften zuverlässig und deutlich gesenkt, vermochte es aber nicht, die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen.

Ira Schaible, dpa/sk

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