Gesundheit

Krankenkasse: Wie Ärzte angeblich das Geld der Krankenkassen verschwenden |ABC-Z

Eine Analyse einflussreicher Gesundheitsökonomen deckt auf, was sich hinter dem Kassendefizit auch verbirgt: Geldmacherei mit Untersuchungen, die medizinisch nicht nötig sind. Die Angst vor Krebs und chronischen Schmerzen spielt dabei eine große Rolle.

Es geht um Milliarden Euro Honorar und insgesamt 24 medizinische Leistungen, die in deutschen Arztpraxen häufig erbracht und abgerechnet werden. Die aber nach Ansicht von Versorgungsforschern „fragwürdig“ sind, deren Gegenwert größer ist als das Defizit der Krankenkassen.

Die verheerende Analyse ist im Fachblatt für Gesundheitswissenschaften „Value in Health“ erschienen. Erarbeitet hat sie ein Forscherteam der Technischen Universität Berlin, der Techniker Krankenkasse und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Bezahlt hat die Arbeit der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses, also der Instanz, die in Deutschland definiert, was Kassenleistung sein sollte und was nicht.

Die Forschungsgruppe an der TU Berlin wird von Reinhard Busse geleitet. Der Professor für Gesundheitsökonomie ist Mitglied der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ – also einer der Köpfe hinter der aktuellen Krankenhausreform, es ist ein sehr einflussreiches Gremium. All das bedeutet: Die Chance, dass Ärzte mit den identifizierten vermeintlichen Unsinns-Leistungen weiter Kasse machen können, stehen nicht gut.

An den Pranger gestellt wurden alle möglichen Untersuchungen, von Laborparametern rund um die Schilddrüse bis zu bildgebenden Verfahren bei Migräne. Die Forscher sahen sich in den Daten der Techniker-Krankenkasse (TK) von 2019, 2020 und 2021 an, wann Ärzte welche Untersuchungen abrechneten. So werteten sie es auch als wenig sinnvoll, im Blut gesunder Patienten nach Tumormarkern zu suchen. Diese Untersuchung wäre eigentlich erst dann angezeigt, wenn Menschen bereits eine Krebserkrankung haben, zur Verlaufskontrolle.

Im Durchschnitt wurden 10,6 Millionen Leistungen pro Jahr abgerechnet. Davon waren je nach Jahr zwischen 430.000 und 1,1 Millionen Fälle ohne klaren medizinischen Nutzen. Es gab als Jahre, in denen jede zehnte ambulant abgerechnete Leistung keinen Sinn ergab. Die direkten Kosten für diese Art von Medizin beliefen sich für die Kasse auf zehn bis 15,5 Millionen Euro jährlich.

Hormone, Tumormarker, Knochendichte

Das sind zwar nur Ausgaben im einstelligen Prozentbereich der Gesamtausgaben dieses Versicherers. Aber rechnet man den Befund für die 471.000 TK-Versicherten auf alle deutschen Krankenkassen mit ihren 75 Millionen Versicherten hoch, dann geht es um einen Milliardenbetrag, um eine Summe zwischen 1,6 und 2,5 Milliarden Euro. Mehr als das Krankenkassendefizit von 2024 von 1,4 Milliarden Euro.

Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Bestimmung der beiden Schilddrüsenhormone fT3 und fT4. Laut der aktuellen Studie wurde die Leistung im Analysezeitraum in 315.622 Fällen bei 214.347 Patientinnen und Patienten mit diagnostizierter Schilddrüsenunterfunktion durchgeführt und kostete rund 2,2 Millionen Euro.

Es war die häufigste und in Summe teuerste der identifizierten Untersuchungen. Unnötig ist sie nach Ansicht der Forscher, weil bei dieser Diagnose der Wert eines anderen Hormons, von TSH, bereits als aussagekräftig gilt. „Eine zusätzliche Messung von fT3/fT4 liefert keine weiteren diagnostischen Erkenntnisse.“

An Platz zwei der unnötigen Behandlungen stehen die Tumormarker bei Nicht-Krebspatienten, 63.940 Abrechnungen für 48.242 Patienten – 523.980 Euro. Danach folgen auf den ersten zehn Plätzen: Magenspiegelung wegen Oberbauchschmerzen (23.595 Fälle, 1,9 Millionen Euro), Rachentest auf Streptokokken A (18.875 Fälle, 47.149 Euro), Bildgebung wegen Kopfschmerzen und Migräne (15.643 Fälle, 838.733 Euro), ein EEG bei Kopfschmerzen (13.436 Fälle, 305.550 Euro), Bildgebung bei Rückenschmerzen (12.537 Fälle, 684.051 Euro), häufige Knochendichtemessung (4370 Fälle, 119.796 Euro), Röntgenbilder vor Operationen im Oberkörper (2151 Fälle, 33.558 Euro) und Screenings für Nierenkrebs bei Dialysepatienten (813 Fälle, 15.593).

Es sind allesamt Behandlungen, die aus Patientensicht erst einmal sinnvoll – und vor allem beruhigend – klingen. „Die im Rahmen der Studie betrachteten Leistungen sollten aus ärztlicher Sicht nur unter größtmöglicher Zurückhaltung erbracht werden. Dies erfordert eine besonders kritische Indikationsstellung“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried dem „Deutschen Ärzteblatt“.

Niedergelassene Ärzte reagieren bereits auf die Studie – wenig erfreut und mit Argumenten, die man sich anhören sollte. Eine Hausärztin aus Bremen schreibt WELT, Knochendichtemessung sei bei den Kassen bereits eine strikt beschränkte Leistung, für Hochrisikopatienten, für Menschen mit „langfristiger Kortisontherapie, mehreren Knochenbrüchen ohne adäquates Trauma“. Erhöben Kassenärzte Blutwerte wie die genannten Schilddrüsenhormone oder Tumormarker, dann würden sie selbst damit nichts gar nicht verdienen. „Sie werden dem veranlassenden Arzt vom Laborbudget abgezogen – wer mehr Labor anordnet, verliert Geld. Und Termine für das Bildgebungsverfahren MRT oder für Magenspiegelungen sind mittlerweile so knapp, dass man sich sehr gut überlegt, wen man noch zur Diagnostik schickt. Übrigens verdient auch hier der zuweisende Arzt nichts an der Diagnostik.“

Dir Studie der Gesundheitsökonomen wurde mit 800.000 Euro vom Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert. Es dürfte dort bei den nächsten Sitzungen des viel zu besprechen geben.

Der Artikel wurde am 7. März aktualisiert.

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