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Münchner kämpft gegen Algen-Plage: „Keiner wird Urlaub dort verbringen“ | ABC-Z

AZ: Herr Gerdsmeier, wie um alles in der Welt kommt ein Münchner darauf, eine Organisation in Monaco zu gründen, die die Ozeane retten will?
PASCAL GERDSMEIER: Gute Frage! (lacht) Sie müssen wissen: Meine Großeltern haben in Monaco gelebt, somit habe ich den Bezug nach Monaco. Ich selbst habe dort studiert und auch mal gelebt.

Klingt romantisch. Wie wollen Sie aber die Weltmeere von Schwabing aus retten?
Von meinem ehemaligen Appartement in Monaco blickte ich auf den Hafen und sah jeden Tag die Schiffe ein- und wieder ausfahren. Vielleicht habe ich als Deutscher eine andere Brille auf: Naturschutz und Umweltschutz liegen mir am Herzen, genauso wie Prinz Albert, der eine eigene Stiftung auflegte und sich für das Wohl und Wehe der Welt einsetzt. Als ich mich vor ein paar Jahren mit den Leuten, die auf den großen Schiffen, Booten und Yachten arbeiteten, unterhielt, hieß es: Dem Meer geht es zunehmend schlechter.

Pascal Gerdsmeier.
Pascal Gerdsmeier.
© Circular Waves
Pascal Gerdsmeier.

von Circular Waves

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Klingt nach Alarmstufe rot. Und dann?
Dann habe ich sie gefragt, was sie dagegen unternehmen würden. Sie zuckten mit den Schultern. Ich weiß nicht, ob es ihnen egal war. Ich weiß nur, dass sie nichts unternehmen.

Wo die toxische Algenart schon überall ein Problem ist

Und deswegen haben Sie 2023 eine Non-Profit-Organisation …
… „Circular Waves“ gegründet, bei der ich Co-Founder und Präsident bin. Mit dem Konzept bin ich schnurstracks zur Technischen Universität München marschiert. Ich habe den Experten von meiner Idee, Plastik mit einem Schiff einzusammeln und daraus Wasserstoff zu produzieren, um Energie zu gewinnen, erzählt. Sie haben mir auch aufmerksam zugehört.

Aber?
Sie haben mir zu verstehen gegeben, dass Plastik ein Problem sei, aber nicht das größte. Das größte Problem seien invasive Braunalgen, sie seien das größte Übel überhaupt. Wenn sie sich weiter so ausbreiten, so sagten es mir die Wissenschaftler, würden sie das gesamte Gleichgewicht der maritimen Ökosysteme ins Wanken bringen.

Wieso sind Braunalgen ein so großes Problem?
Diese toxische Algenart wurde durch den Schiffsverkehr eingeschleppt, vermehrt sich wie verrückt. Sie haben sich vor fast allen Küsten und Fischerei-Regionen in ungeheuren Mengen ausgebreitet. Im Mittelmeer, im Indischen Ozean, Australien und Südamerika.

Deswegen sind diese Algen so schädlich

In den Alpen frisst der Borkenkäfer die Wälder in den Alpen nieder. Das verstehe ich. Warum sind die Braunalgen aber so gefährlich?
Die Braunalgen, die sich wie ein riesiger Teppich auf dem Wasser ausbreiten, lassen kein Sonnenlicht durch, sind giftig und ihre Stoffwechselprodukte vergiften das regionale Ökosystem. Sie verdrängen die einheimischen Arten. Insbesondere die Seegraswiesen – die Kinderstube zahlreicher Meeresbewohner – sterben ab. Der Sauerstoffgehalt im Wasser sinkt, die Fische sterben. Dort unten sieht es wie bei dem Film „The Day After Tomorrow“ aus. Das ist für die Tierwelt eine Katastrophe – und auch für die Menschen.

Wie können Braunalgen im Meer den Menschen an Land bedrohen?
Es gibt Regionen, in denen die Fischerei für die Menschen vor Ort ihre einzige Einnahmequelle ist. Viele Küstenregionen leben vom Tourismus und den Häfen. Der Schiffsverkehr, die Fischerei, aber auch der Tourismus wird durch die Braunalgen-Plage massiv eingeschränkt. Die Schäden sind immens.

Können Sie das bitte begründen?
Die Fischer, die nicht mehr fischen können, werden arbeitslos. Ebenso die Menschen, die in Feriendestinationen arbeiten: Hotels, Restaurants, Pensionen. Kein Mensch wird seinen Strandurlaub dort verbringen, wo im Wasser giftiges Zeugs umherschwimmt und an Land gespült wird. Das meine ich mit ökologischen und ökonomischen Schaden. Besonders schlimm ist es derzeit wohl, so sagen es mir die Experten, im mexikanischen Tulum, im amerikanischen Florida, genauso wie in Südamerika und vor dem afrikanischen Kontinent. Meine Intention ist es nun, endlich Lösungen zu präsentieren.

„Die Wissenschaftler haben das Wissen, ich das globale Netzwerk“

Und das können Sie?
Nein, aber mein Entwicklungspartner ist die TU München. Die Wissenschaftler haben das Wissen, ich das globale Netzwerk. Von Anfang an war mir und der TU München – die mit zahlreichen Experten und Wissenschaftlern dabei ist – klar, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Alleine hätten wir keine Chance. Wenn ich das so erzähle, hört sich das fast wie bei Frank Schätzings „Schwarm“ an (lacht).

Wie sieht die Lösung konkret aus?
Momentan sind wir eifrig dabei Geldgeber, Spender, Sponsoren oder Projektfinanzierer, für die Boote, die wir bauen wollen, zu gewinnen. Also: Wie sieht das genau aus? Im ersten Schritt wollen wir eine 90 Meter lange und eine knapp 30 Meter lange Yacht bauen. Mit dieser werden wir in den betroffenen Regionen beginnen, die Braunalgen-Teppiche einzusammeln und an Bord zu holen. Im ersten Schritt geht es aber darum, die Technologie zu entwickeln und die Boote zu bauen.

So sollen die Boote aussehen, mit denen TU-Forscher und Gerdsmeier die Algen einsammeln. Das Prinzip erinnert an das Videospiel "Pac-Man".
So sollen die Boote aussehen, mit denen TU-Forscher und Gerdsmeier die Algen einsammeln. Das Prinzip erinnert an das Videospiel „Pac-Man“.
© Circular Waves
So sollen die Boote aussehen, mit denen TU-Forscher und Gerdsmeier die Algen einsammeln. Das Prinzip erinnert an das Videospiel „Pac-Man“.

von Circular Waves

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Was kostet so ein Boot?
Das kleine knapp 28 Millionen, das große fast 90 Millionen Euro. Hinzu kommen die Kosten für das Labor, allein für dieses brauchen wir schon 50 Millionen Euro.

„Wir brauchen eine richtige Flotte“

Das ist viel.
Damit ist es aber immer noch nicht getan: Wenn wir uns dem Thema richtig widmen wollen – und mit richtig meine ich richtig – dann brauchen wir eine richtige Flotte.

Was sagen Sie den gutmütigen Geldgebern?
Dass, wenn sie der Umwelt, unserem Planeten, helfen wollen, hier richtig sind. Ich bin mir sicher, dass wir in den kommenden vier, fünf Jahren so ein Boot haben, mit dem wir die Algen aufsammeln können.

„Nur Algen werden eingesaugt, keine Schildkröten“

So wie bei dem Videospiel Pac-Man in den 80er-Jahren?
(lacht) Genauso. Vorne geht eine Luke auf – schnapp, schnapp – Luke zu. Allerdings wird nicht alles eingesaugt, sondern nur Algen und keine Schildkröten. Wenn wir sie gesammelt haben, verwerten wir sie. Einen Teil der Biomasse wandeln wir noch auf dem Boot zu Wasserstoff um. Der Rest wird an Land zu Energie „prozessiert“ – so heißt das im Fachjargon.

Auf Deutsch?
Aus den Algen wird Synthese-Gas oder Methanol. Das sind aber nur zwei Möglichkeiten.

Und die anderen?
Alles ist denkbar: Die Braunalgen dienen als Basis für zahlreiche Plattformchemikalien, können zu Dünger und Tierfutter verarbeitet werden. Ich verweise auf Wissenschaftler, die viel kompetenter als ich sind. Sie sagen, dass man aus den Algen auch Biopolymere machen kann. Diese werden im 3D-Druck oder als Verpackungsmaterial eingesetzt. Besonders stolz bin ich auf unser Labor an Bord.

„Mir schwebt eine ganze Innovations-Plattform“

Warum braucht eine schwimmende Müllverbrennungsanlage ein Labor?
Damit wir die geodätischen Meeresdaten, die wir sammeln, verwerten können. Schauen Sie: Die Braunanlagen in den Meeren einzusammeln ist eines. Wenn wir aber schon so viel Geld in die Entwicklung stecken, dann will ich, dass am Ende noch mehr rauskommt.

Was meinen Sie damit?
Das, was mir vorschwebt, ist eine ganze Innovations-Plattform. Wenn wir stinkende Braunalgen zu Energie umwandeln können, dann muss das doch auch noch anders einsetzbar sein. Ein Beispiel: Die hunderten Tonnen Müll auf den Kreuzfahrtschiffen könnten nach meinem Dafürhalten noch an Deck zu Energie umgemünzt werden. Da fallen mir noch etliche Beispiele ein. Zur Wahrheit gehört aber, dass das, was ich Ihnen erzähle, nicht exklusiv ist. Ganz viele Wissenschaftler haben mir das schon erzählt.

„Also: Kein Diesel!“

Aber?
Ich habe noch keine Universität erlebt und gesehen, die ihr unfassbares Know-how und ihre unfassbaren PS auf die Straße gebracht hat. Sie wissen alles – und haben in der Theorie für jedes Problem auch die richtige Lösung – scheitern aber meist bei der Umsetzung. Wenn wir unsere Plattform haben, kann jedes Unternehmen Teile unseres hochtechnologischen Baukastensystems erwerben und individuell einsetzen. Für die Investoren, die uns helfen wollen, ist es vor allem wichtig, dass wir bereits heute schon die nachhaltigen Ziele der Vereinten Nationen erfüllen. Denn: Mein Konzept sieht vor, dass die Boote die Energie durch zirkuläre Technologien erzeugen können.

Konkret heißt das?
Konkret heißt das, dass die Boote durch den Einsatz von Wasserstoff, Brennstoffzellen, Windturbinen und schwimmfähige Solarzellen fahren können. Also: Kein Diesel! Ein gutes Beispiel ist ja auch mein Bekannter Boris.

Prominentes Netzwerk – etwa zu Profisegler Boris Herrmann

Boris?
Boris Herrmann, der deutsche Profisegler, ist ja gerade von seiner sechsten Weltumseglung zurückgekehrt. Boris nahm nach 2020 schon zum zweiten Mal an der Vendée Globe teil. In Segler-Kreisen wird das spektakulärste und gefährliche Rennen nur ehrfurchtsvoll als der „Mount Everest der Meere“ genannt. Dabei muss jeder 25.000 Seemeilen, umgerechnet 46.300 Kilometer, zurücklegen. Das Besondere: Völlig allein, völlig ohne fremde Hilfe. Boris, ein Freund von mir, hat dieses ganz wunderbare Buch „Kurs auf Klimaschutz“ zusammen mit seiner Frau geschrieben. Das finde ich klasse. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir Kinder auf unserem Forschungsschiff „Circular Waves“ mitnehmen, ihnen alles über die Meeresverschmutzung erzählen können.

Sind Sie vielleicht ein bisschen ein naiver Idealist?
Wenn ich dabei Tiere, Pflanzen und Menschen retten kann? Warum nicht? Nicht alle werden mein Konzept gut finden. Nicht einer kann mich aber kritisieren und sagen, dass ich mich nicht für die Welt eingesetzt habe. Das mache ich. Sieben Tage die Woche.

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