Geopolitik

Umfrage: Europa bleibt der Ukraine treu – selbst wenn die USA sich zurückziehen | ABC-Z

Nach dem Kurswechsel in Washington steht der Kontinent weiter hinter Kiew. Eine aktuelle Erhebung zeigt jedoch: Die Angst vor einer Ausweitung des Krieges in der Bevölkerung ist groß – und die Frage nach konkreten Maßnahmen birgt Konfliktpotenzial.

Auch wenn sich die US-Regierung unter Präsident Donald Trump im vierten Kriegsjahr von der Ukraine abwendet, hält die Mehrheit der Europäer daran fest, das angegriffene Land weiter zu unterstützen. Das geht aus einer Erhebung der Forschungsorganisation „More in Common“, hervor, die WELT AM SONNTAG vorab vorliegt. Mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland (54 Prozent) befürwortet es demnach, die Ukraine auch dann zu unterstützen, wenn die USA ihre Hilfen einstellen.

Noch höher ist die Zustimmung in Großbritannien und Polen (jeweils 66 Prozent) sowie in Frankreich (57 Prozent). Am höchsten ist der Anteil der Befürworter in Deutschland unter Grünen-Wählern (90 Prozent), am niedrigsten bei Anhängern der AfD (22 Prozent). 30 Prozent der Befragten hierzulande plädieren gegen eine Aufrechterhaltung der Unterstützung ohne die USA.

Zugleich ist die Sorge in Europa groß, dass sich der Krieg ausweitet. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) in Deutschland hält es für „(eher) wahrscheinlich“, dass „Russland in den nächsten Jahren andere europäische Länder angreift“, wenn es „ukrainisches Territorium behält“. In Frankreich befürchten das 60 Prozent, in Großbritannien 68 Prozent.

Am größten ist diese Furcht in Polen (69 Prozent), das eine Grenze mit Russland teilt. Gleichzeitig ist hier aber auch der Widerstand gegen einen möglichen Einsatz von Friedenstruppen zur Sicherung einer Waffenruhe in der Ukraine mit 62 Prozent besonders groß. Viele Polen fühlen sich mit der Sicherung der Nato-Ostflanke ausgelastet.

Die Deutschen sind in dieser Frage gespalten: 43 Prozent lehnen es ab, Streitkräfte zu entsenden, 41 Prozent würden diesen Schritt unterstützen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer haben sich bereits offen für eine solche Initiative gezeigt.

In Frankreich unterstützen 43 Prozent eine solche Lösung, 36 Prozent lehnen sie ab. In Großbritannien zeigt sich ein klareres Bild: 57 Prozent sind für die Entsendung von Friedenstruppen, 26 Prozent dagegen.

„Besorgnis“, „Wut“ und „Enttäuschung“

Nach dem Eklat im Weißen Haus am vergangenen Freitag und des Stopps der US-Militärhilfen an die Ukraine stellen viele Europäer die Stabilität der transatlantischen Allianz infrage. Donald Trumps Andeutungen, wonach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Mitverantwortung für den Krieg trägt, weist eine Mehrheit der Befragten von sich.

Die Polen stehen am klarsten an der Seite der Ukraine: 82 Prozent sehen die Verantwortung für den Krieg „klar bei Russland“. Niedriger liegen die Werte in Großbritannien (73), Deutschland (64 Prozent), Frankreich (63 Prozent) und in den USA (60). Ein Fünftel der Befragten in Deutschland sieht beide Seiten in der Verantwortung – ein Rekordwert unter den befragten Ländern.

In Deutschland sympathisieren zudem neun Prozent der Befragten mit Russland, 53 mit der angegriffenen Ukraine. In Frankreich sehen sich 62 Prozent auf der Seite der Ukraine, sechs Prozent solidarisieren sich mit Russland.

Deutsche seien zögerlicher, den russischen Angriffskrieg zu verurteilen, sagt Laura-Kristine Krause, Geschäftsführerin von „More in Common“. „Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich historisch noch immer Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion verbunden.“ Die Wahrnehmung darüber, wer Schuld am Krieg trägt, falle hierzulande daher „weniger vehement“ aus.

Zugleich hat Trumps Ukraine-Politik in Deutschland zu einem Ansehensverlust für Amerika geführt: Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Wochen empfinden viele Bundesbürger gegenüber der neuen US-Regierung „Besorgnis“ (54 Prozent), „Wut“ (39 Prozent) und „Enttäuschung“ (33 Prozent).

Im deutsch-amerikanischen Verhältnis lässt sich eine regelrechte Kernschmelze konstatieren: 74 Prozent der Befragten sehen Frankreich nun als wichtigsten Verbündeten der Bundesrepublik, gefolgt von der EU, Großbritannien und Polen.

Nur 23 Prozent der Befragten ordnen diese Rolle den USA zu, fast jeder Zweite steht Amerika unentschlossen gegenüber. 18 Prozent sehen in dem Land jetzt sogar einen „Feind“. Ein Wert, der nur noch von der negativen Haltung gegenüber den diktatorischen Regimen in China, Iran und Russland übertroffen wird.

Diana Pieper ist Redakteurin im Ressort Außenpolitik. Für WELT berichtet sie über internationale Politik mit einem besonderen Fokus auf Europa.

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