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Spitzen von Union und SPD wollen Koalitionsverhandlungen aufnehmen – Politik | ABC-Z

Union und SPD haben ihre Sondierungsgespräche über die Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung abgeschlossen – mit einem elfseitigen Sondierungspapier. Er werde seiner Partei am Montag vorschlagen, auf Basis dieses Papiers Koalitionsgespräche zu beginnen, sagte der CDU-Chef und wahrscheinliche nächste Bundeskanzler, Friedrich Merz, am Samstagnachmittag in Berlin. Auch der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil sprach von konstruktiven Gesprächen. „Wir haben uns vorgenommen, unser Land auf Vordermann zu bringen“, sagte er.

Schon am Dienstagabend hatten Union und SPD sich darauf geeinigt, die Verteidigungsausgaben künftig weitgehend von der Schuldenbremse auszunehmen und zusätzlich noch ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen aufzulegen. Dafür allerdings muss das Grundgesetz geändert werden; für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen Union und SPD im alten Bundestag noch die Zustimmung der Grünen-Fraktion.

Danach hatten sich die Verhandlungen vor allem um die Themen Migration, Wirtschaft und Arbeit gedreht. Nachdem die Union der SPD in Sachen Fiskalpolitik weit entgegengekommen war, war der Druck auf Merz aus den eigenen Reihen gestiegen, bei den anderen Themen jetzt zu liefern. In der Tat sieht es nun danach aus, als hätten CDU und CSU sich vor allem bei der Neuordnung der Migrationspolitik weitgehend durchgesetzt.

„Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen“, sagte Merz bei dem Statement der vier Parteichefs – ein Punkt, den die Union im Wahlkampf vehement gefordert und die SPD vehement abgelehnt hatte. Es würden alle „rechtsstaatlichen Maßnahmen“ ergriffen, so Merz, um die irreguläre Migration zu reduzieren.

Auch die schon bestehenden Grenzkontrollen sollten vom ersten Tag der gemeinsamen Regierung an „massiv“ ausgebaut werden. In das Aufenthaltsgesetz soll das Ziel der Begrenzung der Migration aufgenommen, freiwillige Aufnahmeprogramme, etwa aus Afghanistan, sollen beendet werden. CSU-Chef Markus Söder sagte dazu, es würden Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien organisisert werden, „es werden aber umgekehrt keine Flüge mehr kommen aus Afghanistan nach Deutschland“. Ebenfalls geplant ist, den Familiennachzug für Menschen mit nur subsidiärem Schutz auszusetzen.

Im Sondierungspapier ist von einer „Rückführungsoffensive“ die Rede. Unter anderem soll der verpflichtende Rechtsbeistand vor einer Abschiebung wieder abgeschafft werden. Die Bundespolizei soll „für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam“ beantragen können. Geplant ist auch ein „Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder“ und Straftäter, die ihre Haftstrafe verbüßt haben; die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll verlängert werden. Prüfen wollen Union und SPD, ob Doppelstaatler die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können, wenn es sich um Antisemiten und Extremisten handelt.

Merz: Wer mehrfach Arbeit verweigert, muss mit einem vollständigen Leistungsentzug rechnen

Zum Themenkomplex Wirtschaft betonte Merz, dass die Stromkosten um fünf Cent je Kilowattstunde gesenkt werden sollen; zudem wolle man in eine Unternehmensteuerreform einsteigen. Das Bürgergeldsystem soll ebenfalls neu gestaltet werden, „hin zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende“. Künftig soll wieder ein Vermittlungsvorrang gelten – dass also die Vermittlung in Arbeit im Zweifelsfall Vorrang hat vor beispielsweise einer Weiterbildung. Wer arbeiten könne und sich mehrfach verweigere, so Merz, dem soll künftig der vollständige Leistungsentzug drohen.

„Diese Maßnahmen tragen unsere gemeinsame Handschrift“, sagte Merz über das Sondierungsergebnis. Verhandelt worden sei in einer ausgesprochen guten und sehr kollegialen Atmosphäre. Dennoch machten alle vier Parteichefs deutlich, dass es keine einfache Einigung gewesen war.

„Das war kein leichtes Stück“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken, die bei dem Statement der vier Parteichefs auch am Internationalen Frauentag ganz außen stand. Für alle, sagte CSU-Chef Markus Söder, seien „dicke Brocken“ dabei gewesen. Dass es dennoch so schnell ging, so lautlos und ohne Durchstechereien, das sehen die Koalitionäre in spe als gutes Omen. Eskens Co-Chef Lars Klingbeil fasste es so zusammen: Wenn Union und SPD es so kurz nach der Bundestagswahl und trotz unterschiedlicher Standpunkte, Meinungen und Charaktere geschafft hätten, gemeinsame Brücken zu bauen – „dann kann das auch anderswo in unserem Land gehen“. Jedenfalls sei das Vertrauen gewachsen. Wie der Bayer sage: „Passt schon“, befand Söder.

Die Einigung ging schnell, aber es hat auch jeder etwas bekommen. Die CSU etwa verlässt die Verhandlungsräume im Bundestag mit der ersehnten Vollendung der Mütterrente. Auch darf sie vermelden, dass die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent sinken soll. Eine abermalige Reform des neuen Wahlrechts, das die Union heftig ablehnt, soll zumindest geprüft werden. Die SPD wiederum, die schon mit dem Milliarden-Infrastrukturpaket zufrieden sein könnte, kann auch noch einen Mindestlohn von 15 Euro im gemeinsamen Papier festschreiben, dazu stabile Renten und obendrein das Tariftreuegesetz, das in der alten Koalition an der FDP gescheitert war. Zu dem Paket zur Entlastung der Wirtschaft soll auch ein Industriestrompreis gehören, den die Sozialdemokraten lange gefordert hatten. Konkret wird das Sondierungspapier hier aber nicht.

So gesehen hat Friedrich Merz schon in den Sondierungen seinem kleineren Partner einige Zugeständnisse machen müssen. Aber auch seine Herzensthemen finden sich in dem Sondierungspapier, auch jenseits der Migrationsfragen. So sollen Union und SPD die Grundlage für eine „Aktivrente“ schaffen, dank der auch Rentner mithelfen könnten, den Fachkräftemangel zu lindern – indem sie länger arbeiten. Auch die Erforschung der Kernfusion findet sich im Einigungspapier: „Wir würden den ersten Kernfusionsreaktor gerne in Deutschland sehen“, sagt Merz. Das ist zwar Zukunftsmusik pur, aber die Koalition hört sie erst einmal gerne. Die Senkung des Strompreises um fünf Cent je Kilowattstunde soll dadurch erreicht werden, dass die Stromsteuer auf das europäisch zulässige Minimum gesenkt wird, dazu sollen auch noch die Netzentgelte halbiert werden. Selbst für die Landwirte findet sich etwas im Paket: Die Agrardiesel-Subvention wird wieder eingeführt – jene Subvention, mit deren Abschaffung die Ampelkoalition vor einem Jahr die Bauern gegen sich aufgebracht hatte.

„Mein Fazit: Da ist echt was geschafft worden“, sagte CSU-Chef Söder am Ende. Jetzt sei man vor der nächsten Etappe, dem Koalitionsvertrag und der Grundgesetzänderung. Es gebe bei solchen Verhandlungen „keinen Jubel, aber eine vertrauensvolle Basis für mehr“. Es mache „Lust auf mehr“.

Bei den Grünen dagegen macht die Einigung eher Lust auf weniger. Nächste Woche sollen sie unter anderem einem 500-Milliarde-Euro-Paket für die Infrastruktur zustimmen, nur mit den Stimmen der Grünen bringen Union und SPD die dafür nötige Zweidrittel-Mehrheit zusammen. Doch mit dem Sondierungspapier sei die Lust auf eine Zustimmung eher gesunken, sagte Parteichefin Franziska Brantner am Samstag kurz nach der Einigung in Berlin. Ganz im Stile früherer großer Koalitionen habe sich auch diese offenbar vorgenommen, „kein Problem zu lösen, sondern alles mit Geld zuzuschütten“, sagte sie.  Wenn aber jeder sein Lieblingsprojekt bekomme, bleibe am Ende für die Infrastruktur nichts mehr übrig. Ihr Co-Chef Felix Banaszak kritisierte den schlechten Stil der neuen Regierung: „Wenn alle meine Versprechungen davon abhängen, dass ein Dritter zustimmt“, sagte er, „spreche ich vielleicht zuerst mit dem Dritten.“

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