Was Kinder für die Karriere von Frauen bedeuten | ABC-Z

Weltfrauentag
Die Mutter der Ungleichheit
8. März 2025 · Frauen verdienen weniger als Männer, heißt es am Weltfrauentag. So pauschal stimmt das nicht. Vor allem Mütter sind abgehängt. Allen voran in Deutschland.
Die Zahlen sprechen eine scheinbar eindeutige Sprache. Im Vergleich zu Männern haben Frauen in Deutschland im vergangenen Jahr 16 Prozent weniger pro Stunde verdient. Ein Großteil dieser Verdienstlücke (Gender Pay Gap) lässt sich damit erklären, dass Frauen Berufe wählen, in den weniger verdient werden kann – Pflege statt Bank, Kita statt Kanzlei. Rechnet man solche Effekte raus, bleiben sechs Prozent „unbereinigte“ Lohnlücke. Sie steht im Fokus um mögliche Diskriminierung am Arbeitsmarkt, vor allem am Weltfrauentag.
Allerdings spielt etwas anderes eine weitaus größere Rolle für die Frage, warum Frauen über ihr Berufsleben hinweg oft Hunderttausende Euro weniger verdienen als Männer: Die große Gehaltslücke verläuft nicht zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen Müttern und kinderlosen Frauen. Rund um den Globus ist messbar, dass die große Lücke mit der Geburt des ersten Kindes aufgeht, Forscher sprechen von der „motherhood penalty“, was sich mit Kindernachteil übersetzen lässt.
Besonders stark ausgeprägt ist dieser Effekt in Deutschland. Verglichen mit der Phase kurz vor der Geburt brechen die Einkommen von Müttern ein Jahr danach um fast 80 Prozent ein, auch zehn Jahre später verdienen sie rund 60 Prozent weniger, zeigt eine Studie des Princeton-Forschers Henrik Kleven. Ein Haupttreiber dafür ist, dass Mütter hierzulande ein Drittel weniger im Beruf arbeiten als zuvor. Jede zweite Frau arbeitet in Deutschland in Teilzeit, darunter sehr viele Mütter. Viele von ihnen treten beruflich auch dann kürzer, wenn die Kinder längst aus dem Kleinkindalter raus sind. Mutter zu sein, erklärt in Deutschland daher fast vollständig, warum Frauen im Job kürzer treten als Männer. In anderen Industrieländern gibt es den Effekt auch, er erklärt aber längst nicht so viel, wie hierzulande, zeigen unsere Grafiken.
Innerhalb Europas wirkt sich das Kinderkriegen sehr unterschiedlich auf die künftige Karriere aus, zeigt Ökonom Kleven mit seinem Team. In Dänemark, Schweden und Norwegen arbeiten Mütter fast genauso viel wie vor der Geburt ihres Kindes. In Schweden beträgt die Erwerbslücke zehn Jahre nach Geburt des ersten Kindes beispielsweise lediglich zehn Prozent. In Großbritannien sind es nach demselben Zeitraum fast 30 Prozent. Auch in benachbarten Ländern sind die Unterschiede enorm: In Spanien arbeiten Frauen deutlich weniger als Männer, auch der Effekt der Mutterschaft ist groß. In Portugal sind die Effekte deutlich geringer.
Außerhalb Europas fällt auf, dass Mütter in Afrika im internationalen Vergleich ihre Arbeitszeit am wenigsten reduzieren. Allerdings sind Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sehr hoch. Auch in Asien sind die Effekte insgesamt vergleichsweise gering, vor allem in China und Südostasien. In Japan und Südkorea bleiben Mütter dagegen deutlich häufiger zu Hause. In Nordamerika sind die Effekte vergleichbar mit dem europäischen Durchschnitt, auf der Welt am meisten bleiben Mütter in Südamerika und Südostasien zu Hause.
Was steckt hinter den großen Unterschieden zwischen den Ländern? Kleven, der auch historische Daten ausgewertet hat, schreibt, dass die zu Hause bleibende Mutter ein „relativ modernes“ Phänomen ist – im Sinne davon, dass es noch nicht lange existiert. In landwirtschaftlich geprägten Ländern war und ist es demnach nicht üblich – und womöglich finanziell auch gar nicht verkraftbar – dass Mütter weniger arbeiten als kinderlose Frauen. Je stärker industrialisiert Länder sind und je mehr Dienstleistungsjobs es dort gibt, desto stärker verändere sich das, schreiben die Ökonomen.
Allerdings erklärt das längst nicht alles. Warum sonst sind die Unterschiede in wirtschaftlich vergleichbaren Ländern wie Portugal und Spanien so groß? Ungleichheitsforscher schreiben gesellschaftlichen Normen eine bedeutende Rolle zu. Damit ist gemeint, welche Rollen Müttern (und Vätern) als „richtig“ und „falsch“ vermittelt werden. Solche Normen schlagen sich nieder in politischen Rahmensetzungen.
In Deutschland, wo das klassische Familienbild jahrzehntelang politisch erwünscht war, setzt das Ehegattensplitting beispielsweise finanzielle Anreize für eine Rollenaufteilung, in der ein Partner (meistens der Mann) besonders viel arbeitet und die Frau besonders wenig. Soziale Normen verändern sich nur sehr langsam. In der früheren DDR, wo Frauen sehr schnell nach der Geburt wieder arbeiten gingen und Kinder fremdbetreuen ließen, ist das auch heute noch weitaus üblicher als in den alten Bundesländern.
Eine naheliegende Erklärung für die Frage, wie viel Mütter nach der Geburt des Kindes arbeiten, sind die Betreuungsangebote für Klein- und Kindergartenkinder. In Skandinavien, wo Mütter kaum kürzertreten, ist das Angebot seit Jahrzehnten besonders gut ausgebaut. In Deutschland nahm der Kita-Ausbau für Kinder unter drei Jahren erst rund um die Jahrtausendwende Fahrt auf und noch heute bleiben vor allem in den westlichen Bundesländern viele Kinder ohne Betreuungsplatz. Das Angebot hat sich aber stark verbessert und deutlich mehr Frauen arbeiten – wie erwähnt aber sehr oft in Teilzeit.
Kita-Mangel in Deutschland
Anteil der Kinder ohne Betreuungsplatz, in Prozent
Auch die Elternzeitansprüche wurden in Deutschland und vielen anderen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten deutlich ausgebaut. Hat das die finanzielle Lücke für die Mutter reduziert? So einfach ist das nicht. In einer Langzeitstudie zu Österreich, die im vergangenen Jahr in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, fassen die Autoren ernüchtert zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die enorme Ausweitung der Elternzeit und der Kinderbetreuung praktisch keine Auswirkungen auf die Konvergenz der Geschlechter hatte.“
Unter dem Strich heißt all das: Die Beteiligung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt zu stärken, ist der Schlüssel, wenn die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen schrumpfen sollen. Auch volkswirtschaftlich ist das in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel eine lohnende Sache. Ein einfaches Rezept, wie zum Beispiel alleine den Ausbau der Kita-Plätze voranzutreiben, wird aber nicht reichen, um die Lücke zu schließen. Vielleicht, und darüber wurde hier noch gar nicht gesprochen, müssen ja auch die Männer etwas weniger im Job arbeiten, damit die Frauen es vermehrt tun.
Elternzeit und Elterngeld im Vergleich
Elternzeit in Wochen und Elterngeld als Anteil des Voreinkommens