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Verteidigungstalk bei Illner: Kuleba: „Wir müssen jetzt sehr schnell sein“ | ABC-Z


Verteidigungstalk bei Illner

Kuleba: „Wir müssen jetzt sehr schnell sein“

Nach der Auseinandersetzung zwischen den Präsidenten der USA und der Ukraine, Trump und Selenskyj, hat sich die EU darauf verständigt, die Ukraine weiter zu unterstützen. Wie es jetzt in Europa und Deutschland weitergehen muss, diskutiert Maybrit Illner mit ihren Gästen.

Die Ereignisse der letzten Woche haben Europa erschüttert. Am Freitagabend demütigt US-Präsident Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Weißen Haus. Wenige Tage später „entschuldigt“ sich Selenskyj. Vermutlich hatte er keine andere Wahl. Ohne die Militärhilfe aus den USA ist die Ukraine Russland völlig ausgeliefert. Mehrere europäische Länder haben inzwischen eine „Koalition der Willigen“ gebildet, denn auf die EU der 27 ist offenbar zu wenig Verlass. Immer klarer wird: Europa muss die Ukraine vor den USA schützen. Und vor Russland. Deutschlands wahrscheinliche künftige Regierung ist bereit, sich für die Verteidigung in einer ungeahnten Größenordnung zu verschulden. Wie es nun weitergeht, diskutiert Maybrit Illner am Donnerstagabend im ZDF mit ihren Gästen.

Der ehemalige Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, hat die Hoffnung auf eine Rettung der Ukraine noch nicht aufgegeben. Der Rohstoffdeal zwischen den USA und der Ukraine sei noch nicht begraben, sagt er bei Illner. Negativ seien die Aussetzung der Militärhilfen und das Ende geteilter Geheimdienstinformationen mit den USA. Diese Schritte habe die Trump-Regierung unternommen, um die Ukraine an den Verhandlungstisch zu zwingen, zu Bedingungen, die die Trump-Regierung für richtig halte und die identisch seien mit denen Russlands. „Die Ukraine wünscht sich Frieden, aber sie will auch nicht dadurch zerstört werden“, sagt Kuleba.

Selenskyj sei zu Verhandlungen bereit. Das habe er den USA signalisiert. Die Vereinigten Staaten spielten jedoch den Russen in die Hände. In diesem Spiel seien die europäischen Vorschläge wichtig für die Ukraine. Dramatisch werde es, wenn die Ukraine nicht mehr über Abfangraketen für russische ballistische Raketen verfügten, die allein die USA liefern könnten. „Wenn wir diese Interceptor-Raketen nicht mehr zur Verfügung haben, werden russische Raketen Ziele in den ukrainischen Städten angreifen und zerstören“, befürchtet Kuleba. Mit Interceptor meint er die bei uns bekannten Patriot-Raketen, die zurzeit nur in den USA, mittelfristig aber auch in Deutschland produziert werden können, wie Militärexperte Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr bei München während der Sendung erklärt.

„Trump möchte wieder normale Beziehungen zu Russland“

Die Ukraine wolle einen Waffenstillstand. Europa auch. Nur der russische Präsident Putin nicht. „Es gibt auch für Putin überhaupt keine Anreize oder einen Druck, sich auf irgendetwas einzulassen“, erklärt die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff. Putin habe am Donnerstag eine von Frankreichs Präsident Macron vorgeschlagene einmonatige Waffenruhe als inakzeptabel zurückgewiesen. Russland erwarte eine dauerhafte Friedenslösung, die mit den USA ausgehandelt werden solle, aber nicht mit der Ukraine, analysiert Deitelhoff. Doch dabei gehe es nicht allein um die Ukraine: „Es geht um eine Rückabwicklung der Nato in Osteuropa und um die Festlegung von Interessensphären. Das ist das Einzige, was Russland im Sinn hat“, sagt Deitelhoff.

Auch der US-Präsident habe eigene Interessen: „Trump möchte diesen Mineraliendeal haben, er möchte Gewinn aus der Ukraine schlagen können, um die Kosten wieder reinzuholen, die er dort schon hatte, und ansonsten möchte er die Ukraine aus dem Weg haben, um wieder zu normalen Beziehungen mit Russland zu kommen.“ Trump sei nicht wichtig, was mit der regelbasierten Weltordnung oder mit Europa passiere. „Er interessiert sich – wenn überhaupt – für Amerika, für den Gewinn, den er für Amerika, für sich und seine Follower erzielen kann. Für nichts anderes.“

EVP-Chef Weber: Bin ein bisschen frustriert

Nun könnte Europa in die Bresche springen. Darüber haben die europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel beraten. Der Vorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, war mit dabei. „Das positive Signal ist, dass die Europäische Union jetzt die Verantwortung übernimmt, die für die eigene Verteidigung notwendig ist“, berichtet er. Dazu seien jetzt 800 Milliarden Euro freigemacht worden. „Ich bedaure als Europapolitiker, dass es so lange gedauert hat, bis wir kapieren, dass wir endlich unsere eigene Verteidigung in die Hand nehmen müssen. Ich bin da ein bisschen frustriert, weil ich seit Jahren dafür werbe, dass wir endlich europäische Strukturen aufbauen. Aber heute kam der Durchbruch, das Verständnis ist da.“

Aus Deutschland müsse die Ukraine ebenfalls dringend unterstützt werden, sagt Grünen-Fraktionschefin Silke Hasselmann. Sie fordert die sofortige Freigabe von drei Milliarden Euro Ukraine-Hilfe. Doch das wird möglicherweise nicht alles sein, was Deutschland demnächst für die Ukraine tun kann. Hintergrund: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will mehr Geld für die Verteidigung freigeben, als es die Schuldenbremse vorsieht. Deutlich mehr. Zusätzlich soll ein Sondervermögen für die Infrastruktur aufgelegt werden. Kostenpunkt insgesamt: Eine Billion Euro, vielleicht sogar mehr.

„Schulden mit Wachstum verbinden“

Die Lage habe sich in den vergangenen Tagen extrem verändert, begründet Weber die Entscheidung. „Ich unterstütze die neuen Maßnahmen, weil die Dringlichkeit klar ist“, so der EVP-Chef. Er sagt aber auch: „Wenn es uns nicht gelingt, die neuen Schulden mit mehr Wachstum in Europa zu verbinden, mit mehr Wirtschaftswachstum, denn wir sind leider Gottes wirtschaftlich nicht stark unterwegs, und wenn es uns jetzt nicht gelingt, Dynamik zu entfalten, damit wieder mehr investiert wird, dann wird das eine schwierige Entwicklung in der Zukunft. Wir können Stabilität nur finanzieren, wenn wir wirtschaftlich stark bleiben.“

Am kommenden Donnerstag sollen die Finanzpakete in erster Lesung vom noch amtierenden Bundestag debattiert werden. Insgesamt sind drei Grundgesetzänderungen nötig, damit sie wirksam werden können. Die sollen innerhalb einer Woche beschlossen werden, erklärt Silke Hasselmann. Unklar sei die Vereinbarkeit mit der Verfassung. Hasselmann fügt hinzu: „Mir erschließt sich nicht, warum der Fokus so eng geführt auf Verteidigung liegt und nicht auf Sicherheit insgesamt.“ Die Grünen möchten nicht nur Geld in die Verteidigung stecken, sie wollen auch die Nachrichtendienste modernisieren und den Schutz vor Cyber-Attacken stärken. „Es stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, die erörtert werden müssen. Deshalb ist auch abschließend nicht klar, wie wir Grünen abstimmen werden.“

Doch viel Zeit bleibt nicht mehr, um Entschlüsse zu treffen. Dmytro Kuleba appelliert darum auch: „Wir müssen jetzt sehr schnell sein. Es gibt endlich die Erkenntnis der Dringlichkeit, es gibt endlich den Willen der Europäer, Geld bereitzustellen.“ Nun bedürfe es nur noch des Willens, schnell zu handeln.

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