Kollektive Verkrampfung bei den Skispringern | ABC-Z

Die Phasen mit formidabler Form und weiten Flügen sowie dem Gegenteil, dem Absacken nach dem Schanzentisch, wechseln in der Welt der Skispringer wie die Winde. Das eine wie das andere, das Hoch und das Tief, komme wie es wolle, findet Pius Paschke. Der Bayer aus Kiefersfelden durchlebte in dieser Saison beide Extreme reichlich. „Ich kann nicht richtig erklären, wie mir das passiert ist“, sagte Paschke über seine Siegesserie zu Beginn der Saison mit fünf Erfolgen in den ersten acht Weltcup-Springen dieses Winters.
Und nun, nach mehrmaligem Verpassen des zweiten Durchgangs im Januar und Februar, wundert sich Paschke, der Verzweiflung nahe, über die Leistungs-Kehrtwende: „Es geht gerade nicht leicht von der Hand, das bremst mich aus. Ich habe mich emotional nicht so im Griff, dass ich nach einem schwächeren ersten Sprung einen guten zweiten nachlegen kann.“
Die Formkurve zeigt extrem nach unten
Bundestrainer Stefan Horngacher, ein analytischer ehemaliger Springer aus Österreich, ist sehr direkt in der Beschreibung des Ist-Zustandes: „Wir sind ziemlich abgestürzt, das ist absolut nicht zufriedenstellend für alle Beteiligten.“ Horngacher setzte deshalb am Ende der vergangenen Woche Trainingsflüge in Oberstdorf an, je nach Bedarf war es ein Kurzlehrgang von drei oder fünf Tagen auf der kleinen Anlage am Schattenberg.
„Großes Defizit“ entdeckt
Das Ziel dieser Übung war es, bei einem Volumen von um die 30 Sprüngen die gröbsten Fehler abzustellen, die Horngacher aufgefallen sind. Das Kernproblem sei demnach durchgängig die Skistellung nach dem Absprung: „Da haben wir zurzeit ein großes Defizit.“ Der unbedingte Wille, sich in dieser Hinsicht zu verbessern, habe zuletzt „leider zu einer Verkrampfung“ bei seinen Springern geführt.
Das deutsche Trainerteam versucht zudem, die Materialabstimmung zu optimieren, auch wenn die Maße der Anzüge sehr reglementiert sind: „Da schauen wir trotzdem mit unserer Schneiderei drauf, ob da noch was geht“, sagt Horngacher. Hinzu kommt ein Check der Schuhe und der Bindung, auch da wird nach einer Optimierung gefahndet. „Wir versuchen vor Trondheim diese beiden Komponenten zusammenzubringen, den technischen Ablauf und das Material“, sagt Horngacher.
„Fragst dich schon, was da gerade passiert“
Viel Zeit bleibt ihm nicht. Schon an diesem Sonntag (17 Uhr/ZDF) steht auf der Kleinschanze im Granasen Skizentrum oberhalb von Trondheim der erste Wettkampf an. Die Analyse ist das eine. Doch derzeit gelingt Horngachers Springern die Abstellung der Fehler und die Umsetzung der Trainervorgaben nicht. Er habe als Coach allerdings auch gar nicht so viele Möglichkeiten, während der Saison eine Wende herbeizuführen, sagt Horngacher. Dafür seien die Wettkämpfe zu dicht getaktet. Deshalb war die Trainingsphase in Oberstdorf „so wichtig für uns. Wir brauchten diese Ruhe, um nachhaltig und gezielt zu arbeiten.“
Dass gegenwärtig die gesamte Mannschaft von einer tiefen Krise betroffen ist, „gibt mir aber schon zu denken. Wenn die Pläne, die ich mir mit meinem Trainerteam überlege, einfach nicht aufgehen in den Weltcup-Springen, dann fragst du dich schon, was da gerade wieder passiert“, sagt Horngacher. Der Zustand der Verzweiflung sei da nicht fern. Doch bisher habe er immer „Kraft gefunden, mit großer Motivation weiterzuarbeiten“.
„Sind sicher keine Favoriten“
Seine derzeit größte Aufgabe besteht darin, den gerade wenig selbstbewussten Paschke wieder in einen vorzeigbaren Flugzustand zu versetzen. „Er ist leider Gottes ein Springer, der sehr kopfgesteuert ist. Wenn sein Feingefühl nicht passt, kann es wild werden. Wir haben deshalb vor allem mit Pius intensiv in Oberstdorf gearbeitet.“ Auch Paschke plagt sich mit dem gerade akuten DSV-Springerproblem herum: die Skiführung nach dem Absprung.
Zur Wirkung des Oberstdorfer Springer-Symposiums sagte Horngacher am Montag: „Die Trainingseinheiten verliefen nach Plan. Insofern reisen wir zuversichtlich nach Norwegen.“ Wobei: „Wir sind sicher keine Favoriten.“ Horngacher sieht Außenseiter-Chancen vor allem bei Wellinger, dem laut eigener Aussage „nicht viel fehlt nach vorn“. Das jedoch sagt er schon seit Ende Dezember, eine signifikante Besserung gelang allerdings nicht, abgesehen von partiellen positiven Ausschlägen in Lake Placid oder Sapporo Anfang Februar.
In Trondheim gibt es zwei Mannschaftswettbewerbe, einer im Mixed, in dem zwei Männer und zwei Frauen antreten. Dank der überzeugenden Leistungen der Springerinnen besitzen Horngachers Athleten in diesem Wettbewerb tatsächlich Medaillenchancen. Im Vierer-Teamwettkampf der Männer jedoch sind die Deutschen genauso Außenseiter wie am kommenden Samstag auf der kleinen und am 8. März auf der großen Schanze.