Wirtschaft

Transformation: Zukunft mit Zumutungen | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Der wohl künftige Bundeskanzler Friedrich Merz
sprach im Bundestagswahlkampf von Zumutungen, die auf uns als Gesellschaft
zukommen werden. Dies ist eine erfrischende Ehrlichkeit. Deutschland wird
aus seiner mentalen, wirtschaftlichen und politischen Depression nur durch
mutige Reformen und Veränderungen hervorgehen. Die neue Bundesregierung sollte
daher im Koalitionsvertrag den Menschen die Wahrheit sagen und detailliert
aufzeigen, was sie von jeder Gruppe der Gesellschaft als Beitrag erwartet.

Es folgt hier ein hypothetisches Szenario, wie
die Transformation aussehen könnte und wie die Zumutungen verteilt werden
sollten. Zuerst sind die Unternehmen gefordert, vor allem in der Industrie.
Die neue Bundesregierung sollte ein umfassendes Investitionsprogramm in eine
bessere Infrastruktur, Innovation und Fachkräfte auflegen und Bürokratie
abbauen. Sie sollte Unternehmen steuerlich kluge Anreize setzen, um die
Transformation hin zu neuen Technologien, Digitalisierung und Effizienz zu
beschleunigen und nicht zu verschleppen. Sie sollte Abstand von einer
aktivistischen Industriepolitik nehmen, bei der die Politik einzelne
Unternehmen und Branchen zulasten anderer bevorzugt. Nur so kann eine große
Deindustrialisierung Deutschlands verhindert werden.

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass viele, vor
allem Industrieunternehmen, stark schrumpfen und Arbeitsplätze abbauen müssen.
Manche Unternehmen werden ganz verschwinden. Deutschland hat aber heute nicht
die Wahl zwischen einer kleinen Deindustrialisierung und der Beibehaltung des
Status quo, sondern zwischen einer geringen und kurzen oder einer starken und
lang anhaltenden Deindustrialisierung. Dies erfordert auch eine konsequente
Umsetzung der Ziele und Maßnahmen in Bezug auf Klima und Umwelt – und zwar ohne Verzögerung.

Weniger staatliche Bedienstete, hoher Anpassungsdruck

Auch viele Arbeitnehmende werden betroffen sein.
Viele gute Arbeitsplätze in der Industrie werden verloren gehen, und der
Versuch, durch Kurzarbeitergeld oder andere Subventionen den Strukturwandel
aufzuhalten, muss scheitern. Die gute Nachricht ist, dass es heute viele offene
Stellen in Deutschland gibt. Was für die betroffenen Beschäftigten hart und
eine Zumutung ist, ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unausweichlich.

Auch der Staat und seine Bediensteten müssen sich
auf deutliche Zumutungen einstellen. Die Zahl der Staatsbediensteten kann in
einer schrumpfenden Gesellschaft nicht immer weiter steigen. Gleichzeitig
benötigen wir durch den demografischen Wandel deutlich mehr Beschäftigte in
Pflege und Gesundheit sowie in Bildung und Qualifizierung. Die neue
Bundesregierung sollte sich das Ziel setzen, in den nächsten vier Jahren die
Anzahl der öffentlich Bediensteten zu reduzieren, was viele Behörden unter
massiven Anpassungsdruck setzen wird. Forderungen der Gewerkschaft Ver.di nach zehn Prozent
mehr Lohn sind völlig illusorisch und schädlich.

Die größten Zumutungen in den kommenden vier Jahren
– und vor allem in den nächsten 20 Jahren – wird die junge Generation tragen.
Sie muss für die Fehler der Babyboomer-Generation geradestehen und diese
korrigieren. Die Babyboomer haben die Infrastruktur und Daseinsvorsorge auf
Verschleiß gefahren, die Sicherheit und Verteidigung völlig
vernachlässigt. Die junge Generation wird daher einen erheblichen Teil ihrer
Arbeit für öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Innovation und
Daseinsvorsorge sowie für den Aufbau der Verteidigungsfähigkeit unseres
Landes aufwenden müssen. Zudem wird sie eine zunehmend von Krisen und
Naturkatastrophen geprägte Welt erben, weil die Babyboomer es mit der
ökologischen Transformation und dem Schutz unserer Lebensgrundlagen nicht ernst
genug gemeint haben.

Aus dieser Verantwortung heraus müssten eigentlich
die Babyboomer den größten Verzicht üben. Doch im Wahlkampf haben alle Parteien
ihnen genau das Gegenteil versprochen. Die Parteien rechts der Mitte wollen die
Spitzenverdienenden steuerlich stark entlasten, während die Parteien links der
Mitte – allen voran SPD und Linke – Renten und Sozialleistungen für die
Generation der Babyboomer auf Kosten der jungen Generation erhöhen. 

Die neue
Bundesregierung sollte diese Umverteilung daher umkehren. Steuern und Abgaben
für Beschäftigte reduzieren und im Gegenzug eine auskömmliche Rente und
Versorgung für Menschen mit niedrigem Einkommen durch eine Umverteilung
innerhalb der Generation der Babyboomer. Dies erfordert beispielsweise eine
Reform der gesetzlichen Rente mit einem deutlich höheren Renteneintrittsalter.

Starke Schultern mehr beitragen lassen

Auch die Hochvermögenden sollten sich auf große
Zumutungen einstellen
. Es gibt praktisch kein Land auf der Welt, das Arbeit
stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland. Dies ist ökonomisch
schädlich, weil es Anreize für Arbeit reduziert und die Wettbewerbsfähigkeit
verringert. Die neue Bundesregierung sollte die Verpflichtung aus dem
Grundgesetz ernst nehmen und die starken Schultern mehr zum Gemeinwohl
beitragen lassen als die schwachen. Die Befürchtung ist jedoch, dass genau das
Gegenteil eintreten wird und Leistungen
für junge Menschen, Bürgergeldempfänger und -empfängerinnen oder Zugewanderte
gekürzt werden.

Auch die Konsumentinnen und Konsumenten werden sich
auf Zumutungen einstellen müssen. Klimaschutz und wirtschaftliche
Transformation bedeuten, dass manche Dinge deutlich teurer werden und sich
Menschen in ihrer Mobilität, ihrer Ernährung oder ihrem Energieverbrauch
anpassen müssen. Die neue Bundesregierung sollte dies klug begleiten,
beispielsweise durch ein sozial zielgerichtetes Klimageld, sodass möglichst
wenige soziale Härten entstehen.

Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich
gegenwärtig auf dem falschen Pfad. Die Frage ist nicht, ob wir uns diese
Zumutungen antun wollen oder nicht. Die Welt um uns herum steht nicht still,
und sie wird uns diese Zumutungen abverlangen. Wenn wir nicht selbst die Initiative übernehmen, werden es die globalen wirtschaftlichen, politischen und
militärischen Zwänge für uns tun.

Die neue Bundesregierung braucht den Mut zu einem
grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschafts-, Finanz-, Industrie- und
Sozialpolitik. Ich wünsche mir, dass der neue Kanzler und seine Bundesregierung
den Menschen mit Ehrlichkeit begegnen, von allen einen Beitrag einfordern und
dies auf eine wirtschaftlich kluge und sozial ausgewogene Weise tun.

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