Berlin

Mehr Gewalt gegen Obdachlose in Berlin | ABC-Z

Zahlen für 2024

Mehr Gewalt gegen Obdachlose in Berlin


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Audio: Fritz | 26.02.2025 | Timo Maschewski | Bild: dpa/Joko

In Berlin gibt es tausende obdachlose Menschen. Ihr Leben auf der Straße ist gefährlich, nicht nur wegen Kälte und Hitze. Zahlen des Senats zeigen: 2024 gab es hunderte Fälle von teils schwerer Gewalt gegen Obdachlose.

In Berlin gab es 2024 mehr Gewalt gegenüber Obdachlosen. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus hervor [pardok.berlin-berlin.de], die dem rbb vorliegt. Angefragt hatten die Linke-Abgeordneten Niklas Schrader und Anne Helm.

2023 kam es laut polizeilicher Kriminalstatistik Berlin [berlin.de] zu 441 Gewaltvorfällen gegenüber Obdachlosen. Im Folgejahr wurden demnach 506 Fälle gezählt – und damit 61 Fälle mehr. Zugeordnet werden die Fälle dem Feld „Hasskriminalität“.

Obdachlose 2024 in Berlin häufig Opfer von Gewalt

Besonders häufig werden Obdachlose in Berlin Opfer von vorsätzlicher einfacher und gefährlicher bis schwerer Körperverletzung. 2024 wurden 241 Fälle von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung und 166 Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung gegenüber Obdachlosen gezählt. 114 Vorfälle fanden auf öffentlichen Straßen und Plätzen statt. In drei Fällen kam es zu Mord und Totschlag.

In 13 Fällen kam es zu Vergewaltigungen, davon betroffen waren zwölf Frauen und ein Mann. Sexuell belästigt wurden fünf Personen, exhibitionistische Handlungen richteten sich gegen eine Frau. Es kam zu 35 Fällen von Raub gegenüber Obdachlosen.

Mehr Angriffe auf Obdachlose in Berlin-Mitte

Die meisten Gewaltvorfälle gegenüber Obdachlosen gab es in den Bezirken Mitte (132), Friedrichshain-Kreuzberg (116) sowie Charlottenburg-Wilmersdorf (102). Die wenigsten Vorfälle wurden erfasst in Reinickendorf (3), Marzahn-Hellersdorf (8) sowie Spandau und Lichtenberg (jeweils 12).

„Housing First“-Ansatz als Strategie gegen Gewalt gegen Obdachlose

In der Antwort des Senats wird besonders die Bereitstellung von Wohnraum als Strategie zur Gewaltprävention hervorgehoben. Menschen, die auf der Straße leben, erlebten Gewalt, „da sie ihr Leben überwiegend im öffentlichen Raum führen und ihnen die Wohnung als Schutzraum fehlt“, so das Papier. Wohnraumverlust solle verhindert und obdachlose Menschen unterstützt werden, wieder eine Unterkunft zu finden. Dies sei im Sinne des „Housing First“-Ansatzes (deutsch: zuerst eine Wohnung), mit dem besonders verletzliche Personen erreicht werden könnten.

Notfallübernachtungen seien hingegen ein niedrigschwelliges Angebot gegen die „akute und direkte Verhinderung von Obdachlosigkeit“. Es gebe zudem eine 24/7-Unterkunft in Berlin und weitere Angebote, die sich speziell an Frauen sowie LSBTIQ+ und ihre Bedürfnisse richteten.

Berliner Stadtmission: „Gewalt gehört zum Alltag von Obdachlosen“

„Gewalt gehört zum Alltag von Obdachlosen“, so die Sprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer, gegenüber dem rbb. Die Gewalt käme so entweder von Außenstehenden oder Obdachlose fügten sie sich gegenseitig zu.

Breuer verbindet die Gewalt zudem mit der hohen Zahl psychisch erkrankter Menschen, die in Berlin obdachlos sind – um die 70 Prozent der Obdachlosen leben mit psychischen Erkrankungen, so die Sprecherin. Derartige Erkrankungen können zu Gewaltreaktionen führen. Ebenso können tiefe seelische Traumata ausgelöst werden und heftige Abwehr und Aggression hervorrufen.

Menschen kämen manchmal „lädiert“ in der Stadtmission an, so Breuer im Gespräch mit dem rbb. Es ließe sich dann aber nicht immer rekonstruieren, wie genau die Menschen sich verletzt haben – Unfälle, Alkohol, Drogen oder Gewalt.

Breuer sagt, für Menschen auf der Straße sei es zudem schwierig, sich der Polizei anzuvertrauen – „es gibt hier großes Misstrauen“. Dies abzubauen könnte obdachlosen Menschen nach Gewalterfahrungen helfen.

Breuers Ansicht nach bräuchte es mehr niedrigschwellige Angebote für Obdachlose wie Notunterkünfte sowie Tageszentren, in denen es Therapie, Wohn- und Gesundheitsberatung gibt. Vor allem müssten diese Projekte langfristig betreut werden. Denn nicht nur die Zahl der Obdachlosen steige, sondern auch die Verweildauer auf der Straße sei in den vergangenen Jahrzehnten deutlich länger geworden.

Hohe Auslastung bei Berliner Notübernachtungen für Obdachlose

In den Berliner Notübernachtungen gibt es bis Ende März insgesamt 1.165 Plätze, wie die Senatsverwaltung Ende 2024 mitteilte. Zuletzt eröffnete das Unionshilfswerk eine Notunterkunft mit 140 Plätzen am Goslarer Platz in Charlottenburg.

Ab April 2025 und bis zum nächsten Winter gibt es weniger Notübernachtungen – nur etwa die Hälfte sind ganzjährig verfügbar. Die Auslastung einiger Einrichtungen liegt in kalten Nächten bei bis zu 96 Prozent. In Berlin gibt es für den Tag auch mehr als ein Dutzend sogenannter Wohnungslosen-Tagestätten sowie Treffpunkte.

Seit 2018 werden in Berlin zwei „Housing First“-Projekte gefördert: Dabei wird Menschen zuerst eine Wohnung vermittelt, ohne, dass sie vorher irgendwelche Bedingungen erfüllen müssen, wie clean werden oder einen Job haben. Insgesamt 60 Obdachlose konnten bis Ende 2023 in Berlin bereits in sogenannte Tiny Houses ziehen.

Eine genaue Zahl, wie viele Menschen obdachlos in Berlin sind, gibt es nicht. Bei einer Zählung im Jahr 2020 wurden rund 2.000 Obdachlose registriert, die meisten davon männlich und innerhalb des S-Bahnrings, fast jeder zweite kam aus dem europäischen Ausland. Die Berliner Stadtmission geht von mehr als 5.000 Obdachlosen in Berlin aus. Zudem seien 40.000 Menschen wohnungslos. Die Dunkelziffer ist hoch.

Sendung: Fritz, 26.02.2025, 20.30 Uhr


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