Kultur

Wrestling trifft Theater: Das Augsburger Brechtfestival hat begonnen | ABC-Z

Die Massen sind mobilisiert, die Halle tobt. Im Wrestling-Ring in Brechts Kraftklub treten gegeneinander an: „Kleine Leute“ versus „Die Vermieterin“. Ein ungleicher Kampf, ein Klassenkampf. Später wird aus der Vermieterin ein Immobilienkonzern werden und dann ein Finanzfonds. „Kleine Leute“ wird vom „besseren Mieter“ verdrängt werden und schließlich eine Verbündete finden, „die Stadt“. „Glitter Resistance“ wird auf „Permanente Bedrohung“ treffen und Mächte wie „Marktvorrang“ oder „Akkumulation“ in den Kampf eintreten.

Die Eröffnung des Brecht-Festivals in Brechts Kraftklub.
© Bruno Tenschert
Die Eröffnung des Brecht-Festivals in Brechts Kraftklub.

von Bruno Tenschert

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Wie bereits in den vergangenen Jahren setzt Kurator Julian Warner auch bei diesem, seinem letzten Brechtfestival auf das Format der Wrestling-Show zur Eröffnung. Und dieser „Kampf um die Stadt“ ist so etwas wie die Essenz von Warners Umgang mit Brecht: Nicht nur dessen Stücke neu inszenieren, sondern vor allem sein Denken aufs Heute anwenden.

Das romantische Glotzen austreiben

„Die große Methode“ lautet der Titel des diesjährigen Festivals – und das beschreibt gut, worum es ihm geht. Und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Bertolt Brecht seine Freude hätte an diesem kämpferischen Abend, der einem wahrlich jedes romantische Glotzen austreibt. Denn die da um ihr Recht kämpfen, schenken sich nichts.

Julian Warner, der Leiter des Brechtfestivals in Augsburg.
Julian Warner, der Leiter des Brechtfestivals in Augsburg.
© picture alliance/dpa
Julian Warner, der Leiter des Brechtfestivals in Augsburg.

von picture alliance/dpa

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Natürlich ist das choreographiert, aber es geht wirklich hart zur Sache. Und das Publikum, eine illustre Mischung aus Theaterbubble, Festivalgängern und Wrestling-Fans, geht laut mit. „Kleine Leute!“, skandieren sie im Chor, feuern an und empören sich über die unfairen Mechanismen des Markts, dass es eine Freude ist.

Weiter geht’s mit einer Uraufführung von Dietmar Dath in der Brechtbühne im Gaswerk: „Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht – Eine Übung in digitalem Dämonenfaschismus“. Es ist eine Auseinandersetzung mit Chancen und Gefahren durch zunehmende Technisierung.

Der Mensch und die künstliche Intelligenz

Dass diese nicht nur das gängige Verständnis von Arbeit, sondern auch das Konzept Demokratie an sich aushöhlen kann, ist gerade live zu beobachten. An der Seite von Donald Trump hat sich der Tech-Gigant Elon Musk daran gemacht, an einer neuen Form der Diktatur zu feilen.

Sarah Maria Grünig als digitales Monster in "Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht".
Sarah Maria Grünig als digitales Monster in „Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht“.
© Jan-Pieter Fuhr
Sarah Maria Grünig als digitales Monster in „Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht“.

von Jan-Pieter Fuhr

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Thematisch ist das Stück also auf der Höhe der Zeit: der Entwurf einer Gesellschaft, in der die Menschheit sich zunehmend der Künstlichen Intelligenz unterwirft und dafür soziale und demokratische Grundwerte über Bord wirft. Im Zentrum des Abends steht Sarah Maria Grünig als ausgestorbenes Insekt, ein schwarzes Fliegen-Irgendwas-Alien mit langen spitzen Armen, Fühlern und Mini-Beamern im Bauch, mit denen sie all den Social-Media-Wahnsinn samt Trump und Co an die Wände projiziert.

Sie ist so etwas wie die aus den Fugen geratene Technisierung, Verkörperung einer Künstlichen Intelligenz, die nach und nach die Kontrolle übernimmt. Zischend erklärt sie den Menschen die Regeln der neuen Welt, säubert ihre Festplatten von unnützem Ballast und schaltet sie gleich.

Dietmar Dath hat ein Panoptikum der Gegenwart geschaffen, das er ziemlich krampfhaft in dieser unschönen neuen Arbeitswelt aufeinanderprallen lässt. Das Personal reicht von der „aus einem östlichen Kriegsgebiet geflohenen Informatik-Hilfskraft“ über das Programmier-Genie und die esoterische ehemalige Lehrerin bis zum faschistischen Philosophen und einem Bauunternehmer.

Dietmar Dath.
Dietmar Dath.
© Carsten Koall (dpa)
Dietmar Dath.

von Carsten Koall (dpa)

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Irgendwann mischt sich Bertolt himself unter dieses Volk und verkleidet sich auch noch als Sigmund Freud. Dazu kommen „die Leute“, ein Chor des Volks, der sich weder als „Masse“ noch als „Klasse“ definiert, sondern als die gesammelte Individualität, die hier gehörig auf der Strecke bleibt. Dath will also viel, und Regisseur André Bücker hat mit der Masse an Information und Desinformation gehörig zu kämpfen. Und so bleibt dieser Abend, der alles will und viel nur anreißt, leider ziemlich sperrig.

Hinter der glitzernden Fassade

Viel sinnlicher dagegen startet das Stationentheater „Importbräute – Mein Schleier, das Henna und ihre Tränen“ von Merve Kayikci und Dorothea Schroeder. Vom Treffpunkt an einem Trachtengeschäft in Augsburg-Oberhausen taucht das Publikum ein in eine türkische Hennanacht, folgt den türkischen Frauen vom Brautmodegeschäft zum Friseur und schließlich in die für diesen feierlich-emotionalen Polterabend geschmückte Halle.

Szene aus "Importbräute - Mein Schleier, das Henna und ihre Tränen" von Merve Kayikci und Dorothea Schroeder in Augsburg.
Szene aus „Importbräute – Mein Schleier, das Henna und ihre Tränen“ von Merve Kayikci und Dorothea Schroeder in Augsburg.
© Jan-Pieter Fuhr
Szene aus „Importbräute – Mein Schleier, das Henna und ihre Tränen“ von Merve Kayikci und Dorothea Schroeder in Augsburg.

von Jan-Pieter Fuhr

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Es geht an diesem meist nur von den Frauen der Familien abgehaltenen Fest um den Abschied der Braut von ihrer Familie. Dass das emotional und mit Tränen verbunden ist, ist von Anfang an klar. Dass diese Tränen aber noch ganz andere Dimensionen haben können, wird erst während der Feier klar. Die Autorinnen haben mit Frauen in Deutschland gesprochen, die aus der Türkei hierherkamen, um Männer zu heiraten. Die keine andere Funktion und Möglichkeit hatten, als Ehefrau zu sein und Mutter. Die nicht selten vereinsamten und verzweifelten. Die Schauspielerinnen Elif Esmen und Karoline Stegemann erzählen diese unsichtbaren und meist ungehörten Geschichten hinter der glitzernden Fassade der schönen Kleider und Hochglanz-Fotos.#

Wie schon in den vergangenen Ausgaben des Festivals nimmt Julian Warner das Publikum mit an unbekanntere, dem Theater bislang fremd gebliebene Orte der Stadt, lädt ein zu einem offenen Blick und einem gegenseitigen Kennenlernen. Ein Höhepunkt wird wohl der 48-Stunden-Tanzmarathon am nächsten Wochenende mit acht Augsburger Volkstänzen von Salsa bis Stabtanz, von assyrischem Bagiye bis zu israelischem Shir.

Warner hat das Theater in die Peripherie geholt und an abseitige Orte wie einen Saunaclub. Er hat bewiesen, dass Brecht Spaß machen kann und nachdenklich. Dass Theater demokratisch sein kann und Brecht für alle. Und dass der Kampf, den Brecht kämpfte, noch lange nicht ausgekämpft ist.

Das Brechtfestival dauert noch bis zum 2. März, Infos unter brechtfestival.de

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