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Der Schock im Sieg: Für Merz beginnt ein Kraftakt, die AfD ist bedrohlich nahe | ABC-Z

Die Stimmung im Konrad-Adenauer-Haus ist voller Vorfreude – bis um Punkt 18 Uhr die ersten Prognosen über die große TV-Wand im Foyer flimmern. Die Mehrheit der Mitglieder und Gäste in der Berliner CDU-Zentrale hat fest damit gerechnet, dass das Ergebnis der Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz deutlich über der 30-Prozent-Marke liegt.

Entsprechend gedämpft werden die etwa 29 Prozent von CDU/CSU aufgenommen. So richtig emotional wird es erstmals, als Alice Weidel via TV-Übertragung behauptet, die Union habe aus dem AfD-Wahlprogramm abgeschrieben: Empörung, Kopfschütteln und laute Buhrufe.

Merz siegt bei Bundestagswahl, doch die AfD kommt bedrohlich nahe

Nein, das ist nicht der triumphale Wahlsieg, den man sich bei der Union erhofft hat. Und dennoch: Friedrich Merz hat den Regierungsauftrag und beste Chancen, zehnter Kanzler der Bundesrepublik zu werden.

Die AfD ist mit mehr als 20 Prozent bedrohlich nahegekommen, die Regierungsbildung droht schwierig zu werden. Dazu kommen die gewaltigen Herausforderungen, die vor dem neuen Kanzler liegen. Für manchen Gast im Konrad-Adenauer-Haus fühlt sich das an wie ein Schock im Sieg.

„Ich verstehe die Deutschen nicht, dass sie in dieser weltpolitischen Lage einen so zersplitterten Bundestag wählen“, sagt der Schriftsteller und Theologe Manfred Lütz. Er hoffe, dass es am Ende noch für eine Zweier-Konstellation unter Führung der Union reiche: „Deutschland braucht eine starke Regierung. Wir können doch einem Trump nicht mit Unsicherheit begegnen.“

Schonfrist? Fehlanzeige!

Die Wahllokale sind erst ein paar Stunden geschlossen, da wird vielen Merz-Unterstützern klar: Der wahrscheinliche neue Kanzler wird von Anfang an unter Druck einer AfD stehen, die ihren Stimmenanteil nahezu verdoppelt hat. Alice Weidel, die die stärkste Oppositionspartei im Bundestag anführen wird, spricht am Abend hämisch von einen „Interimskanzler Merz“.

Schonfrist? Fehlanzeige! Von Weltlage bis Wirtschaft – an diesen Meta-Themen wird sich Merz sofort messen lassen müssen. Er muss die Sicherheitsarchitektur des Landes neu aufstellen und dabei das Problem der illegalen Migration in den Griff kriegen. Und er muss den Sanierungsfall Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen.

Der kurze Wahlkampf war aufgeregt bis schrill. Die Anschläge in Magdeburg, Aschaffenburg und München haben die Bevölkerung erschüttert und für zusätzliche Unsicherheit gesorgt. Und auch die ersten Wochen der neuen Trump-Administratur lassen Schlimmes befürchten: Deutschland und Europa können sich auf die USA als Schutzmacht nicht mehr verlassen.

Neustart bei der inneren, äußeren und ökonomischen Sicherheit

Für Merz und die neue Regierung wird es nach einem schnellen Kassensturz der Ampel-Jahre darum gehen müssen, Mehrausgaben für die Bundeswehr in Milliardenhöhe zu finanzieren. Allein mit Kürzungen beim Bürgergeld, wie die Union sie plant, wird das sicherlich nicht gehen.

Deutschland braucht nach drei desaströsen Ampel-Jahren einen schnellen Neustart bei der inneren, äußeren und ökonomischen Sicherheit. Nur so lässt sich der weitere Abstieg der einst so erfolgsverwöhnten Wirtschafts- und Exportnation verhindern.

Deutschland braucht aber auch Stabilität und Verlässlichkeit. Will die neue Regierung an die AfD verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, dann muss sie erstens beweisen, dass sie das Land effizient und ohne quälende Streitereien regieren kann. Und zweitens, dass sie die Probleme, die sich wie ein roter Faden durch die Zeit der Ampel-Regierung zogen, lösen kann. 

Merz steht vor der größten außenpolitischen Herausforderung seit 1949

Als zehnter Kanzler der Bundesrepublik steht Merz vor einer außen- und sicherheitspolitischen Herausforderung, wie es sie seit 1949 nicht mehr gegeben hat: Die USA stellen das transatlantische Bündnis in Frage. Donald Trump schreibt die Geschichte um – und gibt der Ukraine eine Mitschuld am Krieg.

Vom Zusammenhalt der liberalen Demokratien unter dem Schutzschirm der USA kann nicht mehr ausgegangen werden. Das ist nicht nur bitter, sondern gefährlich: Die Sicherheitsgarantie der Nato ist ohne die USA höchstens noch die Hälfte wert.

Die Bundeswehr muss nun in einem noch schnelleren Tempo ertüchtigt und kriegsfähig gemacht werden – nur so funktioniert die Abschreckung gegenüber Russland. Geschieht das nicht, kann Putin das als Einladung verstehen, auch nach weiteren europäischen Staaten zu greifen.

In puncto Sicherheit muss Merz darum als Kanzler in allererster Linie ein Europäer sein. Deutschland hat es schon unter Angela Merkel, aber auch in den drei Ampel-Jahren sträflich versäumt, für Führung und Zusammenhalt der Europäer zu sorgen. Das Verhältnis zum Nachbarn und wichtigstem Verbündeten Frankreich hat unter der Achse Macron/Scholz einen Tiefpunkt erreicht.

Merz wird gemeinsam mit Frankreich und Polen, mit Italien und auch den aus der EU ausgeschiedenen Briten ein Europa schmieden müssen, das im Machtkampf der Großmächte USA, China und Russland nicht untergeht. Gegen die Gelüste dieses Trios, die Welt neu unter sich aufzuteilen, wird sich nur ein geeintes Europa wehren können.

Die innere Sicherheitsarchitektur muss gestärkt werden

Und natürlich muss auch im Inneren die Sicherheits-Architektur gestärkt und digital miteinander vernetzt werden. Deutschland braucht eine deutliche Aufstockung der Sicherheits-Organe und eine bessere Ausrüstung der Beamtinnen und Beamten. Die Polizei-Präsenz in der Öffentlichkeit muss erhöht, digitale Fahndungs- und Ermittlungsmöglichkeiten müssen deutlich verbessert werden. Dazu gehört auch, dass Gefährder und ausreisepflichtige Asylbewerber, die straffällig geworden sind, konsequent abgeschoben werden.

Wenige Wochen vor der Wahl kündigte Merz an, dass es mit ihm als Kanzler ein faktisches Einreiseverbot für alle Asylsuchenden an der deutschen Außengrenze geben werde. Es wird spannend sein, zu sehen, wie und mit welchem Partner – am wahrscheinlichsten mit der SPD – es ihm gelingt, diese Position umzusetzen.

Ein gnadenloser Kraftakt für Merz

Die neue Bundesregierung muss auch eine ökonomische Zeitenwende einläuten. Bedeutet konkret: Investitionen ermöglichen, Wachstum schaffen!

Wirtschaftlich geht es Deutschland schlecht, seit nunmehr zwei Jahren dümpelt das Land in der Stagnation vor sich hin. Zu hohe Energiekosten und zu wenig Investitionen in Bildung und Infrastruktur haben den Standort massiv geschwächt.

Um wieder auf Kurs zu kommen gilt: Ohne Investitionen gibt es kein Wachstum, ohne Wachstum keine wirtschaftliche Stärke. Bei Steuern und Energiepreisen muss es Entlastungen geben, damit Unternehmen in Deutschland wieder investieren und die Deindustrialisierung gestoppt wird. Nur so wird sich Deutschland in der aktuellen Weltlage behaupten können.

Klar ist: Es muss schnell gehen mit der Regierungsbildung angesichts der weltpolitischen und wirtschaftlichen Lage, die kein Vakuum duldet. Hinzu kommt: Noch ein gescheitertes Polit-Experiment wie die Ampel kann sich Deutschland nicht leisten.

Ansonsten steht das Land bei der nächsten Bundestagswahl in vier Jahren womöglich vor Verhältnissen wie in Österreich, wo die Rechtspopulisten zur stärksten Kraft gewählt wurden.

Die Regierungszeit eines Kanzlers Merz – sie wird von Beginn an zu einem gnadenlosen Kraftakt. 

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