Union gewinnt die Wahl: Merz erreicht nur Minimalziel und muss zittern | ABC-Z

CDU und CSU gewinnen wie erwartet die Bundestagswahl und werden klar stärkste Kraft. So weit so gut. Doch die Union verfehlt die Marke von 30 Prozent und enttäuscht damit die selbst formulierte Hoffnung. Ein Befreiungsschlag sieht anders aus.
Der Jubel ist da, als CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf die Bühne kommt. Umringt und beklatscht von Ministerpräsidenten und der gesamten Führungsriege der Union, spricht er zur Menge im rappelvollen Konrad-Adenauer-Haus. Lauter Applaus als er sagt: „Wir haben die Wahl gewonnen.“ CSU-Chef Markus Söder spricht lobende Worte. Gemeinsam winken sie den johlenden CDUlern vor der Bühne zu. Die beinahe ausrasten, als Merz in Anspielung auf den Stefan-Raab-Song über ihn „Rambo Zambo“ verspricht.
Das Interesse ist gewaltig. Vor dem Adenauer-Haus steht Ü-Wagen an Ü-Wagen, Journalisten aus der ganzen Welt sind da, um bei Chili, Brezen, Weißwein und Pils der CDU beim Feiern zuzusehen. Denn dass sie gewinnen würde, war klar. Nur wie hoch, das war die Frage. Und die Antwort darauf ist eher ernüchternd. So ausgelassen wie auf der Bühne ist die Stimmung auf den Gängen des Adenauer-Hauses nicht.
Keine Zeit für lange Regierungsbildung
Knapp 29 Prozent bei der Bundestagswahl sind kein überragender Erfolg, eher so etwas wie das Minimalziel. Besser als beim letzten Mal, aber immer noch das zweitschlechteste Ergebnis der Unions-Geschichte. Geträumt hatten Merz und seine Führungsriege um Generalsekretär Carsten Linnemann von 30 Prozent und mehr, eigentlich sogar von 35 Prozent plus X. Davon ist die Union meilenweit entfernt. Und das hat eine ganze Reihe von Folgen, die die Freude über den unbestrittenen Wahlsieg bald verdrängen dürften.
Gewonnen ist gewonnen, könnte man sagen. Und es stimmt ja auch: CDU und CSU sind klar stärkste Kraft geworden, kommen auf mehr Stimmen als SPD und Grüne zusammen. Folgerichtig ließ SPD-Generalsekretär Matthias Miersch keinen Zweifel daran: CDU-Chef Merz hat den Regierungsauftrag. Der Wahlsieger selbst sagte, die Union habe die Wahl gewonnen. Das Land könne sich nun keine langatmige Regierungsbildung leisten.
Auf dem CDU-Parteitag Anfang Februar hatte Merz noch gesagt, es komme bei der Regierungsbildung darauf an, mit welchem Abstand die Union vor SPD oder Grünen liege. Immerhin: Dieser Abstand ist groß. Doch das hat auch mit der historischen Schwäche der SPD zu tun, weniger mit einer historischen Stärke der Union. Die Grünen verlieren nur geringfügig, sind aber meilenweit von Augenhöhe mit der Union entfernt. Bloß: Stimmen in der Mitte gewinnt die Union eben nur wenige hinzu.
Nun findet sich die Union in einer undankbaren Situation wieder. Sie muss zittern und darauf hoffen, dass FDP und BSW unter fünf Prozent bleiben. Sonst reicht es nicht für Schwarz-Rot. Das ist aber ist das Wunschbündnis für die Union, spätestens nachdem Schwarz-Grün aussichtslos erscheint – eine Option, die auch in der CDU viele Freunde gehabt hätte.
Knackpunkt AfD?
Ein Dreierbündnis wäre nach der Ampel-Tortur nur ein notwendiges Übel. Aber selbst wenn es für Schwarz-Rot reicht, werden die Sozialdemokraten einen hohen Preis in Form von inhaltlichen Zugeständnissen und Ministerien. Und das würde lange, harte Verhandlungen bedeuten. Genau dafür hat Deutschland keine Zeit, wie Merz am Wahlabend richtig sagte.
Unweigerlich richtet sich der Blick wieder auf Ende Januar, die turbulenten Tage nach den Messermorden von Aschaffenburg. Merz forderte Konsequenzen und nahm gemeinsame Abstimmungen mit der AfD in Kauf. Lange sah es so aus, als ob das der Union nicht geschadet hätte. Doch das stimmt so nicht. Die Union verlor zwar kaum, auch SPD und Grüne profitierten nicht davon. Die Linke hingegen schon. Deren Höhenflug verkompliziert die Regierungsoptionen. Und der hat ziemlich sicher mit der denkwürdigen Woche im Bundestag Ende Januar zu tun. Erst danach begann das atemberaubende Comeback der Linken. Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek erreichte Millionen junger Menschen auf Tiktok – mit einem Video davon, wie sie Merz im Bundestag attackierte.
Merz kein Zugpferd
Der konservative Kurs hat die CDU aber auch in eine unangenehme Situation gegenüber der AfD gebracht. Alice Weidel wiederholte am Wahlabend ihren Satz, die CDU habe das AfD-Programm abgeschrieben. Was absurd ist, in so ziemlich allen Punkten. In der Migrationsfrage ist die CDU aber der AfD tatsächlich ein Stück nachgelaufen – was sie selbst durch die gemeinsamen Abstimmungen mit den Rechtspopulisten dokumentierte. Weidel behauptet nun, einen Politikwechsel könne es nicht geben, wenn die Union mit SPD oder Grünen koaliert oder gar mit beiden. Der Eindruck könnte nun entstehen: In der Migrationsfrage tut sich nichts, obwohl Merz das Gleiche will wie die AfD.
Doch die Programmatik ist das eine – Tatsache ist auch, dass Merz nicht gerade ein Zugpferd für seine Partei war. Im Trendbarometer von RTL und ntv gehörte er zwar zu den beliebtesten Kandidaten, übertrumpfte regelmäßig Kanzler Olaf Scholz. Doch das war nicht besonders schwer. Begeisterung löste Merz eben nicht aus.
Die meisten Deutschen dürften auf klare Verhältnisse gehofft haben. Am Wahlabend steht dem noch viel Wenn-und-Aber entgegen. Hätte die Union die angestrebten 30 Prozent plus x, vielleicht sogar fulminante 35 Prozent geschafft, wäre alles einfacher. Aber wie heißt es so schön: Hätte, hätte Fahrradkette. Für die ersten Monate nach der Wahl hat sich Merz vorgenommen, die Stimmung im Land zu drehen. Optimismus zu verbreiten. Der Wahlabend war dafür nur bedingt ein Beitrag.