Wirtschaft

Spitzenküche in der Pfalz von Benjamin Peifer | ABC-Z

Die Tarnung ist verwirrend vollkommen, ganz so, als dürfe nicht einmal der Herrgott wissen, wie lustvoll genau gegenüber seiner Kirche im ehemaligen Pfarrhaus der Völlerei gefrönt wird, Todsünde für die einen, Lebensfreudenfest für die anderen. Ein unscheinbares Holzbrettchen mit einem kaum leserlichen Namensschild und einem simplen Klingelknopf weist uns im Herzen des pittoresken Pfälzer Weindorfs Wachenheim den Weg in das klandestine Restaurant. Er endet erst einmal in der guten Stube mit ihren tiefen Polstermöbeln, in der vor unseren Augen zwei Köche vier Klassiker der Pfälzer Hausmannskost so radikal verfeinert und so ungeheuer aufwendig zubereiten, dass uns der Liebe Gott, sollte er tatsächlich ahnungslos sein, schon jetzt leidtut.

Die Verwandlung des kulinarischen Aschenputtels

„Gequellde mit weißem Kees“, die Pfälzer Pellkartoffel mit Frischkäse, wird zum luftigen Cumulus-Wölkchen, gekrönt von einer Rosette aus hauchzarten Radieschen-Scheiben, die mit der Pinzette millimetergenau angerichtet werden wie von einem Uhrmacher. Der Kirschenauflauf „Kerscheplotzer“ hat sich wie ein kulinarisches Aschenputtel in eine Entenleber-Terrine mit kandierten Kirschen und Rauchmandel verwandelt. Aus dem „Zwiwwelkuche“ ist eine hochkomplexe Komposition mit Zwiebel-Confit, Traubengelee, Dashi-Schinken und Kümmelöl geworden. Und das Pfälzer Urgericht „Dampfnudel un Woisoß“ teilt sich wie Yin und Yang einerseits in eine traditionelle Dampfnudel nach dem Rezept der Großmutter unseres Kochs, andererseits in einen federleicht schmeichelnden und doch enorm intensiven Schaum aus Riesling und Beurre blanc, der im klassischen Römerglas serviert wird. Und schon ahnen wir, dass im alten Wachenheimer Pfarrhaus eine Pfälzer Küche auf den Tisch kommt, wie man sie in der Pfalz kein zweites Mal findet.

Hommage an die Pfalz und an die eigene Großmutter: Benjamin Peifers Dampfnudeln mit Weinsauce, die im klassischen Römerglas serviert wird.Intense

Benjamin Peifer ist selbst Pfälzer, hat sich mit seinem Restaurant „Intense“ schon vor Jahren ein paar Dörfer weiter einen Michelin-Stern erkocht, dann in der Pandemie alles verloren und geht nun in Wachenheim ein kolossales Wagnis ein: Sein Lokal, für das er prompt wieder einen Stern bekommen hat, bricht mit allen kulinarischen Konventionen seiner Heimat, inszeniert das Essen als Erlebnis mit Einheitsmenü und zementierter Dramaturgie und lässt den Gästen keine andere Wahl, als sich voll und ganz auf das gebotene Schauspiel einzulassen. So geht es nach der guten Stube erst einmal in die Speisekammer mit Reifeschrank und Backstube, in der uns ein weiterer Koch einen fabelhaften Macaron aus schwarzem Trüffel und Pilz-Terrine in einem Mantel aus rohem, pergamentdünn aufgeschnittenem Rinderfilet vom Pfälzer Weiderind reicht. Erst danach betreten wir den fensterlosen Gastraum, den eine riesige offene Küche mit loderndem Feuer beherrscht, nehmen nicht in einer der intimen Nischen, sondern wie in Japan am Tresen Platz und werden so Augenzeuge des Husarenstücks eines barocken Berserkers an Herd und Flamme.

Pfälzer Wucht statt japanischer Minimalismus

Seine Küche greift zwar immer wieder beherzt in die kulinarische Schatzkiste Japans, doch nichts liegt ihr ferner als eine Fusion mit dem Fernen Osten. Das Nest aus Soba-Nudeln mit Kaviar, Tomatenwasser, Holunderblüten, Amalfi-Zitrone und Garnelen-Tatar bleibt ebenso wie das Peifer’sche Okonomiyaki aus Pfannkuchen, geräucherter Forelle, Haselnuss-Mayonnaise, Dashi-Essig, Meerrettich, Fingerlime, Tatar von Gelber Bete und Stroh von Roter Bete in der Kraft und Wucht der Aromen eine zutiefst pfälzische, wenngleich radikal modernisierte Angelegenheit, der jeder japanische Minimalismus fremd ist.

Langweilig wird es im „Intense“ nie - vor allem dann nicht, wenn man am Tresen sitzt und der Küchenbrigade bei der Arbeit zuschauen kann.
Langweilig wird es im „Intense“ nie – vor allem dann nicht, wenn man am Tresen sitzt und der Küchenbrigade bei der Arbeit zuschauen kann.Intense

Diese barocke Lust am maßlos Überbordenden, die manchen Feinschmeckerfeingeist überfordern mag, prägt jeden Gang und lässt bis zum Schluss kein Jota nach. Der Aal wird über dem offenen Feuer gegrillt, mit einer Reduktion aus Sake, Soja und Aal-Karkassen lackiert und mit Kopfsalat, Rettich-Julienne, Wachenheimer Nashi-Birnen und einem Eis von der Entenleber verschwenderisch arrondiert. Die Gillardeau-Auster kommt gleichfalls auf den Grill und macht mit Zitronenverbene, sauren Bohnen, einem Öl aus verbranntem Knoblauch, Austern-Chips, Verbene-Pulver und Beurre blanc der Pfälzer Herzhaftigkeit galant die Honneurs. Und der Stör im gedämpften Mangoldblatt mit Bärlauchöl, Pfifferlingen, fermentierter Zwiebel und selbst gemachtem Chorizo ist erst recht kein Kind von minimalistischer Zurückhaltung.

Der Aufwand, den Benjamin Peifer vor unseren Augen zu unserem Wohlgefallen treibt, ist immens und wird nur noch von seinem Wagemut und seiner Risikobereitschaft übertroffen: Er bietet den Gästen mitten in der Pfalz, dem Inbegriff deutscher Gemütlichkeit und Bodenständigkeit, ein avantgardistisches Spektakel, das man eher in Kopenhagen oder Barcelona als an der Deutschen Weinstraße erwarten würde. Er dekonstruiert und rekonstruiert die Pfälzer Küche mit einer kompromisslosen Konsequenz, die manchem Alteingesessenen als Hochverrat an der Heimat erscheinen mag. Und er lässt sich von nichts und niemandem darin beirren, zum Pfälzer Björn Frantzén werden zu wollen.

Je länger der Abend dauert, umso mehr gleicht die Stimmung einer Party, die einzig und allein von den sehr stolzen Weinpreisen gedämpft wird. Selbst der Chef, der die ganze Zeit über geschuftet hat wie ein Herkules am Herd, legt jetzt ein paar spontane Tanzschritte vor dem offenen Feuer hin, auf dem er gerade das glasierte Pfälzer Reh grillt. Und wieder staunen wir über den enormen Aufwand, über die Dutzenden Handgriffe, mit denen der Gang vollendet, die Quinoa gepufft, der Kürbis confiert, der Pfirsich mariniert und das Ganze zu einer barocken Monstranz montiert wird. Selbst bei den Petits Fours macht sich der Chef das Leben nicht nachlässig leicht, sondern baut die Süßigkeiten aus seiner Kindheit, die auch wir in bester Erinnerung haben, mit höchster Präzision täuschend echt nach. Und so verlassen wir das Wachenheimer Pfarrhaus gut gevöllt in der hoffnungsfrohen Gewissheit, dass Benjamin Peifers kunstvolle Kraftküche der Pfalz genauso gut zu Gesicht steht wie jeder Saumagen.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"