Kultur

Pflegepersonal: Mamas Kreuz | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Ich stehe an der Küchenspüle und frage meine Mutter,
wen sie wählen wird. Umständlich wringt sie einen Kaffeefilter aus und legt ihn
zum Trocknen auf die Heizung. Gerade haben wir unser Kaffeekränzchen beendet.
Irritiert schaue ich sie an. „Der Müll wird bei uns gewogen, je weniger Wasser
in der Mülltonne, desto weniger Kosten!“, sagt sie.

Ich bemerke einen Kaffeefleck auf meiner Cordhose, er
frisst sich in den geriffelten Stoff. Als Kind hatte ich auch eine Cordhose.
Aus braunem Stoff, meine Mutter hatte sie aus einem der Secondhandläden, in denen
wir unsere Klamotten kauften. Wann immer ich damit lief, ratschte der Cordstoff
an den Oberschenkeln gegeneinander.

„Also, wen wirst du wählen?“, frage ich meine Mutter
noch einmal und spüle dabei eine der Kaffeetassen ab. „Weiß nicht, dieses Mal
ist es noch schwerer als sonst.“

Letztes Mal hatte die SPD mehr Respekt
versprochen.

Meine Mutter arbeitet in einem Altenheim als
Hilfskraft. Wechselt von der Spätschicht in die Frühschicht, von der
Frühschicht in die Spätschicht.

Wirklich viel gespürt hat sie wenig von diesem groß
angekündigten Respekt für ihren Beruf, für sich.

Kürzlich gab
es eine Erhöhung des Mindestlohns in der Pflege
. Deswegen
und durch den Auszug meiner Schwester ist sie, statistisch gesehen, nicht mehr
arm. Doch in zu wenig Wahlprogrammen geht es konkret um die
Bedingungen für Pflegekräfte. Lediglich die Grünen wollen eine Rückkehroffensive
für Hunderttausende Fachkräfte, die die Pflege wegen schlechter Bedingungen
verlassen haben.

In Deutschland gilt jede fünfte Person als von Armut oder
sozialer Ausgrenzung bedroht. Nur spielen diese unteren Prozente im Wahlkampf anscheinend
keine Rolle. Ich versuche, den Fleck aus dem Stoff zu entfernen. 

Eine
Cordhose trug ich auch bei meiner Einschulung, als wir in einen anderen
Stadtteil gezogen sind, damit ich nicht auf die sogenannte Brennpunktschule
musste. Sie war von C&A und zwickte am Bein. Danach wollte ich keine mehr. 

Meine Mutter sitzt am Küchentisch, während ich
abspüle. Sie wohnt in einer geräumigen Dreizimmerwohnung. Der Mietvertrag wurde
vor mehr als 15 Jahren unterschrieben. Seitdem alle Kinder aus dem Haus sind,
haben ihre Pflanzen einen eigenen Raum mit Balkon. Meine Mutter würde sich
grundsätzlich gerne verkleinern, aber Wohnungen mit weniger Zimmern kosten heute
teils doppelt so viel. Mit der Rente irgendwann wird sich ihr schmales Einkommen
noch einmal verknappen.

Frauen sollen besser vor Altersarmut geschützt werden,
schreibt die SPD in ihrem Programm. Erziehungs- und Pflegezeiten sollen
angerechnet werden. Nur arbeiten armutsbetroffene Alleinerziehende neben der
Kindererziehung ohnehin häufig, die Rente reicht trotzdem nicht für das Leben –
geschweige denn die Miete in einer Großstadt. 

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