Berlin

Selenskyj soll von Nord-Stream-Sprengung gewusst haben | ABC-Z

Von Peter Poensgen

Vor knapp zwei Jahren, am 26. September 2022, detonierten am Grund der Ostsee mehrere Sprengladungen vor der dänischen Insel Bornholm und der südschwedischen Küste. Sie rissen vier große Lecks in Putins Gas-Pipelines von Nord Stream. Das „Wall Street Journal“ (WSJ) berichtet nun über neue, teils überraschende Erkenntnisse zum Ablauf der größten Sabotageaktion der jüngeren Geschichte.

Die exklusiven Recherchen stammen vom WSJ-Journalisten Bojan Pancevski, Chef-Korrespondent für europäische Politik, der bisher mit investigativen Storys um die Nordstream-Sabotage, den Gefangenen-Deal mit Putin sowie exklusiven Informationen aus dem Ukraine-Krieg von sich reden gemacht hat.

Was er von informierten Quellen herausfinden konnte:

Die Idee entstand im Rausch. Eine Gruppe hochrangiger ukrainischer Militärs und reicher Geschäftsleute feierte im Mai 2022 mit viel Alkohol die erste Abwehr der Armee von Russlands Angriff auf Kiew. Im patriotischen Überlebens-Taumel soll als nächster, radikaler Schritt die Zerstörung von Nord Stream vorgeschlagen worden sein.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht bei der Internationalen Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin Foto: Kay Nietfeld/dpa

Einer der Militärs aus der Ukraine sagte anonym, er müsse immer lachen, wenn er Spekulationen über eine riesige Operation mit Geheimdiensten, U-Booten, Drohnen und Satelliten lese. Letztlich sei alles aus einer alkoholisierten Nacht und dem eisernen Willen einer Handvoll Menschen entstanden, die den Mut hatten, ihr Leben für ihr Land zu riskieren.

Präsident Selenskyj soll Bescheid gewusst haben

Präsident Selenskyj soll Bescheid gewusst haben. Politisch brisant: Laut WSJ soll Selenskyj den Plan innerhalb weniger Tage genehmigt und später einen Rückzieher gemacht haben. Das sagen zumindest vier mit der Verschwörung vertraute Personen. Alle Absprachen seien mündlich getroffen worden, sodass keine schriftlichen Spuren hinterlassen wurden.

Westliche Geheimdienst bekamen Wind davon. Die Niederlande konnten den Sabotage-Plan enthüllen. (Nach Abschuss der Passagiermaschine von Flug MH-17 im Jahr 2014 hatten sie viele Geheimdienstkapazitäten in Russland und der Ukraine investiert.) Sie warnten den US-Geheimdienst CIA und Deutschland. Daraufhin verlangten die USA von Selenskyj, den Plan zu stoppen. Dies habe er auch umgehend angeordnet – ohne Erfolg.

Es war zu spät, sagte der Chef-Planer. Die Aktion ließ sich nicht mehr aufhalten, behauptete Selenskyjs damaliger Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj (51). Der Anschlag sei schon befehligt, das verdeckte Team schon unterwegs, sagte er dem Präsidenten – ohne Kommunikationsmittel, um das Projekt nicht zu gefährden. Es agiere wie ein Torpedo, den man nicht mehr zurückholen könne, wenn man ihn abgefeuert hat.

Saluschnyj galt auch als Selenskyj-Rivale, wurde später abberufen und ist heute Ukraine-Botschafter in Großbritannien. Dem WSJ sagte er, nichts von der Operation gewusst zu haben. Jede gegenteilige Behauptung sei eine „bloße Provokation“.

Der Ablauf: Die Kosten für die Sprengung der Nord-Stream-Röhren soll bei 300 000 Dollar gelegen haben, berichten Insider. Finanziert wurde sie demnach von Geschäftsleuten. Davon mieteten die Akteure die Yacht „Andromeda“ und heuerten eine sechsköpfige Crew an, darunter ausgebildete zivile Taucher. Auch eine Frau war darunter, um dem Anschein einer Bootstour unter Freunden zu bekräftigen.

Die Fehler des Anschlag-Teams: Fast wäre die Operation wegen schlechten Wetters abgebrochen worden. Ein Taucher ließ im Stress eine Bombe in die Tiefe des Meeres fallen. In der Eile verließ die Crew nach dem Anschlag die „Andromeda“, ohne sie gründlich zu säubern. Die Saboteure hinterließen Sprengstoff-Spuren und Fingerabdrücke, die deutsche Ermittler später fanden. Und: Der Hauptverdächtige, gegen den seit Juni ein Haftbefehl vorliegt, wurde 2022 auf der Autobahn geblitzt.

Back to top button