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Über Ella Fitzgeralds Version von „Anything Goes“ | ABC-Z

Das Lied „Anything Goes“ schrieb Cole Porter für sein gleichnamiges Musical, das 1934 in New York erstmals aufgeführt wurde. Aus demselben Jahr existiert eine Einspielung, in welcher der Komponist das Stück singt und sich dabei auf dem Klavier begleitet. Ella Fitzgerald, die von 1917 bis 1996 lebte und zu den bedeutenden Sängerinnen des Jazz gehört, nahm 1956 das Lied auf, im Rahmen eines Doppel-Albums mit Songs von Cole Porter.

Sie trägt allerdings eine geraffte und bearbeitete Fassung des ursprünglichen Textes vor. Der Komponist hatte noch in den dreißiger Jahren die Verse und Zeilen des Liedes um die Passagen und Worte gekürzt, die einerseits obszön klangen und andererseits auf Personen und Umstände anspielten, die nur für Zeitgenossen verständlich waren. Aber auch der Text, den Ella Fitzgerald singt, besitzt die Intelligenz, den Charme und die Leichtigkeit, welche die Songs von Cole Porter auszeichnet, auf den der Ausdruck „sophisticated“, also anspruchsvoll, häufig angewendet wurde.

Heute würde der Felsen auf den Auswanderern landen

Das Lied von 1956 beginnt mit den Klängen einer Harfe und der Streicher, am Anfang ist ein Rubato zu hören – die Instrumente und auch Ella Fitzgerald bewegen sich unabhängig von Tempo und Taktschlag, der für den Song charakteristisch ist. Im Text geht es um den Schock, den die Pilgerväter 1620 hatten, als sie am Plymouth Rock in Amerika ankamen. Heute, so lautet die Pointe von Cole Porter, würde der Felsen auf den Auswanderern landen. Der Titel des Liedes „Anything Goes“ bezieht sich einerseits auf das Lebensgefühl der zwanziger Jahre, auf die technischen Errungenschaften des Radios, des Kinos, der massenhaften Verbreitung des Autos, aber auch auf das Zeitalter von Jazz, Big Band und Tanzmusik. Andererseits schrieb Cole Porter den Song 1934, als die USA mit der Weltwirtschaftskrise kämpften, die 1929 durch den Schwarzen Freitag ausgelöst wurde.

In der ersten Textfassung finden sich Anspielungen auf Ereignisse der dreißiger Jahre, die heute kaum noch in Erinnerung sind. Eleanor Roosevelt, die Ehefrau des damaligen Präsidenten, hatte eine eigene Sendung im Radio. Der Produzent Max Gordon führt seine Shows am Broadway mit finanzieller Unterstützung von John D. Rockefeller auf. Die russische Schauspielerin Anna Sten, die mit starkem Akzent Englisch spricht, tritt in Filmen auf, weil Sam Goldwyn ihr hilft.

Zwischen Zeitäuften und Autobiographie

Diese Ereignisse beweisen für Cole Porter, dass alles möglich ist. Die Formulierung „Anything Goes“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auch in akademischen Kreisen verwendet, um die Vielfalt an Methoden und Möglichkeiten zu verdeutlichen, die sich in der Postmoderne ergaben. Das Schlagwort rechtfertigte den Bruch mit der Tradition und die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Stilrichtungen in der Kunst.

„Anything Goes“ kann aber auch auf den Lebenslauf von Ella Fitzgerald bezogen werden, die in New York aufgewachsen ist, früh ihre Eltern verloren hatte, straffällig wurde und in öffentlichen Institutionen aufwuchs, bevor sie 1934 in Harlem als Sängerin debütierte. Ihr erster großer Erfolg war der Song „A-Tisket-A-Tasket“, den sie 1938 mit Chick Webb und seiner Band aufnahm. In den vierziger Jahren verlagerte sich ihr Interesse vom Swing auf den Bebop. Ella Fitzgerald widmete sich in Songs wie „How High the Moon“ und „Flying Home“ vor allem dem Scatgesang, also einer Form der Artikulation, bei der die Silben unter lautlichen und rhythmischen Aspekten eingesetzt werden und keine Rücksicht genommen wird auf die Bedeutung von Worten oder Sätzen.

Orchester und Sängerin bilden eine Einheit

Angeregt durch ihren Manager Norman Granz, wendet sie sich nach der Phase des Bebops in den fünfziger Jahren der populären Liedkomposition zu, die in den USA unter anderem geprägt ist von Cole Porter, George Gershwin oder Irving Berlin. Zwischen 1956 und 1964 nimmt sie insgesamt acht „Songbooks“ auf mit Stücken berühmter Komponisten; häufig handelt es sich um Lieder aus Musicals, die am Broadway in New York aufgeführt wurden. Unterstützt wird dieses Konzept durch die Entwicklung der Langspielplatte aus Vinyl, die 1948 auf den Markt kommt und im Gegensatz zum Tonträger aus Schellack mehr Musik wiedergeben kann. „Ella Fitzgerald Sings the Cole Porter Songbook“ erscheint 1956 als Doppel-Album, und „Anything Goes“ ist das zweite Lied dieser Sammlung.

Auffällig bei dem Stück ist das Zusammenspiel zwischen der Stimme und den Instrumenten. Der Ausdruck „Colla parte“, also „mit von der Partie“, dient in der Musik als Anweisung für die Annäherung von Begleitung und Gesang. Ella Fitzgeralds Stimme wirkt so geschmeidig, weil die Instrumente sie in ihrer Tonhöhe unterstützen. Orchester und Sängerin bilden eine Einheit, aus der gelegentlich die Posaunen kurz hervortreten. Ella Fitzgerald trägt die Melodie des Liedes so vor, wie sie Cole Porter geschrieben hat. Es finden sich kaum improvisierende Partien in dem Stück, die für den Jazz üblich sind. Der Rhythmus des Liedes nimmt allerdings die Tendenzen des Swings auf, der für die dreißiger und vierziger Jahre typisch ist.

Der Sinn erschließt sich durch die Stimme

„Anything Goes“ in der Fassung von 1956 ist ein notierter Song, ein Lied, in dessen Zentrum der Gesang steht, der sich am regelmäßigen Wechsel von Strophe und Refrain orientiert. Ella Fitzgerald passt sich den Bedürfnissen des Songs an und gibt dem Stück durch ihre Stimme einen einmaligen Ausdruck. In einer Dokumentation berichtet Buddy Bregman, der das Orchester bei der Aufnahme leitete, dass die Sängerin ihn häufiger gebeten hätte, ihr die anspruchsvollen Texte von Cole Porter zu erklären. Aber „Anything Goes“ lebt davon, dass Vortrag und Formulierung sich ergänzen. Der Sinn des Textes erschließt sich vor allem durch ihre Stimme.

Auf dem Album „Ella loves Cole“ von 1972 findet sich eine weitere Version des Songs, die arrangiert wurde von Nelson Riddle. Auf dieser Fassung setzen sich die Instrumente gegenüber der Stimme der Sängerin deutlicher ab. Die Aspekte der Improvisation nehmen zu. Ein Trompetensolo ist zu hören, und auch Ella Fitzgerald gestaltet die Melodielinien ihres Gesanges aus, weicht ab von Cole Porters Vorgaben. Der Rhythmus ähnelt teilweise lateinamerikanischen Vorbildern.

Zu erwähnen ist ebenfalls eine Aufnahme des Songs, die auf dem Album „Ella Returns to Berlin“ zu hören ist. Es handelt sich um die Aufzeichnung eines Konzerts von 1961. Die Sängerin wird bei „Anything Goes“ nur von Schlagzeug, Klavier und Bass begleitet. Der Einfluss der Jazzmusik wird verstärkt, obwohl Ella Fitzgerald treu der Melodie von Cole Porter folgt. 1956 spielte ebenfalls Frank Sinatra das Lied neu ein in einer Fassung, bei der seine Stimme im Vordergrund steht und die Elemente des Swings sich verbinden mit dem Charakter einer Ballade. Dave Brubeck gestaltete in seiner Version das Thema umfangreich aus, wich deutlich ab vom Original.

Das Lied diente auch als Filmmusik, am Anfang des zweiten Teils der Reihe „Indiana Jones“ von 1984. Lady Gaga und Tony Bennett tragen 2014 „Anything Goes“ gemeinsam vor in einer Fassung, die wiederum an die Entstehungszeit erinnert. Der Titel des Songs deutet die Freiheit an, mit welcher das Lied interpretiert werden kann. Bei dieser Musik ist alles möglich.

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