Bundestagswahl: EU setzt auf Klarheit | ABC-Z

Was Brüssel von den Bundestagswahlen erwartet? Da gibt man sich traditionell bedeckt. Doch hinter den Kulissen werden durchaus einige Erwartungen geäußert – vor allem an mehr deutsche Verlässlichkeit.
„Europa ist nicht stark ohne ein starkes Deutschland,“ sagte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nach dem Bruch der Ampel-Koalition im November. Weitere offizielle Statements zur Bundestagswahl sind Mangelware, denn die EU äußert sich grundsätzlich nicht zu Wahlen in den Mitgliedstaaten.
Wenn aber der größte Mitgliedsstaat vor einem möglichen Regierungswechsel steht, lässt das Brüssel nicht kalt. Und selbstverständlich machen sich auch die Partnerstaaten, mit denen Deutschland in der EU zusammenarbeitet, so ihre Gedanken. Ein EU-Diplomat bringt gegenüber der DW die Brüsseler Stimmung auf den Punkt: Mit den Wahlen sei die Hoffnung verbunden, es möge danach wieder etwas mehr Klarheit und Vorhersehbarkeit geben, was die deutsche Position bei Gesetzesvorhaben betrifft.
Der EU-Diplomat spielt auf etwas an, was Sophie Pornschlegel, stellvertretende Leiterin des Jacques-Delors-Instituts in Brüssel, als „Externalisierung deutscher Probleme in Brüssel“ bezeichnet. Damit verwendet sie einen psychologischen Fachbegriff, der beschreibt, wie eine innere Verfassung nach außen wirkt. In der Hoffnung, dass es nach der Ampelkoalition nicht mehr dazu komme, so Pornschlegel, beobachte man in Brüssel genau, welche politische Ausrichtung die nächste Bundesregierung habe.
Die Ampelkoalition war eine Regierungskoalition aus Sozialdemokraten (SPD), den Grünen und der Freien Demokratischen Partei (FDP). Sie hat durch interne Streitigkeiten bei einigen Gesetzesvorhaben in der Europäischen Union für große Unruhe gesorgt. Beispielsweise wurde eine bereits getroffene Vereinbarung für klimaneutrale Autos ab 2035 aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten in der deutschen Regierung wochenlang verschoben. Erst nach Zugeständnissen an den liberalen Koalitionspartner FDP stimmte die Bundesregierung zu. Beim europäischen Lieferkettengesetz enthielt sich Deutschland nach vorausgegangenen langen Verhandlungen und einer Abschwächung des Gesetzestextes, weil sich die Ampelkoalition uneins war.
Ein Abstimmungsverhalten, das in Brüssel auch etwas höhnisch „German Vote“ genannt wird. Grundsätzlich ist eine Enthaltung weder ein neues noch ein rein deutsches Phänomen. Noch nie wurde dieser Begriff aber so inflationär gebraucht, wie während der Ampelkoalition, bestätigte ein EU-Diplomat der DW.
Wenn die EU ein Gesetz verabschiedet, müssen dafür in der Regel mindestens 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, zustimmen. Deutschland steht allein schon für 18,5 Prozent der Bevölkerung, die bei einer Enthaltung nicht mitgezählt werden. Außerdem muss das EU-Parlament dem EU-Gesetz zustimmen.
Die letzten Jahre hätten gezeigt, wie sehr es die EU behindere, wenn Deutschland nicht in einer Führungsrolle sei, sagt Fabian Zuleeg, Leiter des Brüsseler European Policy Center, der DW. „Wir haben eine Instabilität in Deutschland gesehen. Wir haben gesehen, wie Entscheidungen einfach nicht mehr getroffen werden können.“ In Brüssel sei die Befürchtung sehr hoch, dass sich daran auch nach der Wahl nichts ändern werde, erläutert der Ökonom.
Politikwissenschaftlerin Pornschlegel sagt, aus Deutschland seien in den letzten Jahren wenig Impulse für die EU-Politik gekommen. Damit habe das Land nicht die Rolle eingenommen, die man von ihm erwarte.
Traditionell gilt die deutsch-französische Zusammenarbeit als Motor für europäische Projekte. Wie gut dieser Motor läuft, hängt auch davon ab, wie gut sich die Spitzenpolitiker der beiden Länder verstehen. Und das Verhältnis zwischen Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz sei „nicht besonders einfach“, stellt Politikwissenschaftlerin Pornschlegel im DW-Interview fest. Letztlich komme es bei jeder Zusammenarbeit auf den politischen Willen an. Doch weder bei Frankreich noch bei Deutschland habe sie die nötige Kompromissbereitschaft feststellen können. Beide Länder seien geschwächt aus der Europawahl hervorgegangen.
In Frankreich rief Präsident Macron deshalb eine nationale Neuwahl aus. Doch seitdem sitzt die Regierung auf dem Schleudersitz und das Land kommt erst recht nicht zur Ruhe. „Es gibt schon eine Veränderung der Machtdynamiken im Brüsseler Kontext“, sagt Pornschlegel der DW. Sie sieht derzeit eine größere Rolle für Polen, welches gerade die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat.
Wie auch immer die neue Bundesregierung aussehen wird, in Brüssel warten bereits große Themen auf sie. Zum einen will die Kommission im Sommer einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen von 2028 bis 2034 vorschlagen. Deutschland ist der größte Bruttozahler der EU und steuert nach Angaben der dpa fast ein Viertel der EU-Mittel bei.
In diesem Bereich erwartet Politikanalystin Sophie Pornschlegel denn auch den größten Konflikt, weil mit dem nächsten Haushalt auch die Schulden zurückgezahlt werden müssen, die in der Corona-Krise gemacht wurden. Dieses Geld könnte dann bei der Sicherheit oder der Wettbewerbsfähigkeit fehlen. Deshalb werde es auch darum gehen, ob Deutschland seine Schuldenbremse reformiere.
Aus Sicht von Volkswirtschaftler Fabian Zuleeg müsse Deutschland erkennen, dass es nun darum gehe, Geld aufzutreiben. Dafür müssten auch solche Tabus wie gemeinsam aufgenommene Schulden überwunden werden. Die Diskussion um solche „Eurobonds“ hatte sich vor kurzem erneut an der Frage entzündet, wie die EU-Staaten ihre Rüstungsausgaben in Zukunft finanzieren sollen. Während Deutschland strikt dagegen ist, sind andere Länder wie Polen oder die Balten dafür. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski hatte auf einer Pressekonferenz in Brüssel Anfang Februar auf Nachfrage der DW gesagt, er wünsche, dass sich die neue deutsche Bundesregierung dieses Thema noch einmal anschaue.
Im Bereich Verteidigung und Sicherheit müsse sehr viel mehr passieren, sagt Zuleeg. Die EU-Kommission hält 500 Milliarden Euro an Investitionen in die Verteidigung in den nächsten zehn Jahren für nötig. Auch bei weiteren Themen, welche insbesondere die deutsche Industrie beträfen, bräuchte es richtungsweisende Ansagen aus Deutschland, betont der Volkswirtschaftler. Beispielsweise bei der Debatte um Europas Wettbewerbsfähigkeit oder der Beziehung zu China.