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Warum es deutsche Fußballtalente so schwer haben | ABC-Z

Wie unterschiedlich die Wege in die Eliteklasse des Profifußballs mitunter sein können, zeigt sich am Beispiel von Nicolas Kühn und Josip Stanišić. In der Saison 2020/21 spielten beide einst für die zweite Mannschaft des FC Bayern, ehe sich ihre Karrieren eine Weile lang in völlig verschiedene Richtungen entwickelten. Während sich Stanišić über eine Leihe nach Leverkusen zu den Profis hocharbeitete, kam Kühn für die erste Mannschaft eigentlich nie infrage.

Das deutsche Talent ging erst nach Aue in die zweite Liga und landete über Rapid Wien schließlich bei Celtic Glasgow. An diesem Mittwoch (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei DAZN) werden sich die Karrierepfade von Kühn und Stanišić dennoch auf der höchsten Ebene des Klubfußballs wieder kreuzen. In der Play-off-Runde der Champions League ist der FC Bayern beim schottischen Meister Celtic Glasgow zu Gast.

Kühns Entwicklung zeigt, dass auch Umwege zum Ziel führen können. Schon im Jugendbereich war er vom FC St. Pauli zu Hannover 96, zu RB Leipzig und später in die zweite Mannschaft von Ajax Amsterdam gewechselt. Danach gehörte er dann wie etwa Kenan Yıldız (Juventus Turin) und Joshua Zirkzee (Manchester United) beim FC Bayern zu den Talenten, die erst ins Ausland wechseln mussten, um erfolgreich zu sein.

In Glasgow hat Kühn in den vergangenen zwölf Monaten einen beachtlichen Entwicklungssprung gemacht. Trotzdem stellt sich die Frage, warum sich ein deutsches Talent, das vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) schon einmal mit der Fritz-Walter-Medaille als bester U-19-Spieler ausgezeichnet wurde, zu diesem Schritt gezwungen sah.

„Viel besser gemanagt als in Deutschland“

Anruf bei Ralf Lanwehr, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesellschafter von International Football Concepts, der im Auftrag von DFL und DFB den deutschen Jugendfußball untersucht hat. Er sagt, dass die Gestaltung des Übergangsbereichs, also zumeist die Altersspanne zwischen 18 und 22 Jahren, überraschend wichtig sei und circa 20 bis 25 Prozent der späteren Leistungsfähigkeit erkläre – unabhängig von Talent, Trainern und Training wohlgemerkt. „Und dieser Bereich wird in anderen Ländern viel besser gemanagt als in Deutschland.“

Früher habe es für den Umgang mit jungen Spielern zwei konkurrierende Hypothesen gegeben, sagt Lanwehr. Und die deutschen Vereine hätten sich mehrheitlich einer angeschlossen, die zwar nicht weniger plausibel war, sich aber mit der Zeit als die falsche herausgestellt habe. „Die Hypothese lautete: Wenn ich einen jungen Spieler habe, werfe ich ihn direkt in die erste Mannschaft, gebe ihm die Chance, sich zu beweisen, und dann wird er sich schon entwickeln“, sagt Lanwehr. Nur klappt das eben nicht immer, weil der Sprung aus der Jugend sehr groß – und manchmal auch zu groß – ist.

Deutsche Vereine wie der FC Bayern oder Borussia Dortmund, erklärt Lanwehr, beherrschten es gut, Talente einzukaufen, die schon komplett ausgebildet seien, und diese zu Topprofis zu veredeln. „Das hat aber nichts mit Jugendarbeit im engeren Sinne zu tun.“

Denn der Nachteil ist, dass für im Verein ausgebildete Spieler dadurch oft die Kaderplätze blockiert sind. In Ländern wie Portugal oder Spanien werde im Nachwuchsbereich dagegen ein ganzheitliches Konzept verfolgt, sagt er: „Das muss aber auch in den Klubs verankert sein, und das ist in Deutschland kulturell bedingt seltener der Fall.“

Mangelndes Vertrauen

Ein zentrales Problem sieht Lanwehr in dem frühen Erfolgsdruck für die jungen Spieler – und dem mangelnden Vertrauen, wenn sie einmal keine Leistung bringen. „Die Trainer werden häufig nicht danach bewertet, wie sie Talente entwickeln, sondern danach, ob ihre Mannschaft gewinnt oder verliert“, sagt er und nennt als Gegenentwurf den spanischen Verein Real Sociedad, der im Nachwuchsbereich die Regel verfolge, dass circa 80 Prozent der Spieler aus der Provinz Gipuzkoa stammen müssen.

„Die haben jedes Jahr etwa 3000 Kinder, die für die Nachwuchsakademie infrage kommen.“ Leistungsdruck gebe es zwar auch, „aber die Spieler werden nicht so schnell aus dem System geworfen, weil man weiß, dass sie eines Tages die Mehrheit der Profi-Mannschaft ausmachen werden“.

Joshua Zirkzee, einst beim FC Bayern ausgebildet, spielt heute für Manchester United.
Joshua Zirkzee, einst beim FC Bayern ausgebildet, spielt heute für Manchester United.Reuters

Was also rät der Experte, um die Chancen, dass es nationale Talente in den Profibereich schaffen, zu erhöhen? „Junge Spieler brauchen relevante Einsatzzeit“, sagt Lanwehr: „Und in Deutschland bekommen sie davon erheblich weniger als in anderen Ländern.“

Hinzu komme, dass sie auch verschiedene Möglichkeiten bräuchten, um Einsatzzeit zu bekommen. „Vor allem die großen Vereine haben meist mehrere Mannschaften, und zwischen denen muss es eine bessere Durchlässigkeit geben“, sagt Lanwehr: „Es muss auch nicht immer nur nach oben, sondern kann auch hoch und runter gehen.“

„Die schleusen Massen an Spielern durch“

Wie ein solches Konzept in der Praxis aussehen kann, zeigt das Beispiel des portugiesischen Klubs Benfica Lissabon, der – neben all seinen Erfolgen – vor allem für die Entwicklung späterer Spitzenspieler bekannt ist. „Die schleusen Massen an Spielern durch, stellen ihnen im Übergangsbereich aber unterschiedliche Plattformen zur Verfügung“, erklärt Lanwehr.

„Dort spielen die U-23-Talente in der zweiten Mannschaft (in Portugal gibt es eine zusätzliche U-23-Spielklasse, Anm. d. Red.), die U-19-Talente in der U 23, und die U-17-Talente in der U 19. Die Spieler werden systematisch höher gezogen und wenn einer nicht performt, kann er jederzeit zwischen den Mannschaften wechseln.“

In Regensburg geboren, beim FC Bayern geformt: Kenan Yıldız steht bei Juventus Turin unter Vertrag.
In Regensburg geboren, beim FC Bayern geformt: Kenan Yıldız steht bei Juventus Turin unter Vertrag.AP

Auch die Idee, eine Sonderregelung einzuführen, dass die Vereine nur noch eine bestimmte Anzahl an Spielern aus dem Ausland verpflichten dürfen, findet Lanwehr gut. Er würde aber nicht die Transfers von Toptalenten beschneiden, die deutlich besser sind als die Spieler aus dem eigenen Nachwuchs: „Ich würde eher die Kultur dahinter so strukturieren, dass es auch attraktiv ist, in den eigenen Nachwuchs zu investieren.“

Die Kapitalrendite von Nachwuchsleistungszentren sei aktuell schlecht. Vereine müssten erst signifikant in die eigene Jugend investieren, und dann dauere es nochmals drei bis fünf Jahre, bis sich erste Ergebnisse ableiten ließen, sagt der Experte. An dieser Stelle klafften die Interessen von Vereinen und denjenigen, die die Interessen der Vereine vertreten sollen, erheblich auseinander.

In der Bundesliga blieben Sportvorstände durchschnittlich nur dreieinhalb Jahre im Amt, so Lanwehr: „Wenn sie langfristig in die Jugend und dafür weniger in den kurzfristigen Erfolg des Profikaders investieren, würden sie also gegen ihre eigenen Interessen agieren, weil sie die Früchte ihrer Arbeit nicht mehr selbst ernten können.“

Beim FC Bayern freut man sich trotz aller Konkurrenz in den Play-offs, dass Kühn in Glasgow endlich sein ganzes Potential abrufen kann. „Ich habe seine Entwicklung verfolgt, auch seine Wechsel“, sagt etwa Sportvorstand Max Eberl über den ehemaligen Bayern-Spieler: „Man kann nur sagen, dass er bei Celtic heimisch geworden ist.“ Und trotzdem hat es eine gewisse Ironie, dass sich Kühn ausgerechnet dort, wo seine Karriere einst ins Stocken geraten war, jetzt für Bundestrainer Julian Nagelsmann und die Nationalmannschaft empfehlen kann.

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