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Die TV-Debatte im Schnellcheck – Medien | ABC-Z

Einen kürzeren Bundestagswahlkampf als den zur vorgezogenen Neuwahl 2025 hat es selten gegeben – aber auch keinen, der von so vielen Medien- und TV-Events durchzogen ist. Bis zur Abstimmung am 23. Februar treffen die Topvertreter der Parteien, die Spitzen- und Kanzlerkandidaten bei neun Fernsehdebatten aufeinander. Also besser keine Zeit verlieren: der Schnellcheck.

Die Ausgangslage: In der Bundesliga ist wieder alles in alter Ordnung, die Bayern liegen acht Punkte vor dem letztjährigen Meister Bayer Leverkusen, was man als Anomalie bezeichnen kann. Spannend ist immerhin die zweite Liga, wo die Aufstiegsplätze härtestens umkämpft sind. Und damit zum Bundestagswahlkampf 2025, wo sie Union praktisch uneinholbar weit vorn liegt, abgeschlagen dahinter die AfD, und ob nun SPD oder Grüne Platz drei belegen, das dürfte eher ein Spiel für Taktikliebhaber sein. Weiter unten aber, an der Kante zwischen Liga eins (Bundestag) und Liga zwei (außerparlamentarische Opposition aka Bedeutungslosigkeit), da ist es spannend wie selten.

Nach dem vermeintlichen Spitzenduell Friedrich Merz vs. Olaf Scholz am Vorabend dürfen am Montagabend bei „Hart aber fair“ nun auch die sogenannten Kleinen ran: FDP, Linke und BSW (und, weil trotz der Spielvereinigung mit der CDU offiziell ja eigenständige Partei, die CSU). Die drei erstgenannten, vertreten von ihren Spitzenkandidaten Christian Lindner, Jan van Aken und Sahra Wagenknecht, müssen ausweislich der Umfragen darum kämpfen, überhaupt die Fünfprozenthürde zu knacken. Die FDP taumelt aus einer Bundesregierung dem Untergang entgegen. Die Linke war nach der endgültigen Verselbstständigung der Sahra W. fast schon totgesagt, hebt aber gerade zum Sensationscomeback an. Und das BSW, mit großer Hoffnung und drei Sensationslandtagswahlergebnissen im Herbst in diesen Wahlkampf gestartet, erlebt jetzt den reality check.

Überlebenskampf also bei Louis Klamroth im Studio von „Hart aber fair“. Dorothee Bär könnte sich die Sache eigentlich gemütlich von der Seitenlinie aus anschauen, ihre CSU wird es ja so oder so in den Bundestag schaffen. Bär aber will natürlich mitreden, sie sitzt neben Lindner auf der einen Seite, Wagenknecht und van Aken auf der anderen, dazwischen der Moderator und im Studio ein Publikum, das diesmal einigermaßen gleich verteilt klatscht (anders als dieser Tage im ZDF), und aus dem zwei Zuschauerinnen ihre Geschichten noch vortragen werden.

Der stärkste Angriff: Wo Sahra Wagenknecht auftaucht, da wird es früher oder später um die ganz großen Fragen gehen, um Krieg und Frieden. Meist spricht sie das Thema von allein an, bei ihren Marktplatzreden kommt es ja auch gut an. Diesmal aber wird sie danach gefragt, in der obligatorischen Schnellfragerunde. Klamroth stellt also die Frage, ob Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher sei. Wagenknecht: „Wer einen Krieg beginnt, der ist ein Kriegsverbrecher.“ Sie sei aber erstaunt, dass das nur bei Putin zum Thema gemacht werde und nicht bei diversen US-Präsidenten, die ja auch Kriege begonnen hätten. Daraufhin Klamroth: „Ich bin erstaunt, dass Sie mir nicht einfach die Frage mit Ja oder Nein beantworten.“

Quadrell der vier Kleinen (Video: ZDF)

Nachdem anschließend eine ukrainischstämmige Zuschauerin berichtet hat, wie sehr sie und ihr Land unter Putins Angriff leiden, versucht es Wagenknecht mit einer weiteren Rechtfertigung – nur Verhandlungen könnten diesen Krieg beenden, sagt sie, nicht Waffen. Da schalten die anderen endgültig auf Angriff, Dorothee Bär wirft ihr entgegen, warum sie dann nicht „Ihrem Freund“ sage, dass er aufhören soll? Als Wagenknecht dann auch noch Jan van Akens Ausführung unterbricht, es dürfe keinen Diktatfrieden geben, ahnt man, warum die Linke und Wagenknecht keine gemeinsame Zukunft mehr hatten: „Jetzt halt doch mal den Mund“, blafft van Aken. „Wieso wirst du so nervös, wenn ich sage, wir müssen das Völkerrecht achten?“ Da wirkt selbst Wagenknecht kurz sprachlos.

Quadrell der vier Kleinen (Video: ZDF)

Der beste Konter: So eine Wahlarena macht natürlich direkt mehr Freude, wenn man die Kontrahenten gleich zu Beginn noch mal so richtig gegeneinander aufhetzt. Eine Szene aus dem November, in der Jan van Aken davon spricht, wie gern er mit der Linken bei der Wahl „vor dieser asozialen FDP“ landen würde, deren Gesichter er nicht mehr sehen und deren „asozialen Kram“ er nicht mehr hören könne. Eher verhaltenes Klatschen im Studiopublikum danach und noch mal, als van Aken sagt, das sei im Ton vielleicht ein bisschen scharf gewesen, aber in der Sache richtig.

Quadrell der vier Kleinen (Video: ZDF)

Lindner zieht nur die Augenbraue hoch und schlägt zurück: „Da haben weniger als fünf Prozent im Publikum applaudiert!“ Das letzte Wort hat, in den ebenfalls nicht ganz tobenden Applaus hinein, Moderator Klamroth: Das seien für Lindner jetzt aber auch eher so vier Prozent gewesen.

Verlierer des Abends: Das deutsche Bäckerhandwerk. Denn man muss angesichts der Schilderungen aus der Runde fürchten, die Bäckerinnen und Bäcker kommen überhaupt nicht mehr zum Arbeiten vor lauter Politikerbesuch. Erst berichtet nämlich Dorothee Bär auf die Frage, was ihre CSU denn meine mit der Forderung, die deutsche Wirtschaft brauche eine „geistig-moralische Wende“: Sie sei ja – übrigens in mittelbarer Nachfolge ihres Sitznachbarn Lindner – deutsche Brotbotschafterin („eins der schönsten Ehrenämter der Welt“), und in dem Amt sei sie „bundesweit in sehr, sehr vielen Bäckereien“. Dort hätten die Bäcker ja die Hände gar nicht mehr im Mehl, sondern nur noch im bürokratischen Papierkram, was sich ändern müsse. Den Fleiß der Bäcker dürfe man nicht bremsen. Das lässt Sahra Wagenknecht so nicht stehen, weil: Auch sie spreche sehr viel mit Bäckern! Aber deren Problem sei viel mehr, dass Energie so teuer ist.

Quadrell der vier Kleinen (Video: ZDF)

Zu einer Einigung, welches Bäckersproblem denn nun größer ist, finden Bär und Wagenknecht nicht, der Zeitplan ist eng an diesem Abend und Lindner und van Aken streiten sich längst schon über den nächsten Punkt: Was ist das größte Problem für Pflegekräfte?

Überraschungsmoment: Das Duell der Giganten oder derjenigen, die sich dafür halten, kreiste gefühlt drei Viertel der Zeit um das aktuelle Superaufregerthema Migration. Interessiert die Leute ja auch, zumal nach den Bluttaten von Magdeburg und Aschaffenburg. Doch bei allen real existierenden Problemen im Themenzusammenhang Migration: Zuletzt ist alles andere doch arg dahinter zusammengeschrumpft.

Umso verwunderter guckt man in Louis Klamroths Gesicht, als der die Sendung nicht etwa mit Abschiebe- oder Zurückweisungsfragen eröffnet – sondern tatsächlich mit Arbeit, Sozialem und Wirtschaft. Der traut sich was. Aber ja, denkt man sich beim Zuhören, ist doch auch mal ein interessantes Thema, und es stellt sich raus: eines, über das man sehr gut und leidenschaftlich diskutieren kann. War ja auch bis vor Kurzem noch das eigentliche Nummer-eins-Thema dieses Wahlkampfs.

Was bleibt: Die Anspannung in einer Lage, in der es um alles geht, ist allen anzumerken, außer Dorothee Bär, die ja, wie gesagt, mit ausreichend Stimmen für ihre CSU rechnen kann. Aber dass einer oder eine hier entscheidende Fehler macht, lässt sich nicht sagen. Lindner macht seine Punkte für Unternehmer und Mittelstand, Bär auch ein bisschen, van Aken für die eher Unterprivilegierten und Wagenknecht für im Grunde eine ähnliche Zielgruppe plus alle kompromisslos Friedensbewegten. Koalitionen werden hier wohl höchstens auf der von der Kamera aus linken Seite eingegangen, zwischen Lindner und Bär. Wenn ersterer es denn in den Bundestag schaffen sollte. Sicher über die Fünfprozenthürde hat sich an diesem Abend niemand argumentiert.

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