99-jähriger Holocaust-Überlebender Albrecht Weinberg demonstriert gegen Rechtsextremismus | ABC-Z

Er hat Auschwitz, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen sowie mehrere Todesmärsche überlebt, nach der Nazi-Diktatur jahrzehntelang nicht in Deutschland gelebt. In Ostfriesland demonstriert Alfred Weinberg nun gegen Rechtsextremismus. Und ist sich unsicher, ob er sein Bundesverdienstkreuz behalten will.
Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg (99) hat zusammen mit dem Mannheimer Fotografen Luigi Toscano (52) und hunderten Menschen in Leer in Ostfriesland gegen Rechtsextremismus und für Demokratie demonstriert. Weinberg und Toscano hatten zuletzt angekündigt, ihr Bundesverdienstkreuz und ihre Verdienstmedaille an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zurückgeben zu wollen, nachdem die Union mit Stimmen der AfD einen Bundestagsantrag zur Migrationspolitik durchgebracht hatte.
Weinberg und Toscano, der als Fotograf mit dem Erinnerungsprojekt „Gegen das Vergessen“ die Schicksale von Holocaust-Überlebenden dokumentiert, verfolgten die Kundgebung direkt vor der Bühne vor dem Leeraner Zollhaus.
„Dass mir das noch passieren kann mit fast 100 Jahren“, sagte Weinberg der Deutschen Presse-Agentur. „Unglaublich.“ Ihm sei es wichtig gewesen, zusammen mit seinem Freund Toscano zu kommen und ein Zeichen zu setzen. Er sei froh, dass sich so viele Menschen versammelt hätten. Anschließend nahm er im Rollstuhl sitzend an dem Demonstrationszug durch die Innenstadt teil.
„Die Botschaft ist ganz klar für uns: Wir stellen uns gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit“, sagte Toscano. Mit dieser Haltung gingen viele Menschen auf die Straße.
Aufgerufen zu der Demonstration hatte das Leeraner Bündnis für Demokratie und Vielfalt. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt versammelten sich nach Angaben der Veranstalter bis zu 1.800 Menschen. Sie trugen Regenbogen-Flaggen und Protestschilder. Darauf stand etwa: „Demokratie ohne Haken“ oder auf Plattdeutsch „Kien Tee för de AfD“ („Kein Tee für die AfD“). Die Polizei ging von rund 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus.
Auch in zahlreichen weiteren deutschen Städten demonstrierten am Samstag Menschen. In München nahmen laut Polizei mehr als 200.000 Menschen am Nachmittag an einer Großveranstaltung auf der Theresienwiese unter dem Motto „Demokratie braucht Dich!“ teil. Die Veranstalter sprachen ihrerseits von mehr als 320.000 Menschen.
Bundesweit hatte auch die Initiative „Omas gegen Rechts“ zu Protesten aufgerufen, darunter in Hannover. Dort gingen laut einem Polizei-Sprecher in der Innenstadt 24.000 Menschen auf die Straße.
Weinberg und Toscano derweil hatten sich beide erschüttert und empört gezeigt, nachdem die Union vergangene Woche mit Stimmen der AfD einen Antrag für Zurückweisungen an deutschen Grenzen im Bundestag durchgebracht hatte. Weinberg und Toscano beschlossen daraufhin, ihre Ehrungen zurückzugeben.
Gespräche mit Steinmeier geplant
Toscano sagte, in wenigen Tagen werde er ein vertrauliches Gespräch beim Bundespräsidenten in Schloss Bellevue haben. Er sei weiterhin fest entschlossen, seine Verdienstmedaille zurückzugeben. Auch mit Weinberg wolle Steinmeier sprechen, allerdings telefonisch. Ob und wie es zu einer Rückgabe seines Bundesverdienstkreuzes komme, sei noch offen.
Weinberg überlebte die drei Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora im Harz, Bergen-Belsen bei Celle und mehrere Todesmärsche. Seine jüdische Familie wurde von den Nazis fast vollständig ermordet. 2012 kehrte er zusammen mit seiner Schwester aus den USA zurück in seine ostfriesische Heimat. Seitdem geht er in Schulen und berichtet Schülerinnen und Schülern von seinen Erinnerungen. Er wird in wenigen Wochen 100 Jahre alt.
dpa/säd