Kultur

Souveränes und seelenruhiges Bühnendebüt | Abendzeitung München | ABC-Z

Der Abend beginnt mit einem Zaubertrick. Das Licht im Prinzregententheater geht aus, nach einem Augenblick wieder an und plötzlich steht er da mitten auf der Bühne: Ferdinand von Schirach, einst Strafverteidiger, heute Bestseller-Autor und jetzt auch noch Solist auf Theatertour.

Edel ist er im schwarzen Anzug gekleidet, mit Fliege und Kummerbund, die Lackschuhe glänzend – ein Gentleman, ins Dasein, ja, Bühnendasein hineingeworfen. Von Schirach trägt einen Text vor, den er selbst geschrieben hat: „Regen“ erschien im August 2023 und war, natürlich, erfolgreich. Die Erzählung ist kurz, ein Monolog für gut eineinhalb Stunden, philosophisch, heiter und gleichzeitig etwas schwermütig. Der Regen, vor dem ein Mann in eine Bar hinein flieht, setzt eine melancholische Grundstimmung, der man sich auch als Zuhörender nicht ganz entziehen kann.

von Schirach redet sich in Rage 

„Mögen Sie Regen?“, fragt von Schirach am Anfang das Publikum. Sein Solo ist im Grunde eine auswendig vorgetragene Lesung, ein entspannter Vortrag mit kabarettistischem Einschlag. Viel Inszenierung gibt es hier nicht: Von Schirach spricht meist frontal ins Publikum, wenn er nicht gerade von einer Seite auf die andere schlendert oder sich an ein Tischchen setzt, um an einem Glas Eiswasser zu nippen oder sich eine Zigarette anzuzünden, an der er aber nur kurz zieht.

Ganz aus seiner Komfortzone bewegt sich von Schirach in seinem Theaterdebüt nicht. Stattdessen vermählt er erneut das Literarische mit dem Juristischen – zwei Felder, in denen er sich bestens auskennt. Sein Ich-Erzähler ist ein Autor, der, im Gegensatz zum realen Autor, erfolglos ist, vor 17 Jahren hat er sein einziges Werk vollbracht: ein 23-seitiges Bändchen mit 14 „gedichtähnlichen“ Gedichten. Mit „Statt Gedichte“ wollte er seinen Erstling betiteln. Sein Drucker korrigierte jedoch den vermeintlichen Fehler und machte „Stadtgedichte“ daraus.

Die Korrektur dessen, was nicht korrigiert werden sollte, bringt den Schriftsteller auf der Bühne in Rage – da wird von Schirachs Stimme für einen Moment theatralisch laut. Ansonsten hat er einen angenehmen, klaren Sprachduktus. Insgesamt beeindruckt er mit einer Präsenz und Seelenruhe, die man einem sechzigjährigen Schauspieldebütanten nicht zugetraut hätte. „Wissen sie, ob man hier rauchen darf?“ ist eine weitere Frage, die von Schirach gleich zu Beginn stellt. Und schon bricht er aus seinem Monolog aus, erzählt, wie ihn eine Frau bei einer anderen Aufführung aus dem Publikum anschrie, als er sich eine Zigarette anzünden wollte: „Lassen Sie das!“.

Die Stimme habe ihn an Alice Weidel erinnert, wobei: „Hätte auch die Stimme von Olaf Scholz sein können – aber die kennt ja niemand.“ Einige weitere kabarettistische Schnörkel gönnt sich von Schirach am Anfang und hat auch kein Problem, sich soufflieren zu lassen, wenn er zu weit von seinem Text abdriftet. Als während des Abends ein Mann im Zuschauerraum kollabiert und hinausgebracht werden muss, verlässt von Schirach kurz die Bühne, kommt zurück und informiert das Publikum, dass der Kreislaufkollaps nicht schwerwiegend gewesen sei. Bei Kafkas erster Lesung, fügt Schirach hinzu, starben zwei Menschen. „Wir sind also noch ganz gut dabei.“

Ein misanthropisches Alter Ego 

Ein ebenfalls schwarzhumoriges, ziemlich misanthropisches Schriftsteller Alter Ego hat er sich für die Bühne ersonnen. Der Tod als unentrinnbares Schicksal des Menschen hängt über dem ganzen Monolog. Dass alle eines Tages sterben werden, darauf macht von Schirach sein Publikum gnadenlos aufmerksam. Wer den Tod kennenlernt, weiß, was „für immer“ eigentlich bedeutet. Aber hat das auch der Mann begriffen, der seine Frau aus Eifersucht mit dem Messer umbrachte? Der erfolglose, vor dem Regen flüchtende Autor wurde als Schöffe berufen und soll nun über diesen Mann richten. Wobei er den Bogen zu seinem Metier spannt: Trifft er als Schriftsteller nicht auch ständig Entscheidungen? Nur urteilt er eben über Worte, nicht über Menschen…

Seine eigene Berufung beschäftigt ihn (und von Schirach), aber er spannt den Bogen noch viel weiter, philosophiert über den Tod und die Unwägbarkeiten des heutigen Lebens. Alles ist heute ambivalent, was anstrengend, aber gut sei: „Ambivalenz ist der Schlüssel“, meint er und klagt diejenigen an, die brachial Klarheit schaffen wollen. Gegenüber dem neuen, beziehungsweise, alten Antisemitismus kann es wiederum nur eine klare Haltung geben: „Es gibt Dinge, bei denen es keine Ambivalenz mehr gibt. Nämlich immer dann, wenn das Menschsein selbst infrage gestellt wird. Dann müssen Sie aufstehen und ihre Stimme dagegen erheben.“ Szenenapplaus.

Das Geschlechterverhalten der Bergwühlmaus

Privat hängt der Autor einer alten Liebe nach – ihren Anfang nahm sie eines Nachts auf dem Balkon des Luxushotels Grande Bretagne in Athen. Große Gefühle kennt er also durchaus, blickt aber bevorzugt auf die kleinen Dinge, um das Große wiederum begreifen zu können. Die biologische Forschung macht es ja ähnlich: Um den Trieb des Menschen zu verstehen, untersucht sie das Geschlechtsverhalten der Präriewühlmaus, die im Gegensatz zur Bergwühlmaus monogam ist.

Per Oxytocin-Hemmer lässt sich das leicht ändern – fasziniert schaut der Schriftsteller auf solche Details und verändert genüsslich die Perspektive auf vermeintlich schöne Dinge. Wie er dem Publikum Strandurlaube madig macht, ist schon eine ziemlich fiese Nummer. Der Misanthrop ist eben auch ein Bildungsbürger und nutzt sein Wissen, um seine Ansichten überzeugend zu vermitteln. So erklärt er all jenen, die es nicht kennen, das Pareto-Prinzip: Zwanzig Prozent des Aufwands reichen aus, um 80 Prozent der Ergebnisse zu erreichen. Auf andere Bereiche des Lebens angewandt heißt das, jedenfalls für ihn: 20 Prozent ist gut, die restlichen 80 Prozent sind Mist. Diese Quote lässt sich wohl auch auf sämtliche Theaterabende anwenden. Wobei von Schirachs umjubelter Soloauftritt wohl eher zu den formidablen 20 Prozent gehört.

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