Wirtschaft

Reform der Pflegeversicherung: Wie das Finanzproblem in der Pflegeversicherung gelöst werden kann | ABC-Z

Gute Pflege ist unbezahlbar, im doppelten Sinne: Gute Pflegekräfte und günstige Pflegeheime sind rar – und die Pflegekosten steigen immer weiter. Schon heute ist ein Drittel der Pflegebedürftigen auf Sozialhilfe angewiesen, Tendenz steigend. Im Bundesdurchschnitt zahlten Pflegebedürftige im vergangenen Jahr 2.890 Euro pro Monat an Eigenanteil für einen Heimplatz. Davon entfallen auf die pflegerische Versorgung 1.490 Euro, der Rest wird für Unterkunft und Verpflegung fällig, außerdem müssen hohe Investitionskosten bezahlt werden. Steigende Löhne, die Inflation und Energiekrise haben Pflegeheime noch teurer gemacht. Zwar übernimmt die Pflegeversicherung mittlerweile einen höheren Anteil, wenn man sehr lange in einem Pflegeheim sein muss. Das bringt aber ein weiteres Problem mit sich: Wegen der demografischen Alterung kann das auf Dauer nicht gut gehen; die Pflegekassen sind heute schon pleite, obwohl die Sozialbeiträge steigen. Die nächste Bundesregierung muss das Finanzproblem der sozialen Pflegeversicherung lösen. Aber wie?  

Ein radikaler Vorschlag kommt vom Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang, der mit seinem Kollegen Dominik Domhoff im Auftrag des Bündnisses für eine solidarische Pflegevollversicherung und des Paritätischen Gesamtverband ein Gutachten erstellt hat, das ZEIT ONLINE vorliegt. Rothgang, der seit vielen Jahren über Langzeitpflege forscht und die Politik als Pflegeexperte berät, geht in dem Gutachten der Frage nach, ob man eine Pflegeversicherung schaffen könnte, die nicht nur alle Kosten der Pflege übernimmt, sondern auch für alle Bürgerinnen und Bürger da ist. Wie müsste eine solche solidarische Versicherung aussehen und wie teuer wäre es, wenn man das 1994 geschaffene Pflegeversicherungssystem mit gesetzlichen und auch privaten Pflegekassen, in die etwa Selbstständige und Beamte einzahlen, noch einmal ganz neu aufsetzen würde?

Die Pflegeversicherung noch einmal neu bauen

Rothgang und Domhoff skizzieren eine sogenannte Pflegebürgervollversicherung. Das Wortungetüm ist eine Zusammensetzung zweier Konzepte für eine Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung: die Bürgerversicherung, die etwa die Grünen wollen, und die Pflegeversicherung, die nicht nur ein Teilleistungssystem ist, sondern wie die Krankenversicherung alle erforderlichen Leistungen übernimmt, wie es etwa die Linke fordert. Zusätzlich berechnen die beiden Ökonomen, wie es sich auswirken würde, wenn für die Pflegebürgervollversicherung nicht nur Einkommen aus Erwerbsarbeit, sondern auch alle anderen Einkommensarten, also auch Kapitaleinkünfte, herangezogen würden. Einen
entsprechenden Vorschlag hatte kürzlich Bundeswirtschaftsminister Robert
Habeck für die Krankenversicherung gemacht und war dafür sehr kritisiert worden.

Heute verzeichnet die gesetzliche Pflegeversicherung Ausgaben in Höhe von 58,7 Milliarden Euro pro Jahr. (Das ist der Wert aus dem Jahr 2023, mit dem die Bremer Wissenschaftler gerechnet haben; neue Zahlen liegen noch nicht vor.) Der Beitragssatz lag 2023 bei 3,45 Prozent, 2025 ist er auf 3,6 Prozent für Menschen mit Kindern und 4,2 Prozent für Kinderlose angestiegen. 

Die Bremer Gesundheitsökonomen haben mit mehreren Szenarien gerechnet,
etwa wie umfassend die Leistungen sind und wie viele Personen
einzahlen. Im Ergebnis wären die Ausgaben gar nicht so groß, wenn man
die privaten Pflegeversicherungen abschaffen und durch eine
Bürgerversicherung nach Idee der Grünen ablösen, in die alle bis zur
Beitragsbemessungsgrenze einzahlen: Die Ausgaben würden in diesem Szenario um 2,4 Milliarden Euro steigen, der Beitragssatz aber um 0,7 Prozent sinken. Der Grund für den geringen Anstieg: Die privaten Versicherten haben
seltener als gesetzlich Versicherte gesundheitlich beeinträchtigende
Jobs und Lebensumstände – und daher eine höhere Lebenserwartung mit mehr gesünderen Jahren ohne Pflegebedürftigkeit. Das hat
zur Folge, dass das Pflegerisiko der privaten Versicherten geringer ist.  

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