Handball-WM: Die mächtige Doppel-Wand im deutschen Tor | ABC-Z

Andreas Wolff und David Späth setzen eine Tradition fort: Im Handball hat Deutschland immer außergewöhnliche Torhüter. Auf die Leistung der beiden Keeper wird es im Viertelfinale gegen Portugal entscheidend ankommen.
Mit einem riesigen Pappschild werden hinterher die Besten der Besten geehrt. Nach jedem Spiel bei der Handball-Weltmeisterschaft erhält ein Profi die Auszeichnung zum „Player of the Match“. Kurzes gemeinsames Foto mit einem Politiker, Funktionär oder Ex-Spieler, das war es dann aber auch schon meist. Die deutschen Torhüter haben während der Vor- und Hauptrunde eine gewisse Routine darin entwickelt, den Preis entgegenzunehmen. In vier von sechs Spielen wurden je zweimal Andreas Wolff und David Späth nach dem Schlusspfiff ausgezeichnet.
Die persönlichen Insignien geben ganz gut den bisherigen Leistungstand bei den globalen Titelkämpfen wieder. Während die Nationalmannschaft in einigen Spielen noch nicht so richtig in ihren erhofften Flow kam, ist auf eines mehr als Verlass: die Doppel-Wand im deutschen Tor. „Es ist schon verrückt, was die beiden immer wieder leisten“, sagt der Halblinke und Abwehrspezialist Julian Köster. „Es ist ein super Duo, das wir da zusammen haben – toll zu sehen, wie sie sich gegenseitig unterstützen.“
Bald in einer Reihe mit Hofmann und Schmidt?
Wolff, der nach den Spielen gegen die Schweiz und Italien ausgezeichnet wurde, und Späth, der den Preis für seine Performance in den Partien gegen Tschechien und Tunesien erhielt, führen damit einen wegweisenden Prozess fort. Denn auch wenn die Erfolge bisweilen ausblieben, eines hatte Deutschland immer: außergewöhnliche Torhüter.
Beim sensationellen Triumph über die damals als unbezwingbar eingestufte Auswahl der UdSSR war es 1978 Manfred Hofmann, der den Gegner zur Verzweiflung trieb und die Grundlage für das 20:19 im WM-Finale lieferte. Zwei Jahre später beim Olympia-Sieg der DDR ragte Keeper Wieland Schmidt mit Weltklasseparaden heraus. Danach waren es solche Heroen ihrer Sportart wie Andreas Thiel oder Stefan Hecker, später dann Jan Holpert und Henning Fritz.
Für Fritz, Europameister von 2004 und Weltmeister von 2007, sind die aktuellen Leistungen seiner Nachfolger außergewöhnlich. „Allein die Tatsache, dass einer von ihnen nach den ersten sechs Spielen viermal zum ‚Player of the Match‘ gekürt wurde, spricht für sich“, sagt er im WELT-Gespräch. „Andi Wolff war in den letzten Jahren schon immer auf einem hohen Niveau, aber er hat sich jetzt auf diesem Level noch mal absolut stabilisiert. Was mir vor allem bei ihm gefällt, ist diese Präsenz bei freien Würfen – gerade von Außen: Diese Ruhe und die Fokussierung, auf den Wurfarm zu gehen und dem Schützen wenig Chancen zu geben, ein Tor zu machen, ist beeindruckend. Es gibt wenig Punkte bei ihm, von denen man sagen könnte, da gibt es noch Optimierungsbedarf.“
„Absolute Weltklasse“
Das war allerdings nicht immer so, wie auch Fritz weiß. „Als Andi jünger war, war er noch deutlich impulsiver und hat sich damit manchmal von seiner Linie abbringen lassen.“ Aber inzwischen sei er ruhiger und konzentriere sich auf die wesentlichen Sachen. „Er ist absolute Weltklasse. Und das in Kombination mit David Späth, der schon in sehr jungen Jahren unglaublich stabile Leistungen bringt. Er ist bei Würfen aus dem Rückraum als auch bei freien Würfen sehr stark und bringt eine gewisse Konstanz mit, was letzten Endes eine Grundlage für Erfolg ist. Was die Torwart-Position angeht und unseren Anspruch, Halbfinals zu erreichen und Titel zu gewinnen, haben wir hier die besten Voraussetzungen“, erklärt Fritz.
„Beide ergänzen sich perfekt, das ist eine große Kunst und Herausforderung. Die Qualität, die sie zeigen, sowohl bei der Anzahl ihrer Paraden als auch bei den Quoten, ist das Gespann aus Andi und David bei der WM auf einem überragenden Niveau unterwegs.“
Die bisherigen Werte stützen Fritz‘ Einschätzung: Späth kommt auf eine Quote abgewehrter Würfe auf sein Tor von 38,6 Prozent, Wolff erreicht 36,4 Prozent. Damit liegen beide in den Top Ten der besten WM-Torhüter: Späth als Sechster, Wolff als Achter. Angeführt wird das Ranking von Dänemarks Weltklasse-Torwart Emil Nielsen, der unfassbare 43,8% erreicht.
Eine außergewöhnliche Torhüter-Leistung wird das Ensemble von Bundestrainer Alfred Gislason benötigen, um im Viertelfinale am Mittwoch (20.30 Uhr, ARD und im WELT-Liveticker) gegen die Überraschungsmannschaft dieser Weltmeisterschaft, Portugal, bestehen zu können. Was den Deutschen im Ringen um die erste Halbfinalteilnahme seit 2019 hilft, ist die eindeutige Rollenverteilung im Kasten. Wolff (33) ist die klare Nummer eins, Späth (22) der hochbegabte Kronprinz.
In den Augen von Fritz ist dies ein erheblicher Vorteil, denn niemand von den beiden müsse aktuell um seinen Status kämpfen, meint der 235-malige Nationalspieler. „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es gut ist, ein funktionierendes Team zu haben. Aber trotzdem hilft es, wenn die Rollen klar verteilt sind. In den Jahren, in denen wir Torhüter in einem ähnlichen Alter und mit ähnlich hohen Ambitionen hatten, hat die Leistung im Wettkampfmodus manchmal bei dem einen oder anderen unter der Rivalität gelitten“, meint Fritz. „Bei Andi und David ist es völlig klar, dass die Zukunft David gehört. Er ist gerade glücklich und dankbar, dass er bei der Nationalmannschaft dabei sein kann. Er akzeptiert die Rolle von Andi als klare Nummer eins und weiß, dass die Zukunft ihm gehören wird. Deswegen ist das aus meiner Sicht eine perfekte Konstellation.“
Das sehen auch die beiden Protagonisten so. „Egal, ob Andi auf der Platte ist oder ich, wir unterstützen uns gegenseitig“, meint Späth. Und Wolff erklärt: „David ist ein toller Typ. Mit ihm ein Gespann zu bilden, macht wirklich Spaß.“