Filme über Sekten: Yeah, Gott! | ABC-Z

Es ist nicht einfach, erwachsen zu werden, und wird womöglich immer schwieriger angesichts des Klimawandels und der scheinbaren Unmöglichkeit, sich überhaupt noch eine Zukunft vorstellen zu können. Zwei deutsche Debütfilme erzählen nun von Coming of Age unter schwierigsten Bedingungen: Jupiter von Benjamin Pfohl und Gotteskinder von Frauke Lodders.
Die Protagonistin von Jupiter ist die 14-jährige Lea (Mariella Aumann). Auf einer Schaumparty zu Beginn des Films wirkt sie fast wie ein normaler Teenager – und doch scheint sie immer auf der Hut zu sein: Welche Bemerkungen könnten gegen sie gerichtet sein, welche Andeutungen gegen ihren Glauben verstoßen? Dieser Glaube wirkt zugegeben etwas durchgeknallt: Leas Familie nimmt an, dass die Menschheit vom Jupiter kommt. In einer Schulstunde, in der Evolutionstheorien durchgenommen werden, verteidigt Lea wütend die Jupitertheorie – es sei doch offensichtlich, dass die Erde die Menschen nicht wolle, der Planet sei in 100 Jahren geliefert, genau wegen der Menschheit.
Aktuell wartet die ganze Welt auf das Vorüberziehen eines Kometen. Für den größten Teil der Menschen ein hübsches Himmelsspektakel, für die Sekte eine große Chance. Überstürzt reist die Familie in die Berge, in ein abgelegenes Camp der Jupiter-Anhänger. Was Lea und ihrem Bruder Paul als astronomischer Ausflug verkauft wird, entpuppt sich nach und nach als eine Reise ohne Rückkehr: Die Gemeinde der Jupiter-Gläubigen um ihren Guru (Ulrich Matthes) will zurückkehren in den immateriellen Zustand, mit dem Kometen zurückreisen auf den Heimatplaneten. Was das bedeutet? Kollektiver Suizid.
Jupiter zeigt Leas Familie nicht als Fanatiker, sondern als zutiefst erschöpfte Menschen. Mutter Barbara (Laura Tonke) und Vater Thomas (Andreas Döhler) sind überfordert mit dem jüngeren Sohn Paul (Henry Kofahl), für dessen schwerwiegende kognitive Beeinträchtigungen es keine geeignete Therapie gibt. Damit erklärt der Film auch ihre Anfälligkeit für die Jupiter-Theorie: Eine Sektenangehörige, der sie im Baumarkt begegnen, erklärt, Paul habe sich nie angepasst an das Leben auf Erden, er sei noch nicht vergiftet von dieser Erde. So banal die Szene zunächst wirkt, so glaubwürdig inszeniert Benjamin Pfohl die Wandlung der Familie: Während Barbara sich hineinwirft in den Jupiter-Glauben, bedeutet für Thomas die Mitgliedschaft in der Sekte ein Aufgeben. Sein jahrelanger Aktionismus, sein Kampf, jede Therapieform für den Sohn auszuprobieren, ist einer großen Niedergeschlagenheit gewichen und der Wut auf „die, die uns kaputtmachen“: aus seiner Sicht die Regierenden mit ihren leeren Versprechungen auf ein gutes Leben, die Gesellschaft als Ganzes – letztlich: die Welt.
Der Regisseur und Drehbuchautor Pfohl war mit Jupiter – damals noch im Kurzfilmformat – 2019 auf den Filmfestspielen in Cannes eingeladen, mit seiner Co-Autorin Silvia Wolkan baute er den Stoff dann zum Langfilm aus. Seine Protagonistin Lea steht vor einer viel zu großen Entscheidung für eine 14-Jährige: Sich entweder für ihre Familie und damit für den Tod zu entscheiden, oder auf sich allein gestellt weiterzuleben. Mariella Aumann spielt Lea still pubertierend, mit großer Einsamkeit und dem klaren Wunsch, irgendwo dazuzugehören. Im Laufe der Erzählung stößt zu diesem Gefühl jedoch eine klare, kalte Wut auf ihre Eltern und auf die Gemeinde, die sie auf ihre Art um ihre Zukunft betrügt. Man sieht Lea während des Films fast beim Erwachsenwerden zu, wie sie wächst zwischen zwei im Grunde unmöglichen Aussichten.
Wo Lea bei einer Schaumparty Freiheit zu finden versucht, besucht Hannah (Flora Li Thiemann) aus Gotteskinder die Christen-Partys ihrer evangelikalen Freikirche. Die können sich mit Nebelmaschine, LEDs und Liveband durchaus sehen lassen. Auch die Botschaft ist weniger düster als die der Jupiter-Sekte: Jesus liebt dich! Die 17-jährige Protagonistin wirkt wie das perfekte christliche Role-Model: blond, wohlerzogen, modisch und doch sittsam gekleidet, immer da für ihre Familie, gehorsam den Eltern gegenüber, die ganz in der Kirchengemeinde aufgehen.
Doch hinter dem modernen Auftreten der Freikirche mit Partys, Popsongs und energischen Predigten („YEAH GOTT“), verbirgt sich ein strenges System, das patriarchalen Regeln folgt und den Menschen per se als schuldig ansieht: Hinter jedem Popsong, in jedem Softdrink lauern die Verführungen des modernen Lebens, der Mensch ist per se Sünder. Mark Waschke spielt Hannahs Vater David als Superchristen, der selbst eine wilde Vergangenheit hatte, nun aber ein Superradar in Sachen Sünden hat: Er bestraft seine jüngste Tochter mit einer Ohrfeige, als sie im Kindergarten mit einer Freundin Hochzeit spielt.
Weil gleichgeschlechtliche Liebe in der Gemeinde und der Familie als Sünde gilt, meldet sich Hannahs 16-jähriger Bruder Timo (Serafin Mishiev), der heimlich in seinen Mitschüler verliebt ist, selbst für ein Seelsorgecamp an. Dort sollen Jugendliche dazu gebracht werden, den großen Sünden dieser Welt (Alkohol, Pornos, Masturbation) abzuschwören – und von Homosexualität „geheilt“ werden. Hannah wiederum versucht kleine Grenzübertritte, wenn sie etwa mit Max (Michelangelo Fortuzzi) zum allerersten Mal in ihrem Leben ins Kino geht. Die Lieben von Hannah und auch Timo sind zärtlich erzählt. Aber immer wieder ist da etwas, das sie zurückhält, brutal an vermeintliche Pflichten erinnert.
Gotteskinder wurde im vergangenen Jahr auf dem Max-Ophüls-Festival im Wettbewerb gezeigt und gewann den Preis der Jugendjury. Regisseurin Lodders hat intensiv in freikirchlichen Kontexten recherchiert. Dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – neigen die Evangelikalen in ihrem Film zu einer leicht hölzernen Übergriffigkeit: „Ich würde gerne für dich beten“, sagt etwa Vater David und greift empathisch nach Händen. Aber der Film ist klug genug, auch die positiven Aspekte zu zeigen und vor allem aus Hannahs Perspektive zu erzählen: So rigide und grauenhaft die Prinzipien der Freikirche sind, erfährt die Jugendliche die Unterstützung und Kraft einer Gemeinschaft – und dass es nicht so einfach ist, sich aus diesen Strukturen herauszulösen und damit auf sich allein gestellt zu sein. Selbst dann, als mit ihrem Bruder das denkbar Schrecklichste passiert.
Jupiter wie Gotteskinder zeigen: Der Mensch sucht sich seinen Untergang aus. Die Radikalisierung in beiden Gemeinschaften wird nachvollziehbar – aber auch die Suche nach Glauben, nach Halt. Die Jupiter-Sekte wie die Freikirche bieten spirituelle Erlösung in einer scheinbar dem Untergang geweihten Welt. Die Jugendlichen werden vor die Wahl gestellt, in rigiden Gemeinschaften zu bleiben – oder ausgestoßen zu werden und als einsames Individuum weiterzuleben.
Gotteskinder tappt dabei eher noch in Sektenklischees: Die Gesangskreise und Keuschheitsgelübde von Freikirchen mit ihrem „Jesus ist cool“-Anspruch wirken ein bisschen sehr konstruiert und auch die Figuren hätte man sich vielschichtiger gewünscht.
Jupiter ist stiller, lässt der Außenseiterin Lea mehr Raum, fragt aber auch eindringlich nach den Möglichkeiten einer Zukunft für die nächsten Generationen. Die Wandlung der Hauptfigur ist ergreifend: Das Gefühl, nicht auf diese Erde zu gehören, das sich mit einer Klimaangst mischt, wandelt sich für Lea: Sie muss sich nun damit auseinandersetzen, nicht in ihre Familie, nicht zu dieser Glaubensgemeinschaft zu gehören. Die Szenen, die sie allein zeigen, über die Hügel vor dem Sektencamp blickend, in den irritierend blauen Abendhimmel, illustrieren die große Aufgabe, die dieses Mädchen vor sich hat: sich in einer brutalen Welt selbst zu finden.
„Jupiter“ läuft ab 24. Januar im Kino, „Gotteskinder“ ab 31. Januar.