Fassungslosigkeit dominiert Gedenkfeier für Opfer der Messerattacke in Aschaffenburg – Bayern | ABC-Z

Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden in Momenten wie diesen. Christian Kopp versucht es trotzdem, es ist seine Aufgabe an solchen Tagen. Es gelingt ihm. „Fassungslos“, sagt der bayerische evangelische Landesbischof, das sei seit Mittwoch sein Gefühl. Es sei unvorstellbar, wenn Menschen unschuldig zu Tode kämen und ermordet würden. „Wie kann es sein, dass ein Mensch ein unschuldiges Kind angreift?“, fragt er. „Ich kann es nicht begreifen. Ein Erwachsener gegen ein kleines Kind – das ist so abgründig, dass es tiefer nicht mehr geht.“
Vier Tage sind am Sonntag vergangen seit der Tat, die Aschaffenburg, Bayern, das ganze Land erschüttert hat. Dem Messerangriff im Park Schöntal, kaum zehn Gehminuten von der Stiftsbasilika St. Peter und Alexander entfernt, wo Kopp gerade spricht, bei dem der zweijährige Yannis starb und ein 41-jähriger Mann, ein zweifacher Familienvater.
Tatverdächtig ist ein 28-jähriger Afghane. Er soll eine Gruppe von Kindergartenkindern und ihre Erzieherinnen in dem Park, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) noch am Mittwoch sagte, „unvermittelt und gezielt“ mit einem Küchenmesser angegriffen und auf sie eingestochen haben. Der 41-Jährige hatte sich dabei offenbar schützend vor die Kinder gestellt, womöglich Leben gerettet – und sein eigenes verloren. Ministerpräsident Markus Söder nennt bei der Trauerfeier am Sonntag seinen Namen: Kai-Uwe Danz habe Zivilcourage gezeigt. Er bekommt posthum die bayerische Rettungsmedaille verliehen, das hatte Söder jüngst angekündigt.
Schwer verletzt durch die Messerstiche überlebten das Attentat ein zweijähriges Mädchen aus Syrien und ein 72-jähriger Mann. Eine Erzieherin, 59, stürzte auf der Flucht vor dem Angreifer und brach sich die Hand.

Welche seelischen Wunden die Tat gerissen hat, wird am Sonntag sicht- und spürbar, überall in Aschaffenburg, und ganz besonders rund um die und in der Stiftskirche. Sie könne sich einfach nicht vorstellen, was in einem Menschen vorgehe, wenn er so eine Tat begehe, wenn er Kinder angreife, sagt eine Frau. Sie ist hergekommen, um der Gedenkfeier auf dem Kirchvorplatz beizuwohnen, wo sie auf einer Leinwand übertragen wird. „Ich kann und will nicht begreifen, was da passiert ist“, sagt eine andere Frau auf dem Kirchvorplatz. Seit Mittwoch sei sie nicht in die Stadt gekommen, aber heute wolle sie ein Zeichen setzen, sagt sie: „Wir fühlen mit den Angehörigen.“
Deren Schmerz kann das nicht heilen, lindern vielleicht aber schon. Es helfe nichts außer Zusammenstehen, sagt in der Kirche Landesbischof Kopp. In so vielen Menschen sei ein „tiefes, dunkles Meer an Gefühlen“ entstanden, sagt er: „Entsetzen, Wut, Zorn, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Erschrecken, Ohnmacht.“
Zahlreiche Trauergäste aus Politik und Gesellschaft, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU), sind an diesem Sonntagvormittag in die Kirche gekommen, wo zu dieser Zeit ja sonst auch immer ein Gottesdienst stattfindet. Aber eben kein so trauriger. „Wir sind tief verletzt in unseren Herzen“, sagt Stiftspfarrer Dekan Martin Heim.
Zu welchen Reaktionen diese Verletzungen führen können, war bereits in den vergangenen Tagen in Aschaffenburg zu beobachten. Da waren die Tausende Menschen, die still trauerten. Da waren diejenigen, die vor einer politischen Instrumentalisierung der Tat gegen Geflüchtete warnten. Und da waren eben jene, die genau das taten: die Tat politisch instrumentalisierten, um – neben Kritik am deutschen Asylsystem – gegen Geflüchtete Stimmung zu machen, angeführt vom Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der den Tatort am Freitag besuchte.
„Um uns herum gibt es viele Spalter und Scharfmacher, die aus der Tat Profit schlagen wollen“, sagt am Sonntag Zischan Mehmood, Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat Aschaffenburg. „Der Respekt vor den Opfern verbietet eine derartige unterkomplexe politische Instrumentalisierung.“ Spontaner Applaus hallt durch das Kirchenschiff. Es ist keine leise Trauer an diesem Tag, eher eine trotz aller Schmerzen zu einer besseren Zukunft entschlossene. Eine, die den Zusammenhalt einer Gesellschaft beschwört.
Es ist ein Gedenkakt, der Kraft spenden soll und Hoffnung – den Angehörigen, den Menschen in Aschaffenburg, allen Betroffenen, ob als Helfer vor Ort oder als Mensch aus der Ferne. Denn die Betroffenheit reicht weit über die Grenzen der Stadt hinaus.

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Bereits am Samstag hatte in einer Frankfurter Moschee ein Totengebet für den getöteten zweijährigen Jungen stattgefunden. Wie Ahmed Araychi, der Vorsitzende der Tarik-Ben-Ziyad-Gemeinde, dem Hessischen Rundfunk sagte, werde der Leichnam des Jungen nun nach Marokko überstellt, das Herkunftsland seiner Eltern. Dort solle er im Heimatdorf seiner Großeltern beigesetzt werden.
„Mit jedem gestorbenen Kind stirbt auch ein Teil von uns“, sagt in Aschaffenburg Landesbischof Kopp. Kurz nach ihm spricht, spürbar angefasst, Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) und würdigt den Einsatz des Mannes, der zu Hilfe kam und deshalb starb. „Er hätte nicht einschreiten müssen, aber er hat uneigennützig gehandelt“, sagt er. Der zweifache Vater sei für die Kindergartenkinder „wahrlich ein Schutzengel“. Um 11.45 Uhr beendet er seine Rede. Es ist die Uhrzeit, zu der sich am Mittwoch der Angriff ereignete. Jetzt erklingen die Kirchenglocken, fünf Minuten lang, in der ganzen Stadt.
Danach spricht Söder, in seiner Funktion als Ministerpräsident. Aber an diesem Tag auch als Vater von vier Kindern, wie er sagt. Der getötete Mann sei ein „Vorbild für Menschlichkeit und Mut“. Eine Messer-Attacke auf Kinder, ein „schändlicheres, feigeres Verbrechen“ sei kaum vorstellbar, sagt er. „Was hat sich der Täter dabei eigentlich gedacht?“, fragt Söder. „Es tut wirklich weh.“
Der CSU-Chef sagt, es müssten nun Folgen und Konsequenzen diskutiert werden, er verspricht, man werde „besonnen und entschlossen“ reagieren. Eines sei dabei aber seine Überzeugung: „Das Gute und das Böse sind keine Frage von Herkunft, Nationalität, Ethnie oder Glauben. Alle Kinder in Bayern sind unsere Kinder. Und alle Kinder dieser Welt haben Schutz verdient.“ Deshalb dürfe die Tat nicht dazu führen, „dass Hass unsere Gesellschaft erfasst. Aufhetzung ist die falsche Antwort“.
Auf weitergehende politische Botschaften verzichtet der Ministerpräsident an diesem Tag. Davon gibt es in diesen Tagen reichlich, auch gegenseitige Schuldzuweisungen. Denn eigentlich hätte der mutmaßliche Täter zum Zeitpunkt des Angriffs gar nicht mehr in Deutschland sein sollen. Freistaat und Bund machen sich dafür gegenseitig verantwortlich und streiten über die Frage, wann welcher Behörde welche Informationen zugingen.

Messerangriff in Aschaffenburg
:Ein Tatverdächtiger mit Vorgeschichte
Der 28-Jährige, der des zweifachen Mordes verdächtigt wird, ist schon vielfach aufgefallen – und hätte zum Zeitpunkt der Tat im Gefängnis sitzen sollen. Was über ihn bekannt ist.
Der 28-Jährige ist außerdem wiederholt der Polizei aufgefallen und teils straffällig geworden. Wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe nach einer Körperverletzung in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Unterfranken im März 2023 hätte er am 23. Dezember vergangenen Jahres sogar eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen antreten sollen. Damit hätte er sich am vergangenen Mittwoch noch im Gefängnis befunden. Weil aber in der Zwischenzeit eine weitere Geldstrafe wegen versuchten Betrugs nach einer Zugfahrt mit gefälschtem Ticket rechtskräftig geworden war, musste vor seinem Haftantritt das Amtsgericht Schweinfurt über eine Gesamtstrafe für den Afghanen entscheiden – was bis zu der Tat nicht geschah.
Ebenso wenig stand er offenbar in Kontakt mit einer gesetzlichen Betreuerin, die ihm ein Gericht ebenfalls im Dezember 2024 zur Unterstützung und Bewältigung seines Alltags beigeordnet hatte, nachdem er wegen psychischer Auffälligkeiten dreimal vorübergehend in psychiatrischen Kliniken untergebracht gewesen war. Zu einem vereinbarten Termin mit der Betreuerin erschien er nicht.
Nach dem Innehalten in und vor der Stiftskirche geht es in Aschaffenburg weiter mit Demonstrationen. Hunderte Menschen mit Deutschlandflaggen haben sich versammelt und fordern: „Macht die Grenzen dicht“.
Vom Schlossplatz aus ziehen sie in Richtung Tatort im Park Schöntal, wo sie Hunderte Gegendemonstranten erwarten. Die Tat auf diese Weise für ihre Zwecke auszunutzen, sagt einer von ihnen, sei „nicht nur erbärmlich, sondern schäbig“.
Überall im Park brennen Kerzen, liegen Blumen und Kuscheltiere. An einer Stelle steht ein Bilderrahmen mit einem Foto des kleinen Yannis, davor ein Spielzeug-Streifenwagen. Er wollte Polizist werden.