Jugend-Droge Lachgas: Geschädigtes Rückenmark, Lungenrisse, Erstickungsgefahr – und dennoch legal | ABC-Z

Immer mehr Jugendliche hierzulande berauschen sich mit der legalen Partydroge Lachgas. Doch die gesundheitlichen Risiken sind gewaltig – potenziell sogar tödlich. Andere Länder haben schon mit drastischen Schritten reagiert.
Jano sagt, es habe für ihn einen Schlüsselmoment gegeben, als er Anfang vergangenen Jahres die Serie „Testo“ geschaut habe. Darin inhaliert einer der brachialen Bankräuber, gespielt vom Rapper Veysel Gelin, mit einer Maske Lachgas aus einer großen Kartusche. Während sein Kumpel die Geiseln zu erschießen droht, saugt er scharf ein und lacht sich kaputt.
„Das muss ich auch ausprobieren, dachte ich mir damals“, sagt Jano, der nicht mit vollem Namen genannt werden will. Er ist jetzt 18 Jahre alt. Wenn alles gut geht, will er im kommenden Jahr das Abitur nachholen. Sein Drogenkonsum hat ihn ein Jahr gekostet. Und nicht nur das.
Einige Wochen verbrachte er stationär in einer Klinik, weil er Lähmungserscheinungen hatte. „Ich musste erst wieder lernen, richtig zu gehen“, erzählt Jano, „es war ein Riesenschock.“ Er hatte das Lachgas vor allem mit Cannabis konsumiert und mit Alkohol. „Ich hab’ das alles total unterschätzt“, sagt er. „Ich kann nur sagen, dass ich im Nachhinein froh bin, dass meine Mutter nicht lange gefackelt und mich in die Klinik gebracht hat, als ich nur noch strauchelnd laufen konnte.“
Für den Neurologen Gereon Fink, 61, ist Jano kein Einzelfall: „Wir sehen immer mehr Menschen, die mit neurologischen Akut- oder Spätfolgen ärztlichen Rat suchen“, sagt der Direktor der Klinik für Neurologie der Universitätsklinik Köln. „Den Lachgas-Konsum erwähnen sie in der Regel bei der Erstvorstellung nicht, wohl auch, weil die meisten gar keinen Zusammenhang herstellen, erst recht, wenn es sich um Spätfolgen handelt.“
Lachgas, chemisch Distickstoffmonoxid, wird in Zahnarztpraxen zur Narkose eingesetzt, aber auch als Triebmittel für Sprühsahne. In den vergangenen Jahren hat es sich wegen seiner berauschenden Wirkung als Partydroge etabliert. Lachgas ist in Kiosken und sogar an Automaten für Süßigkeiten erhältlich, ohne Altersbeschränkung. Mittlerweile ist es von Erdbeere bis Drachenfrucht in allen möglichen Aromen zu haben. Das Design: grell und bunt.
Nach Wochenenden prägen zunehmend leere Lachgasflaschen das Erscheinungsbild Bild von Grünanlagen. Jugendliche konsumieren das Gas meist aus Luftballons. Lachgastaxis werben mit Lieferungen innerhalb einer Stunde. Eine Flasche mit zwei Kilogramm Inhalt kostet 60 Euro. Von 2022 bis 2023 hat sich in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Missbrauchsfälle laut Landeskriminalamt mehr als verdreifacht.
In Hamburg haben 2021 einer Studie des Netzwerks „Sucht.Hamburg“ zu Folge 11,3 Prozent der 14- bis 17-Jährigen Erfahrungen mit Lachgas. Statistiken über den deutschlandweiten Konsum gibt es noch nicht. Auch für Berlin fehlen genaue Zahlen. Im September vergangenen Jahres hatten zwei Grünen-Parlamentarier eine schriftliche Anfrage zum Thema Lachgasverkauf an das Berliner Abgeordnetenhaus gestellt. Der Gesundheitssenat musste eingestehen, dass keinerlei Zahlen zur Menge des verkauften Lachgases vorliegen, auch nicht zu Rettungsdiensteinsätzen, Behandlungen oder möglichen Todesfällen.
Anhaltspunkte gibt die Berliner Stadtreinigung. Bis zu 250 Lachgasflaschen landen pro Tag im Müllheizkraftwerk im Westen der Stadt. Weil die Behälter oft nicht ausreichend geleert sind, kommt es vier bis fünf Mal täglich zu Explosionen, die nicht nur die Kessel, sondern auch die Mitarbeiter gefährden.
In Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden ist der Besitz von Lachgas bereits verboten, ausgenommen sind Personen, beispielsweise Ärzte, die einen berechtigten Anspruch haben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will ein deutschlandweites Verkaufsverbot an Jugendliche umsetzen, am besten noch vor der Bundestagswahl in vier Wochen.
Doch realistisch ist das nicht mehr. Weil sich bundesweit nichts bewegt, haben die Städte Hamburg und Osnabrück selbst gehandelt. Seit Jahresbeginn droht bei Verkauf und Weitergabe von Lachgas an Minderjährige ein hohes Bußgeld.
„Man kann potenziell daran ersticken“
„Es ist möglich, von Lachgas abhängig zu werden, wenngleich das Abhängigkeitspotenzial im Vergleich zu anderen Substanzen, etwa Alkohol, eher moderat ist“, sagt Felix Betzler, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Leiter der Forschungsgruppe „Partydrogen“ (Recreational Drugs) an der Berliner Charité.
„Über die letzten Jahre konnten wir einen schleichenden Anstieg feststellen, der vor nicht allzu langer Zeit sprunghaft nach oben schnellte. Auch der Giftnotruf der Charité für Berlin und Brandenburg verzeichnet diesen Anstieg“, so Betzler. Das sei besorgniserregend, denn besonders Minderjährige würden konsumieren. Und der Konsum könne zu sehr schwerwiegenden Schädigungen führen. Weil der Sauerstoff in der Lunge verdrängt wird, besteht Gefahr, das Bewusstsein zu verlieren, so Betzler: „Man kann potenziell daran ersticken.“ Zudem sei der neurotoxische Effekt von Lachgas nachgewiesen.
Eine im vergangenen Jahr im Großraum Paris durchgeführte Studie offenbarte einen starken Anstieg von Nervenschäden infolge von Lachgas-Konsum. Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) warnt vor schweren neurologischen Beschwerden. Zudem könne es zu Störungen des Blutbildes kommen.
Der Kölner Neurologe Fink verweist auf ein weiteres hohes Risiko: Gefährliche Erfrierungen. Die Gaskartuschen werden bei der Verwendung extrem kalt, bis zu -55° C. „Bei direkter Inhalation sind schwerste Verletzungen an Fingern oder Lippen möglich“, erklärt Fink, „aber auch Lungenrisse durch den hohen Druck des komprimierten, sich ausdehnenden Gases.“
Eine besonders schwerwiegende Komplikation sei eine Rückenmarksschädigung, die auf einen Vitamin-B12-Mangel zurückzuführen sei und dafür sorge, dass manche Patienten nicht mehr laufen könnten. „Der Vitamin-B12-Haushalt kann durch Lachgas-Konsum gestört werden, der Mangel an bestimmten Aminosäuren kann zu einer Zerstörung der Nervenscheiden führen“, sagt Fink. Die Folge seien ein zunehmendes Taubheitsgefühl der Hände und Füße bis zu Lähmungserscheinungen der Extremitäten. „Je früher die Diagnose bekannt ist und eine Therapie begonnen werden kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine Schäden bleiben.“ Die Therapie bestehe in einer hochdosierten Vitamin-B12-Gabe.
„Grundsätzlich gilt: Je jünger die Konsumenten, desto größer ist die Gefahr, dass die Gehirnentwicklung negativ beeinflusst wird“, sagt der Berliner Suchtberater Marc Pestotnik. Er und sein Team von 25 Mitarbeitern entwickeln Konzepte für Drogenprävention, beraten Schulleiter, Lehrer, Sozialarbeiter. „Legal heißt nicht harmlos“ oder „Lachgas – nicht nur lustig“ lauten die Slogans, die auf den Flyern stehen, die Jugendliche auf die Gefahr von Lachgas hinweisen sollen.
„Heikel wird der Konsum vor allem, wenn nicht nur ein Ballon gezogen wird, sondern Lachgas gleichzeitig mit Alkohol, Cannabis oder Medikamenten eingenommen wird“, warnt Pestotnik. „Wir raten grundsätzlich von Mischkonsum ab.“ Die eingeschränkte Verkehrstauglichkeit, die unter Umständen völlig falsch eingeschätzt werde, sei dafür nur ein Grund. Wird Lachgas mit anderen Substanzen konsumiert, potenziere das die gesundheitlichen Risiken, so Pestotnik. Strengere gesetzliche Regelungen seien daher nur folgerichtig.
Aber darauf wird man in Deutschland wohl darauf noch warten müssen.