Österreichs Skifahrer in der Krise: Neben der Streif – Sport | ABC-Z

Immerhin, im Kitzhof ist weiterhin viel los. Ein wenig unscheinbar an einer Einfahrtstraße liegt eines der noch vergleichsweise bodenständigen Luxushotels in Kitzbühel, aber am Hahnenkamm-Wochenende hat es einen besonderen Stellenwert. Der Österreichische Skiverband (ÖSV) residiert hier traditionell, seit vielen Jahren ist das so, draußen im Garten erinnert eine rot-weiß-rote Gams an die Rennen aus dem Jahr 2000. An eine Zeit, in der man sich noch recht sicher sein konnte, dass von Samstag auf Sonntag ein oder zwei Athleten im Hotel übernachten würden, die die gute Lage ausnutzen konnten: Vom Kitzhof sind es nur ein paar Gehminuten zum Zielhaus, wo die Preisverleihung stattfindet – und zum Londoner, dem Pub, wo die Rennfahrer ihre Siege feiern.
Irgendein Österreicher war bei diesen feierlichen Veranstaltungen meist dabei. Zwischen 1996 und 2006 etwa gab es überhaupt nur zweimal keinen österreichischen Abfahrtssieger auf der Streif. Es war die goldene Ära einer kleinen Nation, die für sich in Anspruch nimmt, in ein paar Disziplinen besser zu sein als der Rest der Welt. Schnitzel backen zählt dazu, Neujahrskonzerte spielen ebenfalls, vor allem aber geht es darum, schneller als alle anderen verschneite Berge hinunterzufahren. Allen voran in der Königsdisziplin Abfahrt und insbesondere am heimischen Hahnenkamm.
Es ist daher schon fast bemerkenswert, dass auch dieses Jahr im Mannschaftshotel eine Stimmung herrscht, als wäre immer noch das Jahr 2000. Funktionäre hat der ÖSV weiterhin viele, überall rennen Menschen in Skijacken mit Österreich-Fahnen durch die Gegend, und Sportlegenden wie der Streif-Sieger Fritz Strobl veranstalten am Donnerstag vor dem Rennwochenende Sightseeing-Touren durchs Skigebiet. Dabei sein ist alles, das gilt weiterhin im Kitzhof und im Umfeld von Österreichs Skimannschaft. Nur gilt dasselbe inzwischen auch für die Skifahrer selbst.
In dieser Saison stand bislang erst ein Österreicher bei den Disziplinen Abfahrt und Super-G auf dem Podest
Dabei sind beim wichtigsten Rennen des Jahres auch weiterhin einige Österreicher dabei – nur hat keiner von ihnen realistische Chancen, auf die vorderen Plätze zu fahren. „Zufall“ wäre ein gutes Ergebnis, sagte der berühmte Hermann Maier vor einigen Tagen, Franz Klammer nannte die Situation „traurig“. Und wer neben Worten noch Statistiken brauchte als Beleg für die Misere der großen Skination Österreich, der bekam sie in allen Tageszeitungen serviert: In dieser Saison stand bislang erst ein Österreicher bei den zwei schnellen Disziplinen Abfahrt und Super-G auf dem Podest, in der gesamten vergangenen Saison gelang es auch nur einmal einem ÖSV-Athleten, unter die besten Drei zu fahren. Seit 2017 haben überhaupt nur drei Österreicher Abfahrten gewonnen: Matthias Mayer und Max Franz sind inzwischen zurückgetreten – und Vincent Kriechmayr ist derzeit verletzt.
Der 33-jährige Oberösterreicher ist der Einzige, dem auf der Streif ein Sieg zuzutrauen gewesen wäre, bis er sich in Wengen das Innenband zerrte und nun auf einen Start bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land in Saalbach-Hinterglemm im Februar hinarbeitet. Kriechmayr ist der Anführer einer stark dezimierten Abfahrtsgruppe, die um ihren Status im Land derzeit nicht zu beneiden ist: Kaum eine Skifahrergeneration ist jemals so hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Die aktuellen Rennfahrer zu kritisieren, ist allerdings vielleicht der falsche Weg – die Krise beim ÖSV nämlich ist über viele Jahre entstanden. Seit Jahrzehnten basiert der österreichische Erfolg auf einem internen Wettstreit zwischen den Mannschaftskameraden. Die Generation um Maier, Strobl oder Stephan Eberharter fuhr in jedem Training auch gegeneinander, um sich für die Rennen am kommenden Wochenende zu qualifizieren – wer zu langsam war, blieb zu Hause sitzen. Ein fast schon archaischer Ansatz war das, die Frage ist allerdings, ob er auch heute noch zeitgemäß ist.
Ausgerechnet die Schweiz ist den Österreichern inzwischen weit enteilt. Das schmerzt die Landesseele umso mehr
Stefan Eichberger etwa – immerhin Zweiter im Trainingslauf am Mittwoch – ist Jahrgang 2000, die Siegesfahrten von damals hat er laut eigener Aussage noch nicht mitbekommen, wohl aber die Überbleibsel. „Es ist mehr Druck, wenn man in jedem Training, in jeder Woche immer Bestleistung fahren muss, um dabei zu sein“, sagte Eichberger, der erst seine zweite Saison im Weltcup fährt. „Es wäre wichtig, dass die Jungen früh genug rangelassen werden“, empfahl er und kam auf das Damoklesschwert zu sprechen: „Das haben die Schweizer die letzten Jahre über schon mehr gemacht.“
Ausgerechnet die Schweiz ist dem Konkurrenten aus Österreich inzwischen weit enteilt, das schmerzt die Landesseele umso mehr. Der überragende Marco Odermatt führt dort eine Mannschaft an, in der flache Hierarchien gelten und junge Fahrer wie der talentierte Franjo von Allmen nicht abgedrängt, sondern gefördert werden. Grundlegende Reformen vor mehr als einem Jahrzehnt, als die Schweiz sich in der Krise befand, waren für die heutigen Erfolge ausschlaggebend.
Dieser erfolgreiche, moderne Ansatz hat sich herumgesprochen im Skiweltcup, sicherlich auch schon unter den vielen Menschen, die in den rot-weiß-roten Jacken durch den Kitzhof eilen, am wichtigsten Wochenende des Jahres beim Rennen auf der Streif. Wo ein weiterer Misserfolg wohl auch in Österreich die Erkenntnis zur Folge haben dürfte, dass es Veränderung braucht, um eine große Skination wiederzubeleben.