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Umfrage erkennt keine Aufbruchstimmung bei den Wähler | ABC-Z

Die Bürger halten einen Regierungswechsel für notwendig, aber bis dato erwächst daraus noch keine Zuversicht auf einen Politikwechsel oder gar Aufbruchstimmung. Zwei Drittel wünschen einen Regierungswechsel, das sind deutlich mehr als bei vorherigen Wahlen. 38 Prozent sind sogar überzeugt, dass diese Wahl eine Schicksalswahl ist, die über die Zukunft des Landes entscheidet.

Das sind mehr als bei allen vier vorherigen Bundestagswahlen; nur 1998 und 2005 war das Empfinden, vor wahrhaft schicksalhaften Wahlen zu stehen, noch weiter verbreitet. In beiden Fällen kam es zu einem Regierungswechsel zwischen Unionsparteien und SPD. Diesmal rechnen die meisten zwar damit, dass die SPD auch in der nächsten Regierung vertreten ist, aber die Führung der Regierung an die Unionsparteien abgeben muss.

Aber von einer Aufbruchstimmung ist bisher wenig zu spüren. Auch bei der letzten Wahl, die eine ungewohnte Konstellation hervorbrachte, hatte nur eine Minderheit das Gefühl, dass in Politik und Gesellschaft Aufbruchstimmung herrscht. Obwohl die Parteien der Ampel anfangs als Modernisierer antraten, hatte in der Bevölkerung nur jeder Vierte den Eindruck, dass Aufbruchstimmung herrscht. Jetzt meint jeder Fünfte, Aufbruchstimmung in der Politik zu beobachten, ganze 16 Prozent im Bezug auf die Stimmung im Land.

Keine Koalitionsoption ist populär

Gleichzeitig machen sich bemerkenswert viele Hoffnung, dass ein Regierungswechsel nicht nur die wirtschaftlichen Perspektiven verbessert, sondern auch ihre eigene Situation. 36 Prozent erhoffen sich persönliche Vorteile von einem Wechsel, nur sechs Prozent erwarten Nachteile, knapp jeder Zweite keine Auswirkungen auf die eigene Situation. Interessanterweise macht sich jedoch sofort Ernüchterung breit, wenn nicht allgemein von einem Regierungswechsel gesprochen wird, sondern von einem Wechsel zu einer bestimmten Koalition.

Das gilt insbesondere für eine schwarz-grüne Koalition, aber auch für Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb. Von einer schwarz-grünen Koalition erwarten sich gerade einmal sechs Prozent Vorteile, dagegen 27 Prozent Nachteile, von Schwarz-Gelb 14 Prozent Vor- und 22 Prozent Nachteile; auch von Schwarz-Rot – die Konstellation, die die Bevölkerung für die wahrscheinlichste hält – werden mehr Nachteile als Vorteile erwartet.

Sobald Koalitionen angesprochen werden, wird den Bürgern verstärkt bewusst, dass zumindest ein Partner aus der Ampelkoalition voraussichtlich auch Mitglied der nächsten Regierung sein wird, und dies dämpft Hoffnungen auf einen Kurswechsel wie auf eine reibungslos arbeitende Regierung.

Das ist den Wählern jedoch besonders wichtig: dass die nächste Koalition besser zusammenarbeitet als die Ampelparteien und die Regierung dadurch stabil und funktionsfähig ist. 83 Prozent halten dies für eine entscheidende Voraussetzung, um die Herausforderungen zu meistern. An zweiter Stelle steht der Wunsch, dass die Anliegen, die aus Sicht der Bevölkerung besonders dringlich sind, konsequent angepackt werden.

Es gibt jedoch keine Koalition, der von der Mehrheit in dieser Beziehung großes Vertrauen entgegengebracht wird. Die Koalitionswünsche sind fragmentiert: 23 Prozent wünschen sich eine Koalition aus CDU und SPD, 13 Prozent aus CDU und AfD, 13 Prozent eine Wiederauflage von Rot-Grün, 12 Prozent Schwarz-Gelb; alle anderen Konstellationen erscheinen weniger als zehn Prozent der Bürger ideal, am wenigsten Dreierbündnisse.

Die Mehrheit rechnet mit einem Wahlsieg der Union, aber unabhängig von den denkbaren Koalitionspartnern überwiegt die Sorge, dass es auch in der neuen Regierung knirschen wird. Besonders groß sind die Zweifel, ob eine schwarz-grüne Koalition gut zusammenarbeiten würde, aber selbst gegenüber einer schwarz-gelben Koalition überwiegen die Zweifel: 29 Prozent trauen CDU/CSU und FDP eine reibungslose Zusammenarbeit zu, 36 Prozent sind skeptisch.

Welche Koalitionen stehen für Kontinuität?

Die Anhänger der Union beurteilen die Chancen für eine gute Zusammenarbeit günstiger, aber auch dort gibt es Zweifel: 39 Prozent rechnen mit einer konstruktiven Kooperation, 27 Prozent sind skeptisch. Damit wird Schwarz-Gelb jedoch noch am meisten zugetraut. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Option überhaupt realistisch ist, wird aber von der überwältigenden Mehrheit gering eingeschätzt. Fast drei Viertel halten dies für unwahrscheinlich.

Bei der Konstellation, mit der die meisten rechnen – Schwarz-Rot –, erwarten gerade einmal 23 Prozent der Bürger eine gute Zusammenarbeit, 40 Prozent eher Konflikte; die SPD-Anhänger urteilen hier wesentlich optimistischer als die Anhänger der Union. Immerhin rechnen auch viele damit, dass sich eine solche Koalition darauf verständigen könnte, die Wirtschaft stärker zu unterstützen und mehr in die Verteidigungsfähigkeit zu investieren.

Knapp jeder Zweite erwartet dies von einer schwarz-roten Koalition, 39 Prozent auch eine konsequentere Begrenzung der Zuwanderung. Dagegen gehen gerade einmal acht Prozent davon aus, dass eine solche Koalition die Steuerlasten verringern würde; nur jeder Zehnte rechnet mit einem merklichen Bürokratieabbau.

35 Prozent sind überzeugt, dass Schwarz-Rot bedeuten würde, dass sich nicht viel änderte. Interessanterweise wird diese Einschätzung noch verbreiteter im Blick auf eine schwarz-grüne Koalition vorgenommen, am wenigsten in Bezug auf Schwarz-Gelb: 41 Prozent erwarten, dass eine schwarz-grüne Koalition vor allem für Kontinuität stehen würde, bei Schwarz-Gelb sind davon nur 22 Prozent überzeugt.

Unabhängig von bestimmten Koalitionskonstellationen rechnen zurzeit nur 37 Prozent damit, dass sich durch den Regierungswechsel viel ändern wird, während 35 Prozent von Kontinuität ausgehen. Insbesondere die Anhänger von SPD, Grünen, BSW und der Linken setzen darauf, dass es keinen bedeutenden Kurswechsel geben wird. Gleichzeitig verordnet die Bevölkerung der nächsten Regierung jedoch ein Pflichtenheft, das ohne gravierende Veränderungen kaum zu erfüllen ist.

Stärkung der Wirtschaft am wichtigsten

So hält die überwältigende Mehrheit rasche Fortschritte nicht nur bei der Stärkung der Wirtschaft und der Steuerung der Zuwanderung für wichtig, sondern auch bei der Sicherung der Renten, der Stabilisierung des Gesundheitssystems, dem Abbau von Bürokratie, der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und der Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur: 84 Prozent halten die Stärkung der Wirtschaft für vordringlich, 78 Prozent die bessere Steuerung der Zuwanderung, 71 Prozent die Sicherung der Renten; alle diese Ziele erfordern tiefgreifende Reformen wie auch der Abbau von Bürokratie.

Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur können nur mit enormen Investitionen gelingen, die entweder aus anderen Politikfeldern umverteilt oder durch eine Reform der Schuldenbremse ermöglicht werden könnten. Es gibt in der Bevölkerung wie in der Wirtschaft eine grundsätzliche Unterstützung für die Begrenzung von Staatsschulden, aber auch die Überzeugung, dass bestimmte Aufgaben des Staates nicht nach Kassenlage gesteuert werden können.

Die Stärkung der Wirtschaft führt die Agenda der Bürger zurzeit an, und knapp jeder Zweite rechnet auch damit, dass sich mit dem Regierungswechsel die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung verbessern. Noch größer ist der Optimismus in der Wirtschaft: Bei einer Befragung von Führungskräften zeigten sich 89 Prozent überzeugt, dass ein Regierungswechsel die Chancen verbessert, dass die Phase der Wachstumsschwäche endet.

Diese Hoffnung hängt in Wirtschaft wie Bevölkerung an einem Wahlsieg der Union; in Bezug auf das Vertrauen in ihre Kompetenz, den Standort zu stärken, hat sie fast ein Alleinstellungsmerkmal. 50 Prozent trauen ihr am ehesten zu, den Standort und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken; auf dem zweiten Rang liegt die SPD mit neun Prozent vor den Grünen mit vier Prozent.

AfD schöpft Potential nahezu aus

Diese Diskrepanz prägt auch das Urteil über die Spitzenkandidaten. Die Hälfte der Bevölkerung attestiert Friedrich Merz, dass er viel von Wirtschaft versteht, zwölf Prozent Olaf Scholz, elf Prozent Robert Habeck. Wie stark Wirtschaftsthemen und -kompetenz die Wahl bestimmen, ist jedoch noch offen, da die überwältigende Mehrheit von den ökonomischen Problemen nicht unmittelbar betroffen ist und das bislang auch nicht befürchtet.

Nicht nur Wirtschaftskompetenz, auch Führungsqualitäten werden Merz weitaus mehr zugeschrieben als Scholz und Habeck. Der Oppositionsführer liegt bei der Kanzlerpräferenz weit vor dem Amtsinhaber: 40 Prozent präferieren Merz, 21 Prozent Scholz. Die Hoffnungen der SPD, erneut einen Umschwung zu erreichen wie 2021, haben sich bisher nicht erfüllt. Es gibt zwar Anzeichen einer leichten Erholung für die SPD und bei den Unionsparteien einen begrenzten Rückgang, aber der Abstand ist nach wie vor enorm: 34 Prozent würden sich zurzeit für CDU/CSU entscheiden, 17 Prozent für die SPD.

Aber die Wahl ist noch nicht entschieden, es gibt immer noch viele unentschlossene Wähler. Ihr Anteil hat sich zwar in wie vor jeder Wahl verringert; aber immerhin 37 Prozent der Wahlberechtigten, die sich auch an der Wahl beteiligen wollen, überlegen noch. Viele schwanken zwischen zwei Parteien. Befragt, welche Parteien für sie infrage kommen, nennen 43 Prozent die CDU/CSU, 27 Prozent die SPD, 21 Prozent die Grünen und 14 Prozent das BSW. Die weiten Potentiale sind damit bei allen signifikant größer als der Kreis, der ihnen zurzeit die Zweitstimme geben würde.

Bei der AfD liegen dagegen Potential und Wahlabsicht nah beieinander. Die weiten Potentiale überschneiden sich, und darin liegt die Unsicherheit für die Parteien. So kommen für zehn Prozent sowohl CDU/CSU wie SPD in Betracht, genauso groß ist die Schnittmenge von SPD und Grünen. Die Schnittmenge der Unionsparteien mit der AfD, den Grünen und der FDP beträgt je sechs Prozent – allemal genug, um den letzten Wochen vor der Wahl Spannung zu verleihen.

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