SZ-Kolumne „Auf Station“: Manchmal erkranken Leute, weil sie extremes Pech haben – Ebersberg | ABC-Z
Die Veränderung der Nase, das war äußerlich wohl das Markanteste an unserem Patienten: Sie hatte sich dunkel verfärbt – ein Zeichen dafür, dass sie nicht mehr durchblutet und deshalb abgestorben war. Man kann sich das vorstellen wie bei Extrembergsteigern, die durch einen Sturm oder die Höhenkrankheit in große Not geraten, deshalb viel zu lange draußen bei Eiseskälte unterwegs sind und mit Erfrierungen zurückkehren. Ich denke, jeder hat bestimmt schon einmal einen Film oder Fotos von solchen Fällen gesehen. Die erfrorenen Körperteile sind darauf auch dunkel auszumachen. Unser Patient jedoch hatte keine Erfrierungen, sondern Meningitis – eine Hirnhautentzündung.
Die Hirnhäute, also die Gewebsschichten, die Gehirn und Rückenmark umgeben, werden in der Medizin als Meningen bezeichnet. Bei Entzündungen wird an den Begriff für das betroffene Körperteil die Silbe „-itis“ angehängt: Sinusitis wäre die Nasennebenhöhlenentzündung, Appendizitis die Blinddarmentzündung, Otitis die Ohrenentzündung – und Meningitis eben die Hirnhautentzündung.
:Aber ich hab doch keine Zeit!
Häufig sind es sehr gestresste Menschen, die ihre Schmerzen nicht richtig erkennen oder sie mit Hilfe von Medikamenten unterdrücken. Anstatt gleich zum Hausarzt zu gehen, landen am Ende einige von ihnen bei Pola Gülberg auf der Intensivstation.
Es gibt verschiedene Auslöser. Typischerweise tritt die Krankheit im Zusammenhang mit einem Zeckenbiss auf, Streptokokken, Herpes, Influenza oder HIV – kurz: Gehen Bakterien oder Viren im Körper auf Wanderschaft, kann es dazu kommen.
Fieber, Kopfschmerzen und Nackensteifheit sind klassische Symptome. Hinzu können Übelkeit und Erbrechen kommen, Appetitlosigkeit, Verwirrtheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Lichtempfindlichkeit, extreme Müdigkeit oder Hautausschläge. Patienten mit solchen Symptomen werden sofort isoliert und getestet. Zum Glück bestätigt sich der Verdacht auf Meningitis meistens nicht.
Unser Patient hatte leider nicht solch ein Glück. Als er ins Krankenhaus kam, war seine Hirnhautentzündung bereits weit fortgeschritten. Das erleben wir häufig bei neurologischen Erkrankungen: Bei Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit denken sich die wenigsten sofort etwas. Mei, da ist man halt ein bisschen grippisch beieinander, in der Arbeit ist’s ja auch gerade so stressig … verständlich, denn natürlich rennt niemand bei jedem kleinen Ziepen in die Notaufnahme. Doch dauern die Symptome länger als drei Tage an, ohne dass sie trotz Schmerztabletten milder werden, sollte das als Aufforderung des Körpers verstanden werden, zum Arzt zu gehen.
Der Krankheitsverlauf bei dem Mann war extrem schwierig, er hatte bereits eine Sepsis, irgendwann zentrierte sich der Blutkreislauf auf Körperstamm und Kopf, sodass die Nase abgestorben ist – dem Körper ging die Kraft aus. Unser Patient ist schließlich gestorben. Hätte er etwas tun können, um gar nicht erst an einer Hirnhautentzündung zu erkranken? Ich denke nicht. Gegen eine virale kann eine Impfung schützen, gegen eine bakterielle wie er sie hatte jedoch nicht. Auch gibt es keine Risikofaktoren. Leider ist es manchmal einfach ein extremes Unglück, das Menschen widerfährt.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind online unter sz.de/aufstation zu finden.