Asterix und Obelix machen Urlaub auf einer bretonischen Insel | ABC-Z

Er ist ein steinaltes Rezept, trotzdem tut der Zaubertrank des Miraculix bis zum heutigen Tag seine Wirkung. Sagenhaft! Ein ganzes Dorf berauscht der Sud des Druiden, er verleiht Flügel. Trotzdem fragen wir uns als Fans der Helden: Wollen Asterix und seine Freunde lebenslang auf dieses ekelhafte Gebräu angewiesen sein? Oder denkt der pfiffige Gallier bisweilen an Abstinenz? An einen feinen Ort für eine Auszeit? Vielleicht gar an Ruhestand?
Die Frage ist müßig, das weiß jedes Kind. Comic-Helden sind zeitlos, sie altern nicht. Die Asterix-Forschung hat diese Frage bislang auch nicht ernsthaft in Betracht gezogen, weil eine solche Debatte an die Endlichkeit ihres Spezialgebiets rührt. Viel lieber und mit ebenso lustigem wie verzweifeltem Ehrgeiz beschäftigen sich die Wissenschaftler mit der geografischen Bestimmung, wo jenes fiktive „kleine gallische Dorf“ im Norden Frankreichs anzusiedeln sei. Dass es sich um die Bretagne handelt, dürfte unstrittig sein, immer wieder ist die Rede von „Aremorica“, wo die für Obelix‘ Firma unentbehrlichen Hinkelsteine in großer Zahl herumstehen. Die Liste der räumlichen Zuordnungen, wo das Dorf liegt, ist jedenfalls lang: von Erqui westlich des Cap Fréhel (im Département Côtes d’Armor) bis zu Locquirec (im Département Finistère). Aber da das gallische Dorf die Autoren immer schon zu einer gewissen Freiheit der Beschreibung animiert hat, ändern sich die Eigenschaften von Heft zu Heft: Dorf mit Bach oder ohne? Mit Steilküste oder ohne? Mit Hafen oder ohne?
Wo aber könnte der ideale Rückzugsraum der beiden Helden zwischen ihren jeweiligen Comic-Einsätzen sein? Der Ort, an dem sie Urlaub machen und die Schwerter baumeln lassen? Nun, ein solches Refugium sollte gewisse Eigenschaften besitzen: Unangreifbarkeit der Lage. Herrliche Aussicht über die geliebte Küste. Regenschutz (für Kochgeräte und die Schlafstatt). Grasflächen für Wildschweine.
Es handelt sich um die Île Milliau, eine Insel, die dem Seebad Trébeurden im Arrondissement Lannion vorgelagert ist. Es ist erstaunlich, dass diese Insel im Asterix-Kosmos noch nie erwähnt wurde. Sie böte Schutz vor den Römern. Durch die Gezeiten wird die Insel regelmäßig von Trébeurden abgekoppelt, die 100 Meter Watt dazwischen werden dann überspült. Nur ein Zeitfenster von wenigen Stunden steht dem Besucher der Insel zur Verfügung, sie trockenen Fußes zu erreichen und wieder zu verlassen. An jener Landzunge gibt es täglich ein Schild, dass man etwa bis 14.25 Uhr zurückgekehrt sein muss – nachzulesen auf der Schrifttafel: „Vous devriez être de retour à 14h25.“ Das kapieren Römer nicht. Die verstehen nur Latein: „Revertere debes ad p.m 2:25.“ Ergo: Die Truppe säuft ab.
Schauen wir uns diese Île Milliau genauer an. Sie fügt sich perfekt in die Optik der rosa Granitküste jener Region. Meeresnah liegen auf der Landseite dicke steinerne Kolosse. Früher, so vor etwa 300 Millionen Jahren, so liest man, war das ein Gebirge. Oberkarbon-Zeit. Irgendwelche Ur-Kontinente sollen kollidiert sein. So sieht das hier auch aus. Ist der Besucher durchs Watt zur Insel gelangt und hat sich durch grüne Tunnel lichte Höhe erwandert, winkt ihm ein Höhepunkt: ein sogenannter Dolmen. Das Wort kommt aus dem Bretonischen: dol = Tisch, men = Stein. Laut Definition handelt es sich um einen Grabbau der Vorgeschichte, der aus gewaltigen Steinblöcken (Megalithen) errichtet wurde. In Trébeurden heißt der Dolmen offiziell „Allée couverte“ (was Galeriegrab bedeutet). In Deutschland und anderswo ist nicht selten von Hünengräbern die Rede. Die Dänen nennen es „Riesenstube“.
Der Dolmen der Île Milliau heißt auch „Trois-Tables-en-Place“, was die drei Deckenplatten bezeichnet; eine vierte liegt am Boden. Gestützt werden sie von einem rustikalen Ensemble aus Tragsteinen, die wie die Zähne eines desolaten Gebisses aus dem Boden zu wachsen scheinen. An diesem Steintisch können nur Riesen tafeln.
Wozu dienten solche Dolmen? Bestattungen werden dort heutzutage nicht mehr durchgeführt, vielmehr sind sie beliebtes Ziel von Touristen, die jene trutzigen Zeugnisse grauer Vorzeit bestaunen. Im frühen Band „Die goldene Sichel“ nutzen Asterix und Obelix in pechschwarzer Nacht eine kleinere Ausgabe eines Dolmens, um Schutz vor einem Gewitter zu finden. Plötzlich finden die beiden Helden eine Falltür – und darunter ein phänomenales Räuberlager aus Sicheln; eine solche aus Gold war Miraculix zerbrochen, als er Misteln für den Zaubertrank schnitt.
Bretagne-Reisende kennen zahllose solcher Monumente aus der Region zwischen Carnac und Quiberon, Stelen pflastern ihren Weg. An der rosa Granitküste sind sie eher vereinzelt zu finden; dort fallen sie auch nicht so auf, weil die Region ein einziges Felsenparadies ist. Der Schauspieler Dieter Hallervorden fand es so grandios, dass er die Insel Costaérès mit dem gleichnamigen neugotischen Schloss kaufte. Inzwischen kennt jeder Einheimische diesen Monsieur Allervordänn aus Berlin. Wer den nahen Leuchtturm von Ploumanac’h besucht und den rosafarbenen Granit ins Licht der Abendsonne getaucht sieht, fühlt sich wie in einer kitschigen Lichtshow. Aber es handelt sich um die Wahrheit der Natur. Ein Schimmer davon fällt auf die Verfilmung des Kriminalromans „Bretonisches Leuchten“ von Jean-Luc Bannalec, die mit dem Kommissar Dupin in der Hauptrolle im nahen Trégastel spielt.
Asterix und Obelix haben für solche optischen Köstlichkeiten kein Auge, für sie zählen Abenteuer, Handgreiflichkeiten und Gelage zu den vordringlichen Aspekten der Lebensgestaltung. Naherholung ist im kleinen gallischen Dorf ja ein Fremdwort, die Helden lieben es globetrotterisch: Bei den Pikten und Goten, Briten und Spaniern, Normannen und Schweizern, sogar Belgiern und Amerikanern waren sie bereits. Die Voreifel der Granitküste verschmähten sie bislang. Es wird Zeit, dass Asterix und Obelix auch die weiche Seite an sich entdecken.
Leichter gesagt als gehört. Weil die musische Ader der kernigen Rabauken bereits früh vertrocknet ist, sind sie für Klänge zunächst nicht recht zu begeistern, derber Gesang artet meist in Gegröle aus. Nun, gerade an der Île Milliau könnten sie aber sphärischen Winden lauschen, wie sie ansonsten nur von der hochatlantischen Île Ouessant berichtet werden. Es ist kein blödes, eindimensionales Heulen, sondern ein raffiniertes Summen, ein feines Sirren und kosmisches Grollen. Es ist der Sound, der auch Helden verwandeln kann und ihr Herz erreicht. Bisweilen schüttet es natürlich aus Kübeln, und wenn Asterix und Obelix dann glücklich Zuflucht unter dem Dach des Dolmens gefunden haben, schauen sie verklärt aufs Meer und hinüber zu einer zartgliedrigen Insel, deren Name allen Bretonen ein verzücktes Lächeln beschert: Molène. Anmutiger kann keine Insel heißen.
Dummerweise gibt es zwei Molènes. Geheimnisvoll und markant zugleich ist diejenige Insel auf hoher See im Arrondissement Brest, zwischen der Küste und der Insel Ouessant. Aber unser Molène bei Trébeurden ist nicht minder individuell, eine allerdings unbewohnte, unberührte Perle. Der großartige bretonische Jazzpianist Didier Squiban hat einmal, auf den Inhalt seiner CD „Molène“ angesprochen, salomonisch gesagt: „Ich meine natürlich beide.“ Es handelt sich um drei Suiten mit ruhigen Balladen, fetzigen Tänzen, um Volkslieder, denen der Jazz in die Glieder fährt. Asterix und Obelix haben diese Musik bislang noch nie gehört. Troubadix würde ihnen aber zuraten. Und plötzlich – das kann man felsenfest vorhersagen – wollen die beiden, ihr klingendes „Molène“ im Ohr, gar nicht mehr weg. Die Klänge werden sie verzaubern. Muss man sich immer prügeln? Obelix wird seine vegetarische Seite entdecken und auf der Île Milliau Pilze suchen. Asterix wird plötzlich philosophisch und über Methoden der Deeskalation nachdenken. Cicero liest er trotzdem noch nicht. Über Wochen leben sie friedvoll in dieser insularen Einöde, dann kehren sie zurück. Am 23. Oktober erscheint der 41. Band, und wie der Verlag mitteilt, gehen die Helden wieder auf große Reise.
Was wir uns übrigens immer gefragt haben: Wie haben die Bretonen der Jungsteinzeit alle diese Hinkelsteine und Menhire eigentlich an ihr jeweiliges Ziel gewuchtet? Tragsteine wurden gerollt, aber wer hievte die ungleich schwereren Dächer hinauf? Oder sind die Dolmen womöglich jünger? Etwa aus der Zeit Caesars, als ein bestimmter Kraftprotz übermenschliche Kräfte besaß und es auch mit einer ganzen römischen Legion aufnahm – vorausgesetzt, als Arbeitslohn gab es vier gegrillte Wildschweine?
Die Antwort ist der einzige lateinische Satz, den Obelix sich gemerkt hat: Alea iacta est. Der Würfel ist gefallen. Und der Klotz ist gestemmt.