Compact-Magazin: Muss der Staat seine Feinde schützen? | ABC-Z
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Im Wahlkampf wirbt Compact für die AfD. Der Staat wollte das rechtsextreme Magazin verbieten. Doch das hat gerichtlich erstritten, dass es vorerst weiter veröffentlichen kann. Recherchen von NDR und WDR geben einen Einblick in das Verfahren.
An dem Morgen im Juli, als der Staat das rechtsradikale Compact-Magazin verbietet, tritt dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer im schwarzen Bademantel vor die Eingangstür seines Hauses. Vor ihm stehen zahlreiche vermummte Polizisten. Sie sind angerückt, um ein weitreichendes Verbot des Bundesinnenministeriums (BMI) durchzusetzen.
Es geht nicht nur um das Magazin allein – der gesamte Compact-Kosmos soll verboten werden. Die Argumentation des BMI: Die Compact-Magazin-GmbH sei eine Gefahr für die demokratische Ordnung, für die Verfassung, so heißt es in der Verfügung. Seit mehreren Jahren beobachtet der Verfassungsschutz den Verlag. Fotografen haben die Szene vor Elsässers Haus festgehalten.
Gerichte, Journalisten und Juristen werden dieses Verbot in den Tagen und Wochen darauf diskutieren. Denn das 2010 gegründete Magazin gilt als ein besonders wichtiges Sprachrohr und als Vernetzungs- und Verbreitungsplattform der rechtsextremen Szene in Deutschland. Diskutiert wird die Abwägung zweier grundlegender demokratischer Rechte: Die Meinungs- und Pressefreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Recht des Staates, sich gegen diejenigen zur Wehr zu setzen, die ihn womöglich abschaffen wollen.
Doch zunächst setzte sich Compact gegen den Staat zur Wehr, klagte gegen das Verbotsverfahren und gewann im Sommer im Eilverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die rechtsextreme Szene feierte den Teilerfolg bereits als Sieg. Dabei hat das Gericht entschieden: Das Magazin darf vorerst zwar weiter publizieren. Ein endgültiges Urteil wird aber erst nach der Hauptverhandlung im Juni erwartet – Ausgang ungewiss.
Welche Argumente kommenden Sommer vor Gericht abgewogen werden müssen, zeigen schon jetzt Verfahrensdokumente, die NDR und WDR vorliegen und einen tiefen Einblick in die Argumentation beider Parteien geben.
Behörden spähten Compact aus
Compact wird vom Verfassungsschutz seit Ende 2021 als gesichert rechtsextrem eingestuft und darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln abgehört werden, so betont es auf Anfrage auch das BMI. Um die Gefahr zu belegen, die von Compact ausgehen soll, hat das Ministerium auch Äußerungen aus abgehörten Telefonaten herangezogen. Sicherheitsbehörden ließen den Dokumenten zufolge die Mitglieder der Redaktion umfangreicher ausspähen als bislang bekannt.
Zu diesen abgehörten Redaktionsmitgliedern soll neben Jürgen Elsässer und seiner Frau auch ein Moderator von Compact-TV zählen. Paul Klemm, steht auch dem identitären “Filmkunstkollektiv” nahe, einem immer wichtigeren Bildmedium der Szene mit eigenen Social Media-Kanälen. Klemm bestätigt, dass ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz über die Abhörmaßnahmen informiert habe, jedoch nicht über deren Inhalte.
Mehr als ein Dutzend Gespräche abgehört
Die Compact-Anwälte argumentieren, die abgehörten Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen. Mehr als ein Dutzend relevanter Gespräche hat das BMI zumindest nach Aktenlage abgehört. Auf Anfrage wollte sich das Ministerium nicht zu den konkreten Abhörmaßnahmen äußern.
Die Inhalte der Gespräche geben Einblicke in das Innenleben des Verlages. Da ist zum Beispiel die Ehefrau und Geschäftspartnerin von Chefredakteur Elsässer, Stephanie. In einem Gespräch im Sommer 2023 mit einer weiteren Person soll sie ihr “völkisch-rassistisches Weltbild” offenbart haben, so sieht es das BMI.
In dem Gespräch soll es um eine angebliche, genetisch begründete Überlegenheit der weißen Rasse gegangen sein. Demnach sei deren Intelligenzquotient durch die Zuwanderung “runter gegangen”, so soll es Stephanie Elsässer gesagt haben. Sie und Jürgen Elsässer ließen eine Anfrage unbeantwortet.
In einem weiteren abgehörten Gespräch, in dem es um einen Systemsturz gegangen sein soll, habe sie ihrem Gesprächspartner erzählt, dass es immer mehr Gleichgesinnte gebe und “dass das geheime Deutschland wachse”. In einem anderen Gespräch soll Stephanie Elsässer davon reden, dass man irgendwann “die Revolution hinbekommen werde”.
“Revolution” oder “Systemsturz” als Schlüsselworte?
Stolz sind die Compact-Macher offenbar auch auf ihre hohen Klickzahlen bei Compact-TV auf Youtube und Tiktok. Sie verleihen der gesamten Welt von Compact eine hohe Schlagkraft. Man brauche immer mehr Menschen, “die aufwachen” und sich zu Compact bekennen würden, soll Stephanie Elsässer 2022 in einem mitgeschnittenen Gespräch gesagt haben.
Die Worte “Revolution” oder “Systemsturz” stellen aus Sicht des BMI Schlüsselworte dar. Sie sollen belegen, dass die Compact-Macher das demokratische System abschaffen wollen. Die Compact-Vertreter sehen im Begriff “Systemsturz” hingegen einen legitimen politischen Wunsch nach einem Systemwechsel, der auch auf demokratischem Weg, etwa durch Wahlen, herbeigeführt werden könnte. Den Wunsch nach einem gewaltsamen Umsturz bestreiten sie.
Verein oder Verlag?
Der Rechtsstreit beschäftigt sich den Unterlagen zufolge auch mit der Frage, ob der Staat die Compact-Magazin-GmbH überhaupt verbieten kann. Eingetragen ist das Unternehmen im Handelsregister als GmbH und kann sich als Verlag zudem auf das Grundrecht der Pressefreiheit berufen.
Das BMI sieht jedoch in Compact nicht in erster Linie ein publizistisches Erzeugnis und einen Verlag, sondern einen sogenannten Personenzusammenhang, einen Verein: Viele Leute, die das Gedankengut teilen, unterstützen, gemeinsame politische Ziele verfolgen. Einen Verein kann der Staat verbieten. Deshalb schrieb der Verfassungsschutz auch auf, was Jürgen Elsässer über die etwa 40.000 Abonnenten mitteilte. Diese seien nicht nur Leser, sie seien wichtig für “unsere Revolution”.
Das BMI sieht darin einen Beleg für die aggressiv-kämpferische Haltung des Vereins gegen die Demokratie. Compact wehrt sich dagegen und beruft sich auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Das BMI hält dagegen: Die Presse- und Meinungsfreiheit biete keinen “Freibrief”.
Auf dieser Grundlage rechnet der Staat Compact auch die Aussage des Verlags-Hausmeisters zu. Dieser soll zu Chefredakteur Jürgen Elsässer gesagt haben, man müsse Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) mal “ein Auge ausschießen”. Hier monieren die Compact-Vertreter, dass der Redaktion die Äußerungen eines betriebsfremden Hausmeisters zugerechnet würden.
Compact verteidigt sich auch damit, dass es an den Inhalten des Magazins bisher keine Beanstandung gegeben habe. Tatsächlich hat sich der Presserat mit Compact befasst. Auf Anfrage des NDR-Magazins ZAPP teilte der Presserat mit, dass er Compact 2019 eine Missbilligung ausgesprochen habe, die zweitschärfste Sanktion, weil in einem Artikel journalistische Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Auch bei der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg ist Compact aufgefallen. Seit 2020 seien insgesamt sieben Beschwerden über das Magazin eingegangen. In drei Fällen wurden Hinweisschreiben verschickt.
Warum reicht Verbot einzelner Ausgaben nicht aus?
Laut BMI verbreitet Compact eine verfassungsfeindliche Grundhaltung. Dies gelte auch dann, wenn nicht jeder Artikel verfassungsfeindlich sei.
In dem Rechtsstreit ist offenbar eine weitere Frage zentral: Warum zieht der Staat nicht mildere Mittel dem Vereinsverbot vor, etwa ein Verbot mancher Ausgaben, wie auch die Anwälte des Verlages anmahnen? Compact kritisiert in den Schriftsätzen zudem, dass ein Totalverbot nicht verhältnismäßig gewesen sei.
Das BMI argumentiert, die Compact-Macher hätten sich bisher von milderen Mitteln, etwa einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz seit 2021, nicht mäßigen lassen. Genau in diesen beiden Punkten ist das Bundesverwaltungsgericht im Eilverfahren Compact gefolgt. Bis zu einer Hauptverhandlung darf das Magazin deshalb weitermachen.
Bislang keine Spuren zu russischen Geldgebern
Allerdings gingen die Ermittlungen gegen Compact weiter. Kistenweise hatten Ermittler Asservate mitgenommen. Deren Auswertung soll nach Recherchen von NDR und WDR fortgeschritten sein und ein gut finanziertes Unternehmen zeigen, ausgestattet mit reichlich Spendengeldern aus dem Unterstützerumfeld. Spuren zu russischen Geldgebern, über die in der Öffentlichkeit oft spekuliert wurde, hätten Ermittler bislang nicht gefunden, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Bis zum Beginn der Hauptverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Juni kann das Magazin sein rechtsradikales Gedankengut wie bisher publizieren – auch im laufenden Bundestagswahlkampf. Auf Anfrage teilte das BMI mit, dass es bei seiner Rechtsauffassung bleiben wolle.
Sollte Compact im Rechtsstreit letztlich unterliegen, könnte die rechtsextreme Szene zumindest den Weg bis zum Verbot als Erfolg verbuchen. Verliert hingegen der Staat, öffnet dies die Grenzen des medial Sagbaren weit nach Rechtsaußen.