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Prozess: Psychisch kranker Postbote attackiert Camper mit Messer – Dachau | ABC-Z

An den 23. November 2023 kann sich Tjarda A. noch genau erinnern. Dieser Tag sei für ihn wie ein „chaotischer Film“ gewesen. Er glaubte, eine „Stalker-Gruppe“ verfolge ihn und er meinte, Stimmen zu hören, die ihm sagten, man werde ihm „Zunge und Ohren abschneiden“. Heute weiß Tjarda A., dass er sich dies alles nur einbildete und an einer „schizoaffektiven Störung“ litt. In diesem psychischen Ausnahmezustand soll der 39-jährige Postbote versucht haben, einen anderen Mann auf einem Campingparkplatz in Sulzemoos zu ermorden.

Nach der mutmaßlichen Tat wurde Tjarda A. in einer hoch gesicherten Station im Isar-Amper-Klinikum in Haar einstweilig untergebracht. Laut Staatsanwaltschaft war der 39-Jährige, der sich seit Dienstag vor dem Landgericht München II verantworten muss, zum Zeitpunkt des Angriffs aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage „das Unrecht seiner Tat einzusehen“.

Es war gegen 1.30 Uhr an jenem 23. November 2023, als Tjarda A. mit seinem Wohnmobil auf den Campingparkplatz in Sulzemoos fuhr. Obwohl es genügend Stellplätze gab, rangierte er seinen Camper zwischen zwei bereits auf dem Platz stehende Fahrzeuge. Danach stieg er aus und zog das Stromkabel aus einer Ladesäule, das der 57-jährige Gerd R. (Name geändert), Fahrer eines der beiden anderen Wohnmobile, dort angebracht hatte. Als R. dies bemerkte, kam es zum Streit. Auch der Fahrer des anderen Campers kam dazu. Tjarda A. soll die beiden Männer geschubst und gesagt haben, er brauche Licht. Erst als eine alarmierte Streife der Polizei einschritt, beruhigte sich die Situation. Es war aber nur vorübergehend.

„Der hat ein Messer“, habe er geschrien

Um 5 Uhr eskalierte die Situation. Laut den Ermittlungen war Tjarda A. wieder aus seinem Wohnmobil ausgestiegen, hatte an die Türe des Campers von Gerd R. geklopft und sich erneut an dessen kostenpflichtigen Stromanschluss zu schaffen gemacht. Da der 57-Jährige die Türe seines Wohnmobils nicht öffnete, stellte Tjarda A. eine große Mülltonne an den Wagen. Gerd R. fürchtete, dass der 39-Jährige auf die Tonne steigen und über das Oberlicht auf dem Dach seines Campers in das Fahrzeug eindringen würde. Gerd R. redete auf Tjarda A. ein und brachte ihn dazu, die Tonne wieder an ihren ursprünglichen Platz zu stellen. Es schien, als habe sich die Situation beruhigt. Gerd R. begleitete den 39-Jährigen zurück zu dessen Wohnmobil und ging voraus. Tjarda A. ihm hinterher.

Er habe den 39-Jährigen immer beobachtet, sagt Gerd R. bei seiner Vernehmung vor Gericht. Auf einmal habe er bemerkt, berichtet er dem Vorsitzenden Richter Thomas Bott, dass Tjarda A. ihn anspringt. In diesem Moment, so der 57-Jährige, habe er geschrien: „Der hat ein Messer.“ Es handelte sich um ein Küchenmesser mit einer elf Zentimeter langen wellenförmigen Schneide. Tjarda A. fuhr Gerd R. mit der Klinge quer über das Gesicht und fügte ihm weitere schwere Schnitt- und Stichverletzungen am Kopf zu. Er habe „nicht viel Erinnerung“ an diesen Augenblick, sagt Gerd R. im Gerichtssaal. Trotz der stark blutenden Verletzungen gelang es dem 57-Jährigen, Tjarda A. zu Boden zu ringen und sich auf ihn zu legen. Drei weitere Wohnmobilfahrer und Gerd R.s Frau, die herbeigeeilt waren, leisteten ihm Hilfe.

Er wolle alles tun, dass es „nie wieder zu so einem Vorfall kommt“

Tjarda A. räumte die Messerattacke in einer Erklärung ein, die sein Verteidiger Andreas Remiger zu Beginn der Verhandlung verlas. Im Isar-Amper-Klinikum habe er sich mit der Tat auseinandergesetzt und wolle alles tun, dass es „nie wieder zu so einem Vorfall kommt.“

Dass er psychisch krank ist, weiß Tjarda A. seit Ende seiner Schulzeit. Es begann damit, dass er sich einbildete, Menschen, die sich in seiner Nähe unterhielten, würden abschätzig über ihn sprechen. Außerdem, so der 39-Jährige, habe er das Gefühl gehabt, beobachtet und verfolgt zu werden. 2006 sei bei ihm eine „schizoaffektive Störung“ diagnostiziert worden. Er habe zwar alle Medikamente genommen, versichert A. in seiner Erklärung, doch sei er mit der Medikation nie zufrieden gewesen. Anfang 2020 habe er im Internet gelesen, dass es „besser“ sei weniger Medikamente zu nehmen. Er habe den Vorschlag aufgegriffen und die Medikation reduziert, obwohl sein Arzt, der Bescheid wusste, Bedenken gehabt habe. Seit Februar 2023 nahm der 39-Jährige dann gar keine Medikamente mehr und begann eine Psychotherapie.

Der Therapeut habe ihm erklärt, er sei „kein Psychotiker“ und ihn in seiner Entscheidung bestärkt, dass die Absetzung der Medikation richtig gewesen sei. Den Rat seiner Eltern sich wieder von einem Arzt helfen zu lassen, weil sie bemerkten, dass sich sein Zustand wieder verschlechterte, schlug Tjarda A. aus. Als sie ihn anriefen, so der 39-Jährige, habe er geglaubt, „Dämonen“ würden mit ihm sprechen. Mit einem Urteil im Prozess wird Ende Januar gerechnet.

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