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Warum ist der Landkreis Starnberg so mürbe? – Starnberg | ABC-Z

Geahnt hat man es hier irgendwie schon immer, aber dass es dann doch so messbar ist? Klar, da ist die Kollegin, die selbst in den kürzesten Mittagspausen noch Zeit findet zum Joggen. Zum Abnehmen, wie sie sagt, und doch schon Normalgewicht hat. Und da ist der Spezl, der Hendl noch und nöcher verspeist, aber trotzdem schlank bleibt. Und die nette alte Dame von nebenan, die jede Woche Seniorensport macht und auch dementsprechend fit ist.

Fakt ist: Im Landkreis Starnberg leben verglichen mit dem Rest des Landes wenige adipöse und ebenfalls wenige schwer adipöse Menschen. Vergangenes Frühjahr veröffentlichte das Forschungsinstitut der Barmer Krankenkasse eine Mitteilung, laut der im Landkreis sogar bayernweit die wenigsten schwer adipösen Menschen leben.

Die Erhebung fußt auf den Routinedaten der Krankenkasse aus dem Jahr 2021. Wahnsinnig viel dürfte sich seither nicht verändert habe, wobei zur Wahrheit gehört, dass die Datenlage bei Adipositas in Deutschland allgemein eher schlecht ist, weil Menschen sich immer als leichter und größer einschätzen, als sie es wirklich sind. Schwer adipös, damit meint die Barmer Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 35. Als adipös gilt man bereits einem BMI von 30. Das Maß steht zwar zunehmend in der Kritik, hält aber nach wie vor für die Beurteilung von Übergewicht und Adipositas her.

Nach höchster Kaufkraft und höchster Cabrio-Dichte also noch ein Rekord für das Fünfseenland? Der Landkreis Starnberg, Wohnort nicht nur der Reichen, sondern auch der Schlanken?

Auf den ersten Blick ist die Antwort klar: ja. Etwaige Medien machten aus Starnberg auch prompt den dünnsten Landkreis Bayerns, obwohl eigentlich die Rate besonders schwerer Adipositasfälle gemessen wurde. Für das Fünfseenland und seine Bewohner ist das erst einmal gut: Adipositas gilt nämlich als eigenständige chronische Krankheit, ist aber gleichzeitig Risikofaktor für Folgekrankheiten wie Bluthochdruck.

Doch das Bild ist nicht ganz so eindeutig, wie es scheint – und vor allem die vermeintliche Spitzenreiterposition ist es nicht. Je nachdem, welchen Wert man sich anschaut, ob Übergewicht, Adipositas oder schwere Adipositas, verschiebt sich da etwas. Starnberg ist vielleicht nicht immer Spitzenreiter, aber doch gut dabei. Zusammen mit anderen südbayerischen Landkreisen wie Miesbach, Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau und München-Land sowie der kreisfreien Landeshauptstadt. Regionen in Nordbayern, die Stadt Schweinfurt zum Beispiel, schneiden verglichen mit dem Großraum München weitaus schlechter ab.

Warum? Ein Mediziner aus Franken, der zeitweise in Oberbayern tätig war und namenlos bleiben will, weil er die Befürchtung hat, seinen fränkischen Patienten mit der Aussage auf den Schlips zu treten, sagt knapp: „Weil schöne Natur zu mehr Outdoor-Aktivitäten verleitet.“ Und: „Das hohe Lohnniveau, der hohe Bildungsgrad tragen auf jeden Fall dazu bei – und vielleicht auch der noch mal stärkere soziale Druck, gut auszusehen.“

Hans Hauner ist Ernährungsmediziner und langjähriger Leiter des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München. (Foto: Marco Einfeldt)

Hans Hauner formuliert es ähnlich, er ist langjähriger Leiter des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München (TUM) und des Instituts für Ernährungsmedizin am Klinikum rechts der Isar. Der Mediziner sagt: „Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Ernährungsweise und dem sozioökonomischen Status“, also formelle Bildung, Einkommen und eine Reihe anderer Faktoren. Wer besser gebildet ist und über ausreichend Geld verfügt, der ernähre sich auch besser und mache mehr Sport, sagt Hauner. Umgekehrt gelte: Der Fleisch- und Junk-Food-Konsum ist bei Menschen mit formell geringer Bildung tendenziell höher.

Diese verschiedenen Verhaltensweisen sind es auch, die regionale Unterschiede erklären können. Das Münchner Umland, insbesondere der Landkreis Starnberg, ist überdurchschnittlich wohlhabend und seine Bewohner sind gut gebildet. Das mache sich auch am Bauchumfang bemerkbar, sagt Hauner. Der Norden des Freistaats ist weitaus weniger wohlhabend, mit den entsprechenden Folgen.

Das Muster – im Norden eher mehr Adipositas-Fälle, im Süden eher weniger – lasse sich aus dem gleichen Grund auch im Bund beobachten, wenn man die Stadtstaaten mit ihrer tendenziell hochgebildeten Bevölkerung ausnehme, sagt Hauner. „Die höchsten Adipositas-Raten sieht man in den neuen Bundesländern, die wirtschaftlich nicht so gut da stehen.“ Im Süden seien die Baden-Württemberger noch ein wenig besser dran als die Bayern, was womöglich an dem größeren Stadt-Land-Gefälle in Bayern liege – und vielleicht an der traditionell deftigeren bayerischen Küche.

Menschen, bei denen das Hemd bedenklich spannt, wie bei diesem Herrn auf dem Bild, gibt es im Landkreis Starnberg vergleichsweise wenige. (Foto: Science Photo Library/imago/Science Photo Library)
Ein eher kärgliches Mahl symbolisiert diese Karotte auf einem Teller. Generell achten die Menschen im Landkreis Starnberg mehr als in anderen Regionen auf ihre Ernährung. (Foto: Axel Killian/mauritius images)

Starnberg ist also tendenziell dünn, weil die Menschen hier wohlhabend sind? Vermutlich, aber nicht nur. Denn zwei weitere Punkte seien wichtig, sagt Hauner. Das Alter – und das Geschlecht. Und der Landkreis profitiert davon: weil er vergleichsweise jung ist. Und weil er einen verglichen mit anderen Landkreisen relativ großen Frauenüberschuss hat.

Dass ältere Menschen praktisch bis zum 70. Lebensjahr zur Gewichtszunahme neigen, sei „altbekannt“. Im Alter arbeite man tendenziell weniger hart, bewege sich nicht mehr so viel – vor allem aber verschwinde die Muskelmasse. Diese Muskelmasse wiederum mache einen Großteil des menschlichen Energieverbrauchs aus. Doch das ist nicht alles: „Die Gewichtszunahme im Alter hat sicher auch psychologische Gründe“, sagt Hauner. „Viele denken sich irgendwann: ‚Jetzt gehöre ich zu den alten Menschen, so genau schaut mich keiner mehr an.‘“

Und während weltweit mehr Frauen übergewichtig sind als Männer, ist es in Deutschland eher andersherum. Auch das, sagt der Mediziner, habe keine streng medizinische, sondern vermutlich eine soziologische Erklärung. Frauen seien allgemein etwas gesundheitsbewusster – und bei ihnen sei der gesellschaftliche Druck größer, gut, also schlank, auszusehen. Das muss man nicht gutheißen, aber dass es so ist, steht sicher außer Frage.

Mediziner Hauner spricht von „starken genetischen Einflüssen“

Nun liegt Übergewicht und Adipositas – daran wird fortwährend geforscht – nicht nur an den Bedingungen, sondern auch am Menschen selbst. „Es gibt starke genetische Einflüsse“, sagt Hauner, die Frage, ob man Adipositas habe oder nicht, sei wahrscheinlich zu mehr als 50 Prozent von ihr abhängig. „Die Gene allein machen es aber nicht, sondern es braucht dann auch die Umwelteinflüsse, also praktisch die Gelegenheit, dass diese Gene sich auswirken.“ Gemeint sind damit etwa die Allgegenwärtigkeit von zuckerhaltigen Getränken und hochverarbeiteten Lebensmitteln oder aber Fast-Food-Werbung für Kinder, „Überflussgesellschaft halt“, sagt Hauner.

Mit Blick auf die Zukunft am vielleicht beunruhigendsten ist vielleicht die Tatsache, dass die Menschen in Deutschland, in Bayern tendenziell immer früher in ihrem Leben adipös werden. Im Jugendalter etwa, oder als junger Erwachsener. „Das hat natürlich auch mit den modernen Lebensgewohnheiten zu tun“, sagt Hauner. Was tun? Mehr frisch und mehr selbst kochen, natürlich. Aber – und das sagt nicht nur der Mediziner, sondern auch der jüngste Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums – der Trend geht eher zu mehr Ready-Made-Snacks.

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