Musik voller Liebe: Herbert Blomstedt dirigiert | ABC-Z

Manche alten Dirigenten werden wegen ihrer Strenge und scharfen Wort gefürchtet – wie früher der Misanthrop Karl Böhm. Oder auch Günter Wand. Andere wiederum werden geliebt: wie der 97-jährige Herbert Blomstedt. Jeder Mitwirkende in den Konzerten des ältesten aktiven Dirigenten gibt sein Bestes: um seine Freundlichkeit zu erwidern und ihm einen Gefallen zu tun. Und weil jedes Konzert womöglich das letzte sein könnte.
„}“>
Blomstedt wirkt beim Betreten des Saals sehr gebrechlich. Er hakte sich bei einem Cellisten ein, um seinen Platz auf einem Klavierhocker vor dem Chor und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks einzunehmen.
Minimale Gestik, maximale Wirkung
Dort angelangt, macht er nicht viel: Mit dem Zeigefinger der einen Hand gibt er das Tempo vor und setzt hin und wieder Akzente. Mit der anderen Hand blättert er die Partitur um. Dieser Minimalismus reicht aber aus, um maximal überzeugende Deutungen von Igor Strawinskys „Psalmensinfonie“ und Felix Mendelssohn Bartholdys „Lobgesang“ zu erzielen. Beides sind keineswegs Selbstläufer, die ohne interpretierenden Zugriff funktionieren.
In der „Psalmensinfonie“ betonte Blomstedt das Archaische – etwa in der antike Aulodie beschwörenden Bläserfuge am Beginn des zweiten Satzes. Die ungewöhnliche Orchesterbesetzung mit tiefen Streichern, Bläsern, Klavieren und großer Trommel verleiht dem Werk eine gezähmt edle Wildheit. Und genau die kam zum Tragen, unforciert und zugleich auch nicht romantisch gemäßigt. Nur der von Martin Wright einstudierte Chor des Bayerischen Rundfunks wirkte leicht schrill, sehr oberstimmenbetont und bei weitem nicht so homogen wie sonst.
Die Musik für sich selbst sprechen lassen
Mendelssohns Zweite erinnert in der Abfolge aus instrumentalen Sätzen und einer zweiten Kantaten-Hälfte allzu sehr an Beethovens Neunte. Nur ist deren menschheitsumarmende Gewalt auf einen milden Biedermeier-Protestantismus heruntergeregelt. Hier half Blomstedts Gelassenheit, die Musik für sich selbst sprechen zu lassen und ihr nicht mehr abzuverlangen, als in ihr steckt. Und das trotzdem ist eine ganze Menge.

© Severin Vogl/BR
von Severin Vogl/BR
„}“>
Es war richtig aufregend, wie der Choral im Blech die selten schön ausgehörte Melancholie des Scherzos ermahnte, nicht in Trauer zu verfallen. Das Adagio wurde nie tranig, die Solisten Nikola Hillebrand, Marie Henriette Reinhold und Tilman Lichdi passten nicht nur gut zusammen, sondern sangen auch schlicht und ohne jede forcierte Opernhaftigkeit. Das Orchester folgte Blomstedts Einladung zu maximaler Transparenz mit ungewöhnlicher Begeisterung.
Und so glänzte das Milde, das bei diesem redseligen Stück leicht Spötter auf dem Plan ruft, in voller Pracht: Man sollte beim „Lobgesang“ nichts angestrengt beweisen wollen. Entscheidend ist die Liebe zu dieser Musik, und die rührte an diesem Abend in ungewöhnlicher Kraft.
Karten für das ausgefallene zweite Konzert werden dort erstattet, wo sie gekauft wurden. Infos bei BRticket unter Telefon 5900-10880