Wie Sam Darnold bei den Minnesota Vikings zum Pro-Bowler wurde | ABC-Z
Für Sam Darnold war die Zeit in der National Football League (NFL) eigentlich vorbei. Ausgemustert bei den New York Jets, ausgemustert bei den Carolina Panthers, bei den San Francisco 49ers war er nicht mehr als ein Ergänzungsspieler. Eine andere Rolle als diese trauten ihm viele auch bei den Minnesota Vikings nicht zu, wo er zuletzt einen Einjahresvertrag unterschrieb. Ein Mann aber sah das anders: Cheftrainer Kevin O’Connell, der an das Talent Darnolds glaubte und sagte: Zeig es uns! Darnold, 27 Jahre alt und in seiner siebten NFL-Saison, zeigte es ihnen – und allen anderen. Und die, die an ihm gezweifelt hatten, wollten ihren Augen kaum trauen.
Darnold und die Vikings haben eine sensationelle Saison gespielt, gewannen 14 von 17 Spielen; das ist zuvor noch nie einem Quarterback in seiner ersten Saison mit einem neuen Team gelungen. Zwischenzeitlich siegte Minnesota neunmal nacheinander, so oft wie seit 1975 nicht mehr. An diesem Wochenende beginnen die Play-offs der besten Football-Liga der Welt. Die Vikings treffen in der Nacht zu Dienstag (2.00 Uhr MEZ/RTL/DAZN) auf die Los Angeles Rams, Minnesota ist klarer Favorit. Sogar der ganz große Triumph, der Sieg im Super Bowl Anfang Februar in New Orleans, ist greifbar.
Und dann sah Darnold „Gespenster“
Für Darnold wird es der erste Auftritt überhaupt in den Play-offs sein. Bislang war seine Karriere vor allem von Tiefschlägen geprägt. Sehr früh an dritter Position in der Draft gezogen, verbanden die New York Jets hohe Erwartungen mit dem einstigen College-Überflieger. Der aber enttäuschte beinahe seine gesamte Profikarriere lang, machte Fehler um Fehler, dazu warfen ihn Verletzungen immer wieder zurück. Trauriger Tiefpunkt 2019: Bei einer peinlichen 0:33-Niederlage seiner Mannschaft warf er vier Interceptions und verlor dazu noch selbst einmal den Ball. Häme sogar unter den eigenen Fans machte sich breit, auch weil Darnold – das fingen Mikrofone ein – während der Partie sagte, er sehe „Gespenster“ auf dem Rasen, womit gemeint war, dass er den Überblick verliere und damit genau das, was ein Quarterback in der NFL unter jeden Umständen behalten sollte.
Darnold, das wurde in diesen frühen Karrierejahren deutlich, war den hohen Anforderungen der NFL nicht gewachsen. Noch nicht. Nun, nach einem spektakulären Sieg über die Green Bay Packers Ende Dezember, bildeten seine Mitspieler ein Spalier für ihn und trugen ihn auf Händen durch die Kabine. „Die absolut echte Freude in seinem Gesicht zu sehen, nachdem er so hart gearbeitet hat, das war wundervoll. Ich habe jeden Augenblick daran geliebt“, sagte sein Trainer O’Connell dazu. Und Darnold? „Es war das reinste Chaos. Ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte. Ich glaube, ich hatte ein kurzes Blackout. Es war ein Moment, der sehr viel Spaß gemacht hat. Etwas Besonderes.“
Ob man als Quarterback in der NFL funktioniert, hängt viel vom System ab, das das eigene Team spielt, von den Trainern im Offensivbereich: Welche Würfe werden vom Spielmacher vor allem gefordert? Welchen Teil des Spielfeldes soll er attackieren und auf welche Weise? Gibt es die passenden Mitspieler, Receiver, Tight Ends, Runningbacks, die dieses System gemeinsam mit dem Quarterback so umsetzen können?
Manche Trainer bauen dabei auf die Stärken ihres Spielmachers: Ist er selbst laufstark? (Darnold ist das eher nicht.) Hat er einen besonders präzisen oder kräftigen Wurfarm? (Darnold hat das eher nicht.) Kann er schnell Entscheidungen treffen, den Ball schnell loswerden? (Darnold kann das gut.) Andere Trainer aber sind von ihrer Spielidee derart überzeugt, dass sie von ihrem Quarterback Anpassungen einfordern, ihn ihrem System untertan machen wollen. In New York und zu Teilen auch bei den Panthers hat sich gezeigt, dass das mit Darnold nicht funktioniert.
„Das beeindruckt mich am meisten“
Der in dieser Saison in Minnesota für die Quarterbacks zuständige Positionstrainer ist Josh McCown. 2018 spielte er gemeinsam mit Darnold bei den Jets, war dort so etwas wie dessen Mentor. Schon damals sagte er, er wolle alles daransetzen, Darnold „innerhalb von fünf Jahren“ zum Allstar der Liga zu machen. Nun, mehr als sechs Jahre später, wurde Darnold tatsächlich in den „Pro Bowl“ berufen.
Vom ersten Tag bei den Vikings an habe er bei Darnold einen „zielgerichteten Fokus“ gespürt, „um der Beste zu sein, der er sein kann, in jedem Moment“, sagt McCown. „Mich beeindruckt am meisten, dass er jede Aufgabe, die vor ihm liegt, mit absoluter Konzentration und absolutem Willen angeht.“ Ob es Besprechungen seien, Trainingseinheiten im Kraftraum oder das Einstudieren des Gameplans für die Spiele, Darnold mache sich ständig Notizen, frage viel und oft, „er dreht wirklich jeden Stein um, um, so gut es geht, vorbereitet zu sein“.
McCown und O’Connell, beide einst selbst NFL-Quarterbacks, lassen Darnold in Minnesota keine freie Hand, sie haben schon eine klare Idee, wie die Vikings unter ihrer Verantwortung spielen sollen. Aber sie geben ihrem Spielmacher den nötigen Raum, muten ihm nur selten Dinge zu, die ihm wirklich schwerfallen. Das scheint Darnold, der sich mittlerweile eher als Game Manager mit schnellen, kurzen Pässen und über die Mitteldistanzen sicher fühlt, zu beflügeln. Und Darnold scheint deutlich gereift zu sein. Er spielt risikominimierter und fokussierter, trieb sein Team so zuletzt schier unaufhaltsam vorwärts. In puncto Raumgewinn zählte er in dieser Saison zu den Top Fünf der Liga.
„Sam Darnold ist aktuell einer der besten Quarterbacks in diesem Sport. Vielleicht haben das Leute außerhalb unseres Teams nicht erwartet, aber uns war das vom ersten Tag an klar, als wir ihn trainieren haben sehen“, sagt Mitspieler T. J. Hockenson, der neben Star-Receiver Justin Jefferson eine der wichtigsten Anspielstationen für Darnold ist. „Es ist der Wahnsinn, ihm dabei zuzusehen, wie er auf dem Feld einfach sein Ding macht.“
Das kommt an in Minnesota
Den größten Fortschritt, findet sein Cheftrainer O’Connell, habe Darnold beim Umgang mit Fehlern gemacht. Die macht er nämlich auch in Minnesota noch: Seine Beinarbeit ist ausbaufähig, nicht immer entscheidet er sich für die richtige Passroute, nicht immer stimmt die Präzision – zwölf seiner Würfe wurden in dieser Saison abgefangen, nur drei andere Quarterbacks warfen mehr Interceptions. Aber Darnold sei nach den Spielen immer der Erste, der diese Fehler anspreche und nach Lösungen suche. „Er coacht sich in diesen Meetings im Grunde genommen selbst“, sagt O’Connell. „Ich habe während dieser Saison zu meinen Kollegen gesagt: Leute, ich glaube dieser Typ wird hier genau vor unseren Augen zum Leben erweckt, weil er versteht, welche Verantwortung er trägt und wie er besser werden kann.“
Das kommt an in Minnesota, wo die Menschen in den vergangenen Jahren eher mittelklassigen Football zu sehen bekamen und die Hoffnungen auf einen ersten Super-Bowl-Sieg der Franchise-Geschichte riesig sind. 48 Jahre ist es her, dass die Vikings zuletzt im modernen NFL-Endspiel standen, triumphiert haben sie noch nie. Zu sehen, was dieser derzeitige Erfolg mit den Fans mache, welche Freude er auslöse, sei, sagt Darnold, „unglaublich“. Es fühle sich „wirklich sehr gut an, wie die Dinge derzeit laufen“.
Und wenn man ihn und seine Trainer nun also sieht und hört, wie sie mit breitem Grinsen über die zurückliegende Saison reden und was ihnen noch viel wichtiger zu sein scheint: ihre Entwicklung, dann stellt sich insbesondere ein Gefühl ein, das auch eine Niederlage in den Play-offs kaum verdrängen könnte. Nämlich das Gefühl, dass die Zeit von Sam Darnold in der NFL, so lange er so spielt wie in dieser Saison, alles andere als vorbei ist.
Play-off-Spiel in NFL wegen Bränden in Los Angeles verlegt
Wegen der verheerenden Brände in Los Angeles findet das Play-off-Spiel der Rams gegen die Minnesota Vikings in Arizona statt. Die Entscheidung, die für Montagabend (Ortszeit) geplante Partie der Wildcard-Runde zu verlegen, gab die NFL am Donnerstag nach Ausbruch eines weiteren Feuers in der US-Metropole bekannt. Das Spiel zwischen den Los Angeles Rams und den Vikings findet nun im State Farm Stadium statt, der Heimspielstätte der Arizona Cardinals und dem Austragungsort des Super Bowls vor zwei Jahren. Die NFL begründete den Schritt mit der Sorge um die Luftqualität in Los Angeles und der ohnehin schon großen Belastung für Polizei und Feuerwehr.
Die Brände hatten bereits Auswirkungen auf den Spielplan in der NBA und der NHL. Das für den Freitagmorgen deutscher Zeit geplante Heimspiel der Lakers gegen die Charlotte Hornets wurde verschoben, auch das Heimspiel der Los Angeles Kings gegen die Calgary Flames findet nicht wie geplant in der Halle in Downtown Los Angeles statt. (dpa)