Stil

Wie der Style richtig geht | ABC-Z

Ein gelbes Taftkleid mit riesiger Propellerschleife? Ein schwarzes Charleston-Dress mit schrägem Fransensaum? Eine Palazzohose aus Seide? Ob zur Silvesterparty oder zu anderen Empfängen zur Winterzeit, häufig steht auf der Einladung „Cocktail“ als Dresscode. Das Problem ist nur: Wenige wissen, was damit genau gemeint ist. Denn die Cocktailmode geht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, als man sich in der Zeit zwischen Tee und Abendessen auf Cocktails traf. Als man sich für die Gesellschaft von Martini, Mimosa und Gin Tonic richtig anklunkerte und aufbrezelte.

Heute sind Cocktailkleider zu festlichen Abendessen, Galerie-Happenings oder Bar-Abenden gefragt. Aber nicht selten trifft man dort Gäste, die den Damen-Dresscode als Tweedjacke mit Schal oder als Jeans mit weißer Bluse interpretieren. Wie geht das also richtig, mit dem Cocktail-Style? Was anziehen?

„Das Motto ist: Wage etwas, aber gehe nicht zu weit!“, sagt Adrian Runhof vom Münchner Label Talbot Runhof. „Mach ein Statement, aber kenne deine Grenzen! Nicht alles zeigen, was Küche und Keller zu bieten haben. Beim Dresscode ‚Cocktailmode‘ haben wir es wie bei Bällen mit einem konservativen Gesellschaftsspiel zu tun, und deshalb brauchen wir auch eine konservative Vorstellung, wie man sich kleidet“, sagt der Designer.

„Wir leben eben nicht mehr in den Fünfzigern“

Adrian Runhof erinnert an die ikonischen Bilder aus der Adenauer-Zeit, in der Frauen Cocktailkleider mit passenden Mänteln kauften und Sekt aus Schalen schlürften. „Aber wir leben eben nicht mehr in den Fünfzigerjahren, und auch nicht unter John und Jackie Kennedy, sondern in Zeiten von Instagram“, sagt er. Heute stehe schon der Akt des Anziehens eines Cocktailkleids für sich und wird häufig auf Social Media dokumentiert.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Nur: Was bedeutet Cocktailmode dann heute für Leute, die sich damit auch analog zeigen wollen? „Cocktailmode kann man in modischer Hinsicht als eine gute Nachricht, gesellschaftskritisch aber vielleicht als nicht so gute Nachricht interpretieren“, sagt Runhof und erinnert etwa an das Frauenbild, das im Umfeld Donald Trumps herrscht. „Die republikanischen Frauen sehen neben den ungeschliffenen Raubeinen toll aus, aber hier erscheint schon ein patriarchalisches Frauenbild“, gibt er zu bedenken. „Solange es das Patriarchat gibt, so lange gibt es Cocktails, könnte man sagen. Der Mann kommt aus der Schlacht in Dienstuniform nach Hause, und die Frau wartet nach Friseur, Mani, Pedi und in einem Cocktaildress mit entsprechender Lingerie auf ihn.“

Das bedeute nicht, dass Frauen sich nicht guten Gewissens schön machen könnten. Die Marke Talbot Runhof ist seit Langem Spezialist für glamouröse Kleider, inspiriert von der Welt der Silverstream-Filme, dem Hollywood der Vierziger- und Fünfzigerjahre, in der die meisten Stars weiß und blond und eine Verfügungsmasse der Männer waren. „Es liegt immer an der Einstellung, wie man Cocktailkleider trägt“, sagt Adrian Runhof. So ist ein Bestseller in der aktuellen Kollektion ein Samthosenanzug, der feminin und maskulin zugleich wirkt und mit ausgefallener Schulterpartie und Taille versehen ist.

Ein Samtanzug lässt sich den ganzen Tag über tragen

Die Entschuldigung „Sorry, ich konnte kein Cocktaildress anziehen, denn ich komme gerade dem Büro raus“ gelte bei einer solchen Lösung nicht mehr. Denn: „Einen Samtanzug kann man auch schon zuvor im Job tragen“, sagt der Designer. „Man kann darin mit Rollen spielen, indem man unter einem solchen Anzug einen Body anzieht oder die Jacke auf den Schultern trägt“, sagt Adrian Runhof und erinnert daran, dass Elke Büdenbender, die Frau des Bundespräsidenten, zum Staatsempfang von Emmanuel Macron etwa ein Tuxedokleid trug.

Eine andere zeitgemäße Lösung ist für Runhof der Jumpsuit für den Abend, in dem er aktuell zehn bis 20 Prozent der Frauen bei eleganten Veranstaltungen sieht. „Viele unserer Kundinnen kleiden sich tagsüber überwiegend in Hosen und sind das Tragegefühl enger Kleider nicht unbedingt gewohnt“, sagt er. Sein Unternehmen bietet daher für den Dresscode „Cocktail“ Jumpsuits aus mattem Cady-Crepestoff mit weiten Beinen, die mit Drapees den Körper modellieren und sowohl mit hohen als auch flachen Schuhen kombinierbar sind. „Jumpsuits kann man dann tagsüber auch mit Sneakers tragen – aber bitte nicht zum Cocktail!“, sagt Runhof.

Und die Farbe? „Schwarz geht immer, Marineblau ist die Königsklasse, denn dieser souveränen Farbe haftet immer etwas von Kapitän oder Industriekapitän an.“ Auch Lila oder Dunkelgrün sind Klassiker. Zu dem schlichten Stoff passen auffällige Ohrringe und Ketten, deren Länge unbedingt auf die Form des Dekolletés abgestimmt werden sollte. „Aufpassen, dass die Kette nicht halb auf der Haut und halb auf dem Stoff liegt!“, warnt Talbot. „Da darf man sich an den Amerikanerinnen orientieren, die sich mit der Klaviatur von Dekolleté und Schmuck besonders gut auskennen und entweder einen Choker auf der Haut oder eine lange Kette tragen.“

„Nicht alles zeigen, was Küche und Keller zu bieten haben“: Kleid von Talbot Runhof.
„Nicht alles zeigen, was Küche und Keller zu bieten haben“: Kleid von Talbot Runhof.Unternehmen

Eine Alternative zu Jumpsuits oder kurzen Cocktailkleidern sind sogenannte separates, also Röcke aus edlen Stoffen, leicht ausgestellt oder sogar in kleiner Ballonform – mit modulierbaren Oberteilen. „Tweedröcke, die mit Pailletten bestickt sind, kann man mit einem Samtoberteil als Cocktailkleid tragen oder mit Pullover, Stiefeln und Strümpfen als Tageslook“, sagt Adrian Runhof.

Auch Tiffany Hsu, Chefeinkäuferin beim Luxusonlinehändler Mythe­resa sieht die aktuelle Cocktailmode als unangestrengt schick und sexy, aber nicht „too over the top“. Federn und Glitzersteine können trotzdem vorkommen. Die Kundinnen des Onlinehändlers investieren gerne in besondere Stücke, wie zum Beispiel in die Kleider von Patou mit voluminösen Schnitten und übergroßen Schleifen. In Victoria Beckhams Cocktail-Kollektion stecken zudem Hingucker wie eine leuchtend grüne Robe mit einem tiefen Rückendekolleté und ein Kleid mit asymmetrischem Drapee in der Farbe Pflaume. Dazu würde Tiffany Hsu Satinpumps und Strass-Clutches in Dunkelrot und Gold von Christian Louboutin kombinieren.

In Amerika in den Zwanzigerjahren beliebt

Und der Schmuck? Schließlich ist das Wort „Cocktailring“ die Bezeichnung für großformatige, bunte Klunker geworden, die Damen an der Hand tragen. Katrin Stoll vom Auktionshaus Neumeister in München hat im Dezember gerade wieder in einer Versteigerung Vintage-Schmuck angeboten, bei der Cocktailringe und markante Schmuckstücke eine wichtige Rolle spielten. „Im Amerika der Prohibitionszeit der Zwanzigerjahre und der Nachkriegsära waren diese großen, einen Tick schamlosen und auffälligen Stücke sehr beliebt, und ich sehe sie auch als Ausdruck eines starken Selbstbewusstseins der Frauen, die dort in die Arbeitswelt eintraten“, sagt Katrin Stoll, die selbst gerne Vintage-Schmuck trägt.

Sie erinnert daran, dass während der Prohibition auf illegalen Partys der Mittel- und Oberschicht Cocktails serviert wurden, weil der vorhandene Alkohol von so niedriger Qualität war, dass man ihn als Mischung trinkbar machen musste. „Cocktailringe aus dieser Zeit waren meist nicht mit Edelsteinen wie Smaragden oder Rubinen besetzt, sondern mit farbigen Halbedelsteinen und kleineren Diamanten“, erklärt Katrin Stoll. „Diese Ringe drücken auch heute noch Selbstbewusstsein aus, besitzen aber zugleich eine feminine Sprengkraft.“

Auch das ist ein Element der Cocktailmode: Ring mit großem Stein (über Neumeister)
Auch das ist ein Element der Cocktailmode: Ring mit großem Stein (über Neumeister)Kosta Potezica

Die Expertin sieht bei Vintage-Schmuck viel Potential. „Man findet viele gute, dekorative Teile, die nicht die Welt kosten, aber auch ihren Wert nicht verlieren“, sagt die Neumeister-Chefin. Bei solchen Stücken gehe es in erster Linie nicht um eine Geldanlage, sondern um das Schmücken einer Frau. So wie etwa das in ihrem Haus angebotene Armband mit 14 Anhängern mit Korallen und Diamanten von Marietta Sailer-Schiestl aus den frühen Nullerjahren, das den Blick automatisch auf die Hand lenkt. Oder ein riesiger Kreuzanhänger mit neun großen Bergkristallen in ovalem Facettenschliff, der auch in einer Chanel-Kollektion vorkommen könnte.

Dieses sogenannte conversation piece aus einem europäischen Fürstenhaus, für das 600 bis 900 Euro aufgerufen wurden, kann aus einem kleinen Schwarzen zur Cocktailstunde einen guten Look machen. Wenn dann noch eine goldene Puderdose aus den Drei­ßigerjahren dazukommt, die lässig aus der Clutch gezogen wird, ist der Look perfekt.

Stoll hat beobachtet, dass Kundinnen und Kunden für solche Art von Schmuck oft aus Frankreich, Groß­britannien, Israel und Amerika kommen. So ersteigerte bei einer der letzten Vintage-Auktionen ein Händler aus ­Beverly Hills bei Neumeister eine Sammlung von zwölf kleinen Cocktailuhren mit filigranen schwarzen Armbändern und schmalem Gehäuse. „Unsere Großmütter trugen abends solche Uhren – und nun kommt diese ­Mode in den Vereinigten Staaten wieder“, sagt Katrin Stoll.

Für sie ist Cocktail-Schmuck nicht nur ein dekoratives Momentum, sondern ein Zeichen von Lebensfreude. „Wie das Nutzen eines Fächers ist er ein Spiel mit Sinnlichkeit und Kurven.“ Und damit: auf zur Party.

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