“Ich hab dem Franz noch gesagt, das geht doch nicht”: Beckenbauers Pilot enthüllt Geheimnis | ABC-Z
München – Das Gespräch dauert bereits eine halbe Stunde, als Hans Ostler das grüne Gästebuch holt. Viele der Passagiere, die er in den vergangenen Jahrzehnten fliegen durfte, haben hier eine Widmung hinterlassen. Hans-Jochen Vogel, Helmut Kohl, der alte Flick. Rudi Carell, Uschi Glas, Hubert Burda, es liest sich wie ein Who is Who aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, das halbe Nachkriegsdeutschland saß bei ihm schon hinten drin.
Reinhold Messner ist mit dabei, ihn brachte Ostler einmal zum Base Camp des Nanga Parbat. Joseph Vilsmaier, der Regisseur, der aus Ostlers Hubschrauber Bayern von oben filmte. Außerdem noch im Poesiealbum gesichtet: Alfons Schuhbeck, Helmut Fischer, Edmund Stoiber, Elton John.
Der prominenteste Fluggast aber hat sich gleich zweimal verewigt. 2003 noch mit einer Autogrammkarte, drei Jahre später mit einer Danksagung an den lieben Hans, weil er “einen großen Beitrag zum Gelingen” der zurückliegenden Veranstaltung geleistet habe – der WM 2006, bei der Hans Ostler Franz Beckenbauer quer übers Land flog. Über das Paradies. Als Pilot des Kaisers. Zu 46 Spielen und einer Hochzeit. Mit der Air Franz.
Hans Ostler: Cosmos New York überzeugte Beckenbauer mit einer Sightseeing-Tour im Heli
Franz Beckenbauer und die Hubschrauber, das war immer eine ganz besondere Beziehung. 1977 etwa, als ihn Cosmos New York umwarb und ihn die Klub-Bosse um Steven Ross am Dach des PanAm-Building in einen Helikopter setzten.
Die Maschine zog Kreise über Manhattan, die Skyline lag zu seinen Füßen, später flogen sie über den Hudson raus nach New Jersey und wieder zurück. “Das war für mich der Flug in eine andere Welt”, sagte er später einmal. Und dass er von der luftigen Sightseeing-Tour so beeindruckt gewesen sei, dass er noch während des Fluges den Cosmos-Chefs zurief: “Also gut, hörts auf, ich komme.”
Aber noch beeindruckter von dem, was er unter sich sah, war dann 2006 während der WM in Deutschland.
Ein Einfamilienhaus am Ortsrand von Grünwald, am Tisch stehen Kaffee und selbstgemachte Platzerl, am Wochenende hat Ostler mit seiner Frau Irene gebacken.
Bei einem Flug nach Dänemark wurde Beckenbauer vom Himmel geholt
Hans Ostler ist inzwischen 73, im Allgäu wuchs er auf, man hört es noch heute an seinem Akzent. Zur Fliegerei, sagt er, kam er bei der Bundeswehr, die Lehre zum Bankkaufmann war ihm doch zu fad, er suchte das Abenteuer, den Kick. Ostler verpflichtete sich als Berufssoldat, zehn Jahre lang, machte den Hubschrauber-Pilotenschein, später ging er in die USA nach Fort Rucker, Alabama. Die härteste Flug-Akademie des Landes, auch Vietnam-Piloten wurden hier ausgebildet.
Zurück in Bayern arbeitete Ostler für eine Charterflugfirma, als er erstmals Franz Beckenbauer flog. Als Teamchef bei der Heim-EM 1988. Einige Tage vor Turnierbeginn flogen sie gemeinsam vom Trainingsquartier in Malente über die Grenze nach Odense. Beckenbauer wollte sich das Testspiel der Dänen gegen Belgien ansehen, Dänemark war Vorrundengegner der DFB-Auswahl.
“Kaum waren wir im dänischen Luftraum, erhielt ich einen Funkspruch, wir müssten in Kopenhagen zwischenlanden”, erzählt Ostler. Immer wieder habe er die Flugsicherung nach dem Warum gefragt, man habe doch eine Landgenehmigung für Odense, doch vergeblich. Näheres zu den Hintergründen? Fehlanzeige.
Beckenbauer blieb seinem Piloten jahrelang treu
Ein Unwetter war nicht in Sicht, es gab keine Terror-Warnung und auch sonst keinen erkennbaren Ausnahmezustand. Also landete ein ratloser Ostler auf dem Airport von Kopenhagen, als eine junge Flughafen-Mitarbeiterin zum Heli kam. Ob sie von Franz Beckenbauer ein Autogramm haben dürfe, fragte sie. “Der Franz lachte, unterschrieb freundlich, dann durften wir weiterfliegen und kamen grad noch pünktlich zum Anpfiff.”
Es war das erste von vielen weiteren unvergessenen Momenten, die sie noch miteinander erleben durften, der Hans und der Franz.
1997 gründete Ostler seine Firma HTM mit Sitz in Ottobrunn, der erste große Auftrag wurde die TV-Serie “Medicopter 117”, Ostler flog darin die Crew eines Rettungshubschraubers zu riskanten Einsätzen mit dramatischen Schicksalen und chronischem Happy End. Aber auch Franz Beckenbauer blieb seinem Piloten von 1988 treu. Wenn er mal schnell zu einem Golfturnier in Niederbayern oder sonstwo wollte, holte ihn Ostler in Kitzbühel ab. Hans, hol schon mal den Heli.
Immer wieder ließ er sich im sehr eng getakteten Jahr vor der WM von Ostler nach München fliegen, auf Krankenbesuche bei seiner Mutter Antonie, die im Januar 2006 starb – und die das Sommermärchen ihres Franzl nicht mehr miterleben durfte. Die WM 2006 wurde auch für Hans Ostler der Höhepunkt seiner Pilotenlaufbahn.
WM 2006: Beckenbauer flog im Rolls-Royce unter den Hubschraubern
Als OK-Chef des Turniers sollte und wollte Beckenbauer so viele Spiele wie möglich sehen, wochenlang tüftelten Ostler und seine Crew minutiös an Zeitplänen, holten Genehmigungen für Starts und Landungen ein. Unterwegs waren sie dabei mit einer Agusta 109 Power E, zwei Triebwerke mit je 640 PS, Ledersitze für vier Personen, eine Art Rolls-Royce unter den Hubschraubern.
Mit an Bord waren neben Beckenbauer seine Berater und Begleiter Marcus Höfl und Fedor Radmann. An einem Tag flogen sie mal von einer OK-Sitzung in Berlin nach Gelsenkirchen, Argentinien gegen Serbien, Anpfiff 15 Uhr, dann weiter nach Stuttgart, um 18 Uhr Holland und die Elfenbeinküste, schließlich noch nach Hannover zum Abendspiel um 21 Uhr, Mexiko gegen Angola, danach zurück ins Kempinski nach Frankfurt. In dieser Schlagzahl ging das oft so. Die Rotorblätter standen kaum noch still. Zeit, dass sich was dreht.
Das Wetter spielte Beckenbauer beim Reisen während der WM in die Karten
“Ich kann mich gar nicht sattsehen”, frohlockte Beckenbauer zwischendrin einmal, “im Süden die Berge, im Norden das Meer, dazwischen die sanften Hügel. Die wenigsten wissen, wie viel Wald wir haben, kaum ein Land hat so viel Wald wie wir.” Er schien aus dem Staunen nicht mehr herauszukommen, und wenn man ihn so reden hörte, klang es manchmal wie die Bildbeschreibung eines Landschaftsgemäldes, irgendwo zwischen Caspar David Friedrich und William Turner.
Und ins Schwärmen geriet der Franz auch abends, wenn sie im Kempinski noch gemeinsam auf einen Absacker an der Hotelbar gingen, über dieses wundervolle Turnier, über das neue Image Deutschlands in der Welt als heiter feiernder Gastgeber unter strahlend blauem Himmel.
Natürlich hätten sie mit dem Wetter unfassbares Glück gehabt, sagt Ostler, wobei ja eine These besagt, dass das meteorologjsche Sommerhoch allein der Lichtgestalt Beckenbauer zu verdanken gewesen sei. Und sehet, es werde Franz. Mit Ausnahme eines verirrten Gewitters, das einen Flug von Nürnberg nach Frankfurt um eine Stunde verzögerte, lief alles wie von Ostler geplant. Nur was am 23. Juni geschah, das überraschte auch Hans Ostler.
Beckenbauer überraschte seinen Piloten mit seiner Hochzeit
Gemeinsam flogen sie nach Kaiserslautern, am Betzenberg stand am letzten Vorrunden-Spieltag der Klassiker zwischen Spanien und Saudi-Arabien an, als Beckenbauer seinem Piloten plötzlich auf die Schulter klopfte und sagte: “Hans, drah um, wir fliegen nach Kitzbühel.” Fassungslos sei er gewesen, sagt Ostler. “Ich hab dem Franz noch gesagt, das geht doch nicht, der spanische König ist auch da, der will dich doch unbedingt sehen.”
Aber Beckenbauer winkte nur ab, der König war dem Kaiser wurscht. So drehten sie eine Kurve und flogen statt in die Pfalz nach Tirol. Zur Hochzeit mit seiner Heidi, zu Beckenbauers Trauung, von der auch Ostler erst an diesem Tag erfuhr.
Tags danach ging es dann weiter nach München. Zum nächsten Spiel. Deutschland gegen Schweden, das Achtelfinale. Rund 22.000 Kilometer flogen sie in den gut vier Wochen, mehr als ein halbes Mal um die Welt. Und auch in den Jahren danach war Ostler immer wieder im Einsatz für den Franz, auch als es ihm nicht mehr so gut ging.
Nach seinen Herz-Operationen in Bad Neustadt ließ sich Beckenbauer von seinem alten Freund zurück nach Salzburg fliegen. Oder auch bei einem der allerletzten gemeinsamen Flüge 2018, als man den Franz beim Bayerischen Sportpreis zum Jahrhundertsportler kürte und er sich bei der Ehrung erstmals nach langer Zeit wieder in der Öffentlichkeit zeigte.
In seinen guten Zeiten genoss Beckenbauer diese Termine, da verzauberte er das Publikum und die Feiergesellschaft mit seinem urtypischen Witz und Charme, da blieb er gerne bis zum Schluss. Aber die Zeiten waren 2018 nicht mehr so gut, der Tod seines Sohnes Stefan drei Jahre zuvor, die Anschuldigungen zum Sommermärchen, seine angeschlagene Gesundheit – Beckenbauer wirkte schwer gezeichnet.
Manchmal wollte auch der Kaiser einfach nur seine Ruhe haben
Vor der Gala sagte Beckenbauer zu Ostler: “Hans, bleib in der Nähe. Wenn ich die Ehrung hab, dann lass uns gleich wieder fliegen.” Bis zum Schluss waren sie noch in Kontakt, von seinem Tod erfuhr Hans Ostler direkt durch einen Anruf von Heidi Beckenbauer, wenn Ostler davon spricht, wird seine Stimme brüchig.
Seine Firma mit 24 Hubschraubern und vier Business-Jets verkaufte Ostler 2019, es sei ihm anfangs schwergefallen, sagt er, aber er lernte, loszulassen. Und am Ende war es die richtige Entscheidung zum bestmöglichen Zeitpunkt, so kurz vor der Pandemie. Jetzt genießt er das Leben mit seiner Frau, am Wochenende fahren sie immer wieder in ihr Feriendomizil am Wörthersee, er muss nicht mehr rotieren.
Was ihm bleibt, sind die schönen Erinnerungen an die Jahre mit dem Franz. An Empfänge und Einladungen, an denen sich etwa bei Besuchen in Franken in den Jahren vor der WM immer wieder jemand unaufgefordert an den Tisch setzte, um die Nähe zum Kaiser zu suchen. “Hans, sag amal, wer ist denn des eigentlich”, habe der Franz einmal gefragt, aber auch Hans Ostler wusste das nicht so genau, Markus Söder lernten sie schließlich erst viel später besser kennen.
Gerne denkt er aber auch an die Abende 2006 zurück, als sie nach einem vollen Tag mit vielen Spielen und noch mehr Begegnungen, Meetings und Gesprächen zurück an ihrem Stützpunkt in Frankfurt waren und oft noch beisammensaßen. Es gab aber auch die Momente, sagt Hans Ostler, da wollte der Franz aber einfach nur seine Ruhe haben. Dann saß er an der Bar, alleine, ganz bei sich.
Und wenn Ostler Beckenbauer von einem eigenen Tisch aus mit etwas Abstand anschaute, dann lächelte der Franz manchmal beseelt und glücklich vor sich hin. Vielleicht freute er sich dann ja schon wieder auf morgen. Auf den nächsten Flug übers Paradies.
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Teil 1: Beckenbauer-Gefährtin Diana Sandmann exklusiv: Das war der größte Wunsch des Kaisers