Aufstieg des FC St. Pauli: Auf dem Kiez knallt es – Sport | ABC-Z
Alte Gewohnheiten lassen sich nicht so leicht ablegen, deshalb hat es noch mal ordentlich geknallt im Hamburger Millerntorstadion. Und wieso auch nicht? Die Show hat dann halt doch zu gut gepasst an diesem speziellen Tag, an dem dieser spezielle Fußballklub etwas schaffen sollte, das auch für ihn wirklich, wirklich speziell ist.
Und so knallte es, obwohl es eigentlich gar nicht mehr hätte knallen dürfen: Konfetti und Luftschlangen flogen durch die Luft, während die Mannschaft des FC St. Pauli das Feld betrat, wie immer begleitet von AC/DC und ihrem “Hells Bells” –Rocksound , der vor Spielen im Hamburger Millerntorstadion ritualisiert aus den Stadionboxen dröhnt. Und auch nach dem Schlusspfiff knallte es immer weiter: Jubel, Umarmungen, Freudentränen, Konfetti, Luftschlangen; alles verschmolz auf dem Rasen zu einem Wimmelbild aus glückseligen Menschen und Totenkopf-Devotionalien, dem ikonischen Symbol des Kiezklubs.
Denn der FC St. Pauli, ein Vereinsleben lang die Nummer zwei in der Hansestadt Hamburg, hat am Sonntag vollendet, was nur noch zu Ende gebracht werden musste: Durch einen 3:1-Sieg gegen den VfL Osnabrück wurde nicht nur der Aufstieg in die erste Liga fixiert – der einst viel größere Stadtrivale HSV wurde zugleich erstmals zum lediglich noch zweitbesten Hamburger Fußballklub degradiert.
Und wie ließe sich so eine Zäsur besser zelebrieren als mit der Konfetti- und Luftschlangen-Ballerei, die am Millerntor seit Jahren schon wie ein heiliges Ritual aufgeführt wird?
Nun, es ist halt St. Pauli, und St. Pauli ist nun mal auch ein bisschen kompliziert. Das Problem wäre nicht mal die vielleicht etwas militärische Anmutung der Schießkanonen gewesen, aus denen die Partyschnipsel gefeuert werden. Es sind die Partyschnipsel selbst: Mikro-Plastik, nicht biologisch abbaubar. Deswegen wurde in der paulianischen Stadionordnung neuerdings ein offizielles Konfetti-Verbot festgeschrieben, doch an diesem besonderen Tag ließ es sich locker rechtfertigen, dass in der Sache noch mal beide Augen zugedrückt wurden. Ökologie ist wichtig, aber das Ereignis war es eben auch. Und ohnehin sollte man sich da nichts vormachen: Der FC St. Pauli kann einen Knall auch locker aus sich selbst heraus erzeugen.
Der Ausnahmezustand gehört im Hamburger Stadtteil zum gewöhnlichen Erscheinungsbild, aber nur selten hat es dort eine so außergewöhnliche Fußballmannschaft zu sehen gegeben. Denn beim linken Kiezklub sehen sie sich dem ständigen Widerspruch ausgesetzt, dass man dem Kapitalismus zwar ablehnend gegenübersteht, zugleich aber eine wahrnehmbare Rolle in der Fußballbranche spielen will. Und in dieser Rolle hat sich St. Pauli in dieser Saison hervorragend eingefunden: Der Sportchef Andreas Bornemann hat die (vorhandenen!) Finanzmittel mit Bedacht eingesetzt und so einen Kader gebaut, in dem zwar viel Talent, aber auch eine Menge Demut steckt.
:“Mach’s gut, Christian”
Mit Bob Dylan, den Stones und Lobeshymnen selbst vom Gegner: Trainer Christian Streich, der nie im Mittelpunkt stehen will, wird bei seinem letzten Heimspiel in Freiburg angemessen verabschiedet.
Damit können sich sogar jene Kiezbewohner identifizieren, die ein eher zwiespältiges Verhältnis zu Besitztümern aller Art haben. Und für die Hartgesottensten unter ihnen war das ja vielleicht wirklich zuerst etwas gewöhnungsbedürftig: Der junge St. Pauli-Coach Fabian Hürzeler, 31, ist im gutbürgerlichen Teil Münchens aufgewachsen und repräsentiert auf den ersten Blick gar nicht so viel, was auf St. Pauli wichtig ist. Noch dazu hat er einen geradezu extravaganten Spielstil etabliert, bei dem sein Team ein Monopol auf den Ball erhebt. Dabei stand der Kiezklub immer für eine eher proletarische Art des Fußballs.
Monopole, Extravaganz – das sind Begrifflichkeiten, von denen sich sogar überzeugte Champagner-Linke distanzieren würden. Aber diesem Fabian Hürzeler hat man seine kleine Kulturrevolution freilich schnell verziehen. Am Sonntag wurde er auf Händen durchs Millerntorstadion getragen, weil jeder weiß, was sie auf St. Pauli an ihm haben. Und es ist ja ohnehin nicht so, dass Hürzeler persönlich nicht auch viel anfangen könnte mit den Werten und Normen, die in den circa 1910 Leitbildern des Kiezklubs niedergeschrieben sind. Doch Hürzelers größtes Verdienst ist etwas anderes: Er hat diesem Verein, der manchmal auch ein bisschen um sich selbst kreist, einen klaren Kurs vorgegeben. Durch den Einfluss des Trainers hat der paulianische Sportfokus eine maximale Schärfe erlangt.
“Es ist etwas Besonderes entstanden”, sagte Hürzeler am Sonntag, und ihm war es wichtig, dabei auch die Schattierungen seines Wirkens zu transportieren: Er lobte ausdrücklich seine Mitarbeiter, das Arbeitsethos seiner Mannschaft, den Leistungsgedanken des gesamten Vereins – und die Vorarbeit, die geleistet wurde, ehe er vor eineinhalb Jahren vom Assistenten zum Chefcoach befördert wurde. Auf diesem Fundament hat Hürzeler eine Gruppe gebaut, die ästhetisch anspruchsvollen Fußball drauf hat, aber Haltungsnoten immer hinter den pragmatischen Notwendigkeiten anstellt. St. Pauli war auf die gesamte Saison gesehen das wohl ausbalancierteste Team der zweiten Liga, und das Spiel gegen Osnabrück war dafür ein mal wieder äußerst vorzeigbares Fallbeispiel: In jeder Phase behielten die Kiezkicker die Kontrolle, mit Ball, ohne Ball, zu Beginn, im Mittelteil und gegen Ende.
Aus der ersten gelungenen Kombination ging sogleich der Führungstreffer durch den Angreifer Oladapo Afolayan hervor, der in der siebten Minute einen Querpass über die Linie schob. In der Mitte der zweiten Hälfte war es dann wieder Afolayan, der zum zwischenzeitlichen 2:0 traf (58.), und das dritte Pauli-Tor erzielte der in dieser Saison herausragende Mittelfeldmann Marcel Hartel. Jenen Hartel kannte vor Kurzem noch fast keiner, mittlerweile steht er im Rang des wohl besten Zweitliga-Spielers überhaupt.
Wobei, im Team gäbe es da noch ein paar Kandidaten: Der Defensivmann Eric Smith etwa, der eine Art moderner Libero spielt und die Bälle mit einer Lässigkeit verteilt, die in den Siebzigerjahren häufiger zu besichtigen war als heute. Oder der australische Nationalspieler Jackson Irvine, der im Zentrum weite Wege zurücklegt – und der wie kein zweiter Fußballer dafür steht, wie sehr das Viertel und der FC St. Pauli zusammengehören: Irvine wohnt auf dem Kiez und ist dort auch häufig abends unterwegs. Am Sonntagabend sicher auch mit seinem geschätzten Trainer Hürzeler, der ankündigte, auch als “Vorbild in Sachen Feierbiest” vorangehen zu wollen.