Die zwölf Raunächte: Aberglaube, Brauchtum und innere Einkehr | ABC-Z
Zukunft vorhersagen, Räuchern, keine Wäsche waschen – mit den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönig verbinden sich Mythen, Aberglauben und Brauchtum. Perchtengruppen verkörpern die Dämonen der Raunacht.
In Buchhandlungen stapeln sich Ratgeber zu den Raunächten, auf Instagram gibt es unzählige Räucheranleitungen und auf Weihnachtsmärkten treten Dämonen auf. Die Raunächte zwischen Weihnachten und Dreikönig erhalten zunehmend Aufmerksamkeit. Welche Sehnsüchte bedient die Tradition heute?
Die Zeit “zwischen den Jahren”
Viele Menschen empfinden die Zeit “zwischen den Jahren” als besonders, ein Schwebezustand zwischen altem und neuem Jahr. In vielen Kulturen haben Menschen die längsten Nächte des Jahres für besinnliche Rituale und Feste genutzt: Die Wintersonnenwende, das nordeuropäische Julfest, Heiligabend, Heilige Drei Könige.
Traditionell steht die Zeit aber auch für Vergänglichkeit und Neuanfang, erklärt die Religionswissenschaftlerin Dr. Claudia Jetter im SWR. “Die Raunächte kommen aus der Zeit vor Einführung des Gregorianischen Kalenders im 16. Jahrhundert, als je nach Gegend und Zeitalter der Jahresbeginn unterschiedlich datiert wurde.”
Es konnte der 25.12. wie auch der 6.1. für den Jahresbeginn stehen. Das Mondjahr ist nur 354 Tage lang, somit fehlen elf Tage zum astronomisch korrekten Jahreslauf der Sonne. Diese Lücke im Kalender musste rechnerisch gefüllt werden. Daher kommt der Begriff “zwischen den Jahren”.
Die Brucker Perchten pflegen in ihrem Verein das Brauchtum.
Fellige Perchten toben in den Raunächten
Perchten – das sind die Dämonen der Raunacht. In den Volkssagen über die Raunächte tobt die “wilde Jagd” – magische Jäger, die über den Himmel ziehen. Die Perchten werden angeführt von der zweigesichtigen Göttin Perchta.
Auf Weihnachtsmärkten und Perchtenläufen in Bayern und Österreich lebt diese Tradition weiter. Zum Beispiel im Verein “Brucker Perchten und Raunachtsgesindel.” Im Dezember schlüpfen die Mitglieder in die Rollen von Perchten, Bären, Wölfen und Hexen. Die schaurigen Masken sind handgeschnitzt, haben verzerrte Fratzen und detaillierte Zähne. Die Anzüge wiegen etwa 15 Kilo und riechen nach Ziegenfell.
Interesse an Brauchtum nimmt zu
Viele Perchtenvereine berufen sich auf germanische oder keltische Wurzeln, wurden aber erst in den 1990er- und 2000er-Jahren gegründet. Kulturwissenschaftlerin Anna Häckel-König erklärt das mit den Modernisierungsprozessen der 1990er-Jahre. “Je moderner eine Gesellschaft wird, desto spannender wird das vermeintlich Traditionelle.” Sie promoviert über Veranstaltungen rund um Raunächte in Ostbayern.
Die Brucker Perchten greifen regionale Sagen auf und geben ihnen mit ihren Masken ein Gesicht. Das kommt bei den Zuschauern an. Jedes Jahr kommen mehr Menschen, wenn die Perchten lärmend um eine Feuerschale tanzen.
Perchten werden familienfreundlicher
Auf dem Weihnachtsmarkt in Fürstenfeldbruck kündigen Schellen die Ankunft der Gruppe an. Kinder verstecken sich, als sich der Wolf mit seinen angsteinflößenden Reißzähnen nähert. Klaus Trnka, Vorsitzender der Brucker Perchten, führt als “Kraxenträger” in das Brauchtum ein.
Dann kommen die Perchten mit ihren behornten Masken. Sie streifen mit Roßschweifen über die Füße der Frauen, das soll fruchtbar machen. In Österreich sind die Perchten manchmal mit Holzruten bewaffnet, mit denen sie auch zuschlagen. Doch damit ist für viele eine Grenze überschritten.
Die Perchten-Darsteller zeigen beim Auftritt in Fürstenfeldbruck ihr schauriges Gesicht.
Gewalt von Perchtengruppen hat schon in manchen Fällen zu Anzeigen geführt. Doch die Brucker Perchten grenzen sich klar von gewalttätigen Auftritten ab. Anna Häckel-König beobachtet in ihrer Forschung, dass die Gruppen bis auf wenige Ausnahmen inzwischen familienfreundlicher auftreten. “Im Großen und Ganzen sieht man, dass diese Gewalt im ostbayerischen Raum stark zurückgeht.” In manchen Orten tragen die Perchten Nummern, um im Zweifel identifizierbar zu sein.
Klaus Trnka sagt: “Wir wollen den Leuten rüberbringen, was es heißt, in früheren Zeiten Furcht zu haben. Aber wir wollen den Leuten die Angst nehmen, wenn sie bei unseren Auftritten mit dabei sind, dass ihnen gar in irgendeiner Form Gewalt angetan wird.”
Keine Wäsche waschen und mit Zwiebeln orakeln
Während draußen die Perchten ihr Unwesen trieben, gab es “drinnen” während der Raunächte viele Regeln: keine Wäsche waschen – sonst könnten die weißen Laken zum Leichentuch werden. Keine Haare und Nägel schneiden – sonst drohten Gicht und Kopfweh. Ordnung halten – denn Geister liebten das Chaos.
In ländlichen Regionen gab es Wetterorakel. So bestreute man im Erzgebirge für jeden Monat eine Zwiebelschale mit Salz. Je feuchter die Zwiebel am nächsten Morgen, desto regenreicher der Monat. Noch immer gießen viele zu Silvester Wachs oder Zinn. Auch das Böllern um Mitternacht sollte ursprünglich Dämonen vertreiben.
Brauchtum wird digital
Heute blüht Spiritualität nicht mehr im Bauernhaus, sondern auf Social Media. Hier finden sich nicht nur Anleitungen zum Räuchern mit Johanniskraut oder Alant für die Raunächte, sondern auch zum “Ritual der 13 Wünsche”.
Auf 13 Zettel werden Wünsche für das neue Jahr formuliert. In jeder Raunacht wird blind ein Zettel gezogen und dann verbrannt – so wird der Wunsch dem Universum überlassen. Den 13. Wunsch soll man sich selbst erfüllen.
Auch Räucherwerk-Zeremonien erfreuen sich steigender Beliebtheit.
Aberglaube mit psychologischem Effekt
Das klingt esoterisch, aber Psychologin Tanja Köhler sieht hinter diesem Ritual einen wirksamen psychologischen Effekt. “Das wissen wir aus der Psychologie, dass solche Zielbilder einen selbst wieder ausrichten auf das, wo wir hingehen möchten.”
Selbst wenn wir zwölf der 13 Wünsche “dem Universum überlassen”, würden wir unterbewusst an ihrer Erfüllung arbeiten, so Köhler. Die Magie der Raunächte ist: “Ich habe was geschafft, ich habe mich mit mir beschäftigt, ich habe für mich was gelöst.”
Sehnsucht nach Spiritualität wächst
Religionshistorikerin Claudia Jetter vermutet, dass die Raunächte so beliebt sind, weil sie gut in unsere individualisierte Gesellschaft passen, in der sich viele nur zweitweise an eine Gemeinschaft binden wollen und ihr Bedürfnis nach Spiritualität allein zu Hause erfüllen. Gleichzeitig können sie eine Chance sein, Dinge in unser Leben zu holen, die im restlichen Jahr untergehen: Gemeinschaft, Geschichten, Natur, Zeit für sich und die Auseinandersetzung, wie wir wirklich leben möchten.