Durchbrüche des Jahres: Drei Medizin-Highlights, die uns Hoffnung machen | ABC-Z
Es ist viel passiert in den vergangenen zwölf Monaten. Traditionell ist nun die Zeit, zurückzublicken. Schlechte Nachrichten gab es genug. Darum tut es der Psyche gut, sich auch an die positiven Ereignisse zu erinnern. Wir stellen eine Auswahl an medizinischen Innovationen vor, die Hoffnung geben.
Jährlich würdigt das Fachjournal „Science“ einen Forschungsdurchbruch des Jahres. In diesem Jahr wurde ein Medikament ausgewählt, das einen großen Fortschritt beim Schutz vor HIV bedeutet.
1. HIV-Schutz ist Durchbruch des Jahres
Es ist das Medikament Lenacapavir. Die Entwicklung der Spritze, die eine HIV-Infektion verhindern kann, ist für „Science“ der wichtigste Forschungsdurchbruch des Jahres. Damit werde der nächste, aber keineswegs letzte Schritt im Kampf gegen Aids gewürdigt, heißt es zur Begründung des „Breakthrough of the Year“.
- Im Video oben sehen Sie: Bahnbrechender Erfolg in der Aids-Forschung! Neue Spritze soll HIV-Infektion verhindern
Weltweit leben nach Daten des UN-Programms UNAIDS rund 40 Millionen Menschen mit HIV, der Großteil in Afrika südlich der Sahara. Eine halbjährliche Spritze mit dem Medikament Lenacapavir schützt effektiv vor einer Infektion mit dem Virus, wie Studiendaten zeigten. Bisher verwendete Mittel zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wie Truvada müssen täglich als Tablette genommen werden.
Die Entwicklung des Medikaments stelle einen ähnlichen Fortschritt in der HIV-Prävention dar wie frühere Durchbrüche mit antiretroviralen Medikamenten, erläutert „Science“-Chefredakteur Holden Thorp. „Die sechsmonatige Wirkungsdauer von Lenacapavir macht einen großen Unterschied und bietet eine neue und bessere Möglichkeit, die Prophylaxe mehr Menschen auf der ganzen Welt zugänglich zu machen.“
Sich zweimal jährlich spritzen zu lassen, sei wesentlich komfortabler als täglich an die Einnahme einer Tablette denken zu müssen, betonen Experten. Hinzu komme, dass es gerade in einigen stark von HIV betroffenen Ländern bei der täglichen Einnahme von Tabletten das Risiko gebe, im Umfeld als vermeintlich HIV-positiv abgestempelt zu werden. Eine nur zweimal jährlich verabreichte Spritze sei da sehr hilfreich.
2. Alzheimer-Medikament Lecanemab in der EU empfohlen
Ebenfalls ein großer Schritt erfolgte in der Alzheimer-Behandlung. Allein in Deutschland sind etwa eine Million Menschen von dieser neurologischen Erkrankung betroffen. Die europäische Arzneimittel-Behörde EMA hat im November für die EU nun erstmals grünes Licht für eine Alzheimer-Therapie gegeben, die auf zugrundeliegende Krankheitsprozesse abzielt. Sie empfiehlt die Zulassung des Antikörpers Lecanemab zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit.
Warum ist die Entscheidung so besonders?
Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn. Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit verlangsamen. Um Heilung oder Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht, ein solches Mittel ist weiter nicht in Sicht.
Hauptmaßstab für die Wirksamkeit war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer Demenzbewertungsskala gemessen wurde.
Die Skala reicht von 0 bis 18, wobei höhere Punktzahlen eine stärkere Beeinträchtigung anzeigen. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen nach 18 Monaten im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75). Das deute auf einen langsameren kognitiven Abbau hin, teilte die EMA mit.
Allerdings diskutieren Fachleute intensiv über die Antikörper-Behandlung. Denn sie ist nur für einen kleinen Teil der Patienten sinnvoll. Infrage kommt die Therapie nur für Betroffene mit einer Vorstufe oder einem sehr frühen Stadium der Erkrankung. Zudem ist sie aufwendig und bringt auch Risiken mit sich. Dennoch bringt die Studie zu Lecanemab die Alzheimer-Forschung weiter. Walter J. Schulz-Schaeffer, Direktor des Instituts für Neuropathologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, urteilte zur Medikamenten-Entwicklung: „Dies ist ein wichtiger, lange erhoffter Fortschritt.“
Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat im September das neuartige Medikament KarXT (Markenname Cobenfy) zur Behandlung von Schizophrenie zugelassen.
„Obwohl die Schizophrenie eine der sozioökonomisch teuersten Erkrankung mit einer Lebenszeitreduktion von mehr als 15 Jahren und einer massiven Einschränkung der Lebensqualität ist, findet leider nur wenig innovative Arzneiforschung statt“, sagte dazu Alkomiet Hasan, Lehrstuhlinhaber, Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Augsburg. „Erfreulicherweise ändert sich das im Moment.“
Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die nur bei einem Prozent der Menschen auftritt und damit relativ selten ist. Jedoch kann sie besonders einschränkend für Betroffene sein. Zudem kann das Krankheitsbild sehr unterschiedlich aussehen. Bei Schizophrenie wird zwischen unterschiedlichen Symptomatiken unterschieden. Während bei einer Positiv-Symptomatik die Betroffenen eine stärkere psychische Aktivität aufweisen, die sich beispielsweise durch Halluzinationen und Wahnvorstellungen auszeichnet, gibt es bei der Negativ-Symptomatik einen Mangel an psychischer Aktivität, die das Denken, Fühlen und Handeln vermindert oder einschränkt. Gerade aufgrund dieser vielseitigen Symptomatik ist es wichtig, dass Behandelnde über unterschiedliche Psychopharmaka verfügen.
„Potenzial extrem hoch“
„Ich schätze das Potenzial als extrem hoch ein, da wir erstmals seit mehreren Jahrzehnten einen wirklichen Durchbruch in der Pharmakotherapie der Schizophrenie haben“, erläuterte Hasan die Bedeutung des Medikaments.
Die bisherigen Antipsychotika zielen mit ihrer Wirkung direkt auf den Botenstoff Dopamin ab, der im Körper etwa für das Belohnungssystem oder auch Bewegung, zuständig ist. Nebenwirkungen sind Muskelkrämpfe, unwillkürliche Bewegungen oder eine allgemeine Verlangsamung der Motorik.
Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Antipsychotika wirkt KarXT nicht direkt auf Dopaminrezeptoren, sondern auf die Muskarinrezeptoren M1 und M4, die unter anderem mit dem parasympathischen System zusammenhängen.
Dieser Wirkmechanismus gilt als medizinisches Highlight. Positiv sei vor allem das sehr geringe bis nicht vorhandene Risiko für motorische Nebenwirkungen. „Auch scheint die Substanz wenig zu sedieren“, urteilte der Psychiater. „Dies bedeutet, dass dieses Medikament eine bessere Verträglichkeit als vorhandene Antipsychotika bei guter Wirksamkeit zeigt.“ Wann das Medikament in Europa auf den Markt kommt, ist nicht bekannt.