Erster Wolkenkratzer entsteht – So laufen die Bauarbeiten | ABC-Z
Berlin. An der Sonnenallee in Berlin-Neukölln entsteht der erste Wolkenkratzer der Hauptstadt. Zwischenzeitlich hat sich das Konzept verändert.
Der Blick reicht von der Sonnenallee übers Tempelhofer Feld bis in den Wedding: Wer sich mit dem Außenfahrstuhl in über 150 Meter Höhe auf Berlins ersten Wolkenkratzer wagt, der wird mit einem fast unendlichen Blick über die ganze Stadt bis nach Brandenburg belohnt. Berlin ist damit nach Frankfurt am Main und Bonn die dritte Stadt bundesweit, in der ein Gebäude die 150-Meter-Marke knackt und somit als Wolkenkratzer gilt.
Noch ist der Estrel Tower an der Neuköllner Sonnenallee, der als „Höhepunkt Berlins“ beworben wird, ein Rohbau. 160 von 176 geplanten Metern sind geschafft. Am Ende soll der Turm 45 Etagen haben. Nur der Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz mit seinen 368 Metern überragt ihn dann noch.
Estrel Tower in Neukölln: Weitblick für Besucher voraussichtlich ab 2026 möglich
Besucher müssen künftig aber keinen provisorischen Außenfahrstuhl nutzen, sondern können von innen bis in die Turmspitze zur Skybar gelangen. Von dort oder auch aus den Hotel- und Bürozimmern sollen sie voraussichtlich ab 2026 den Weitblick genießen können. Der Estrel Tower wird das Pendant zum Estrel Berlin auf der anderen Seite der Sonnenallee, das eigenen Angaben zufolge Deutschlands größtes Hotel ist. „Beide sollen künftig mit einem Tunnel unter der Straße verbunden werden“, erklärt der Berliner Architekt Lukas Weder vom Büro Barkow Leibinger.
Eine Besonderheit des Estrel-Towers ist die Fassade. Sie ist mit sogenannten Aluminium-Finnen bestückt – Metallschienen, die quer über die Fenster verlaufen. „Wir nennen es Finnenkleid“, sagt Weder. Von Weitem sieht es aus, als sei der Turm mit dünnem Stoff umhüllt, der Falten wirft. Die Finnen haben aber nicht nur eine ästhetische Funktion: Sie sind so an die Sonneneinstrahlung angepasst, dass sich die Räume im Sommer weniger aufheizen und weniger Klimatisierung nötig ist.
Der Wolkenkratzer soll vielfältig genutzt werden: „Wir haben hier keine Monostruktur: Im unteren Teil sind neun Büroetagen geplant, hinzu kommen 90 Appartements für längere Aufenthalte sowie 522 Hotelzimmer“, sagt Weder.
Wolkenkratzer in Neukölln kann bei Wind bis zu 15 Zentimeter schwingen
Für ihn war die Planung dieses Wolkenkratzers die größte Herausforderung in seinen 26 Berufsjahren, wie der Architekt bei einem Baustellenrundgang erzählt. Ein Wolkenkratzer wie dieser sei unter anderem starken Windlasten ausgesetzt. „Schwingungen bis zu 15 Zentimeter sind möglich“, sagt Weder. Dies erfordere eine stabile Konstruktion. „Wenn unten Wind weht, haben wir oben Sturm“, so der Architekt. Die Bauarbeiter würden daher auch unter einem Windschutzschild arbeiten.
Außerdem müsse man damit rechnen, dass sich der Turm mit seiner 3,60 dicken Bodenplatte und 52 Pfählen nach dem Bau noch einige Zentimeter setzt. Mit dem Anschluss des Atriums, das direkt an das Hochhaus grenzt, müsse man daher warten, bis sich das Gebäude in den Untergrund gesenkt habe, so Weder. „Wir bauen hier auf märkischem Sand“, betont der Architekt. Doch anders als bei anderen innerstädtischen Großprojekten sei die Setzung kein Problem. Der Estrel Tower entstehe auf einer Insellage zwischen der neuen Stadtautobahn und dem Neuköllner Schifffahrtskanal, andere Bauwerke seien durch die Setzung nicht bedroht.
Im Oktober 2022 sorgte der Bau eines Hochhauses am Alexanderplatz für Probleme: Der Verkehr auf der U2 musste monatelang eingeschränkt werden, denn Tunnelröhren der U-Bahn waren durch die Bauarbeiten einige Zentimeter abgesackt. Daraufhin wurden umfangreiche Stabilisierungsarbeiten im Tunnel der U2 notwendig.
Estrel Tower im Bau: Krisen mussten bewältigt werden
Neben der Planung gab es auch andere Herausforderungen: „Wir hatten verschiedene Krisen zu meistern: stark gestiegene Energie- und Baupreise und die Coronakrise stellten enorme Herausforderungen dar“, erzählt der Architekt. Die Pandemie habe die Planung deutlich verändert. Ursprünglich seien ein Hotel mit etwa 720 Zimmern und zusätzliche Gebäude für Veranstaltungen am Fuße des Hochhauses angedacht gewesen. „Geplant waren verschiedene polygonal geformte Bauten, die von oben wie ein Tangram-Spiel aussehen“, so Weder.
Doch die ausbleibenden Hotel- und Veranstaltungsbuchungen in der Corona-Pandemie hätten die gesamte Branche stark verunsichert und auch die Berliner Planer zum Umdenken gezwungen. „Herr Streletzki hat aber trotzdem nicht von dem Projekt abgelassen und auch in der Corona-Krise weiter investiert“, erzählt der Architekt. Der Unternehmer Ekkehard Streletzki ist auch Eigentümer des Estrel Berlin.
„Der Gesamtkomplex wurde auf einen Turm mit Sockel verkleinert und sämtliche Funktionen wurden in das neue Gebäude integriert“, so Weder. Neben dem Hochhaus mit Atrium entsteht nun noch ein „Ballroom“ – ein Saal für bis zu 1200 Personen. Auf der frei gewordenen Fläche sollen laut dem Architekten eine Wildblumenwiese und ein Park zum Kanal hin entstehen.
400 Arbeiter im Drei-Schicht-System im Einsatz
Etwa 400 Arbeiter sind im Drei-Schicht-System auf der Baustelle beschäftigt. Laut dem Architekten dauert es etwa sieben bis neun Tage, bis eine Etage im Rohbau fertig ist. Etwa noch einmal so lange brauchen die Arbeiter für das Schließen der Fassade. Die Logistik sei komplex.
„Nachts wird das Material über die Aufzüge nach oben gebracht, damit tagsüber gearbeitet werden kann“, so Weder. Während das Haus immer weiter in die Höhe wächst, läuft parallel der Innenausbau, um keine Zeit zu verlieren. Elf Jahre seien seit dem Architektur-Wettbewerb vergangen. „Für Berliner Verhältnisse liegen wir ganz gut in der Zeit“, sagt der Architekt.
Seit Jahren Diskussionen über mehr Hochhäuser in Berlin
In Berlin gibt es nur wenige Hochhäuser, die traditionelle Traufhöhe liegt bei 22 Metern. Seit Jahren wird jedoch über den Bau von mehr Hochhäusern diskutiert. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte sich zuletzt bei seinem New-York-Besuch dafür ausgesprochen. „Wir müssen in Berlin definitiv höher bauen“, sagte er.
Ende 2023 machte sich die Berliner CDU-Fraktion für mehr Hochhäuser in der Hauptstadt stark. In einem Positionspapier mit dem Titel „Radikal, vertikal – Hochhäuser als Leuchttürme der Stadtentwicklung“ forderten die Abgeordneten unter anderem einen Hochhausentwicklungsplan für Berlin.
Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sind derzeit mehrere Bauten am Berliner Alexanderplatz mit etwa 130 bis 140 Metern Höhe in Arbeit. Am Einkaufszentrum Alexa ist demnach ein Hochhaus mit 150 Metern Höhe geplant. Die Baudurchführung ruhe jedoch derzeit.
„Ein weiteres Hochhaus mit 150 Metern Höhe ist am Alexanderplatz neben dem Saturngebäude geplant, aber der Bebauungsplan ist noch nicht fertig“, hieß es weiter. Es gebe auch Pläne für zwei Hochhäuser mit 150 Metern Höhe an der Nordseite der Alexanderstraße – wann diese gebaut werden, sei aber unklar. dpa